Start ins 21. Jahrhundert

"Staart 21. Für einen neuen Generationenvertrag" (Auszüge)

Allerorten führt die gängige Politik zu einer schleichenden Aufkündigung der Generationenverträge, die es zwar in schriftlicher Form nicht gibt, die aber dennoch bislang einen Grundkonsens unserer Gesellschaft darstellten: Die sozialen Sicherungssysteme sind in der Krise. Die Arbeitslosigkeit steigt auf immer neue Rekordmarken; immer mehr Jugendliche finden nicht einmal mehr einen Ausbildungsplatz. Hochschulen zerfallen innen wie außen. Die Globalisierung der Wirtschaft überrollt die Politik.

Vor diesem Hintergrund stehen 1998 bei der Bundestagswahl zwei Politikergenerationen im Mittelpunkt: der dann 68jährige Kohl und die 68er von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Generation muß verdeutlichen, daß es 1998 um mehr geht als die übliche ritualisierte Wahlkampfschlacht. Die Bundestagswahl entscheidet über die Zukunftschancen unserer Generation. Es geht um nichts Geringeres als die Formulierung eines neuen Generationenvertrags, um den Start in den Staat des 21. Jahrhunderts. (Ö)

Verantwortungslos handeln diejenigen, die glauben, der Weg zur Macht führe über die Verneinung der Probleme, eine einfache Schuldzuweisung in Richtung Kohl und die Beruhigung der verunsicherten Bevölkerung. (Ö)

Ach ja, die 68er haben noch etwas im Angebot: ihre Ratschläge an die heutige Jugend. Manche empfehlen uns, auf die Probleme von heute mit den Mitteln von damals zu reagieren: "Seid revolutionär" oder "sprengt Grenzen" heißt es da. Leider haben viele 68er nicht begriffen, daß die Jugend von heute nicht dazu da ist, ihre revolutionären Träume von gestern zu verwirklichen.(Ö)

Spätestens seit 1989 gibt es nichts mehr zu verteilen. 1989 nicht als tiefgreifenden Einschnitt für die Politik zu begreifen, leitete das geistig-moralische Ende des 68jährigen ein. Den Mantel der Geschichte trug der Kanzler zwar stolz, daß die Taschen aber nicht mehr voller Geld, sondern voller Löcher waren, verschwieg er. Die Notwendigkeit, den Umbruch von 1989 zu einem umfassenden Modernisierungsschub für die gesamte Bundesrepublik zu nutzen, sah der 68jährige im Rausch der Geschichte nicht. (Ö)

Dagegen trifft heute eine innovationsbereite Gesellschaft auf verkrustete Strukturen in der Politik. Die Anstöße für den Wandel von der Lobby- in die Teilhabegesellschaft kommen aus der Gesellschaft und nicht von der Politik. Das reicht vom Bündnis für Arbeit der IG Metall über die Einführung der Vier-Tage-Woche bei VW und hört bei der Tatsache, daß es zehnmal mehr junge BewerberInnen auf, als es Plätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr gibt, noch lange nicht auf.

Die Teilhabe an der Gesellschaft wird materiell wie ideell durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt bestimmt. Auch hier gilt es, sich von den Ritualen der Vergangenheit zu befreien. Das erste Ritual ist die Beschwörung der Vollbeschäftigung. Es wird auf absehbare Zeit weiterhin einen großen Anteil von Arbeitslosen in unserer Gesellschaft geben. Auch ihnen muß die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden. Wir brauchen einen neuen Arbeitsbegriff, der nicht zwischen bezahlter und belächelter Arbeit unterscheidet. Ehrenamtliche Tätigkeit, Hausarbeit, Kindererziehung und soziales Engagement sind gesellschaftlich genauso wertvoll wie Erwerbsarbeit.

Das zweite Ritual sind die vermeintlichen Patentrezepte. "Arbeitszeitverkürzung ist das Allheilmittel", sagen die einen, "der Standort Deutschland kann nur gerettet werden, wenn wieder mehr gearbeitet wird", die anderen. Ein sich in bislang ungekannter Geschwindigkeit wandelnder Arbeitsmarkt erfordert aber nicht ein Entweder-Oder, sondern beides. Wir brauchen mehr und weniger Arbeit. Weniger Arbeit durch Teilzeit in großen Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung, wo sich nicht nur standardisierte Arbeitsabläufe relativ problemlos auf mehr ArbeitnehmerInnen verteilen lassen. Mehr Arbeit bei ExistenzgründerInnen, die ohne hohen persönlichen Einsatz ihrerseits und seitens ihrer MitarbeiterInnen keine Chance haben, ihren Platz in der globalisierten Wirtschaft zu finden. (Ö) Es gilt, eine neue Gründungswelle in Deutschland zu initiieren. (Ö) Die Eigeninitiative und Kreativität von FirmengründerInnen darf nicht an den risikoscheuen deutschen Banken und Sparkassen scheitern. Sie darf aber auch nicht durch starre Arbeitszeitregelungen erdrückt werden. Eine Firma läßt sich nicht in einer 38,5 Stundenwoche aufbauen. Die UnternehmerInnen - aber auch die ArbeitnehmerInnen in diesen Betrieben - müssen mehr arbeiten (dürfen).

Das dritte und letzte Ritual ist der Glaube, die Politik allein könne mehr Beschäftigung schaffen. Sie kann jedoch nur den Rahmen vorgeben, positive Entwicklungen fördern und versuchen, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Sie muß Anreize für mehr Teilzeitarbeit in großen Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung schaffen und gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten darauf achten, daß die ArbeitnehmerInnen nicht zu VerliererInnen der Globalisierung werden.