Vom Verschwinden linker Militanz

Ungehorsam statt militant

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Ein Akt des Ungehorsams ist es auch, dass Tausende Schülerinnen und Schüler an jedem Freitag ihre Schulen trotz Schulpflicht verlassen, um bei den Demonstrationen von »Fridays for Future« eine bessere Klimapolitik zu fordern. Bei den Protestformen auf der Straße ist die Bewegung allerdings noch, bis auf einzelne Ausnahmen, zurückhaltend.

Die Bewegung für Klimagerechtigkeit ist aber nicht die einzige, die sich den zivilen Ungehorsam zunutze macht. Auch Abschiebungen werden immer wieder durch Blockaden verhindert. Einen der bekanntesten Vorfälle gab es im Frühjahr 2017, als Hunderte Schüler einer Berufsschule in Nürnberg die Abschiebung ihres Mitschülers Asef N. nach Afghanistan blockierten. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein, um den jungen Mann abtransportieren zu können. Die Kritik am Polizeieinsatz und die große Aufmerksamkeit für den Fall trugen dazu bei, dass Asef N. nicht abgeschoben wurde. Die Erfolge bei der Verhinderung von Abschiebungen führten dazu, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in die jüngste Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes, des sogenannten Hau-ab-Gesetzes, ­einen Paragraphen einbaute, der Termine und Planung von Abschiebungen zum Dienstgeheimnis erklärt. Behördenmitarbeiter, begehen seither eine Straftat, wenn sie solche Details preisgeben.

Auch ziviler Ungehorsam ist mitunter strafbar. Die junge Atomkraftgegnerin Clara Tempel ging sogar für sieben Tage ins Gefängnis. Im Sommer 2016 war sie gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreiterinnen und Mitstreitern auf den Bundeswehrstützpunkt Büchel in der Eifel eingedrungen und hatte sich dort auf die Start- und Landebahn gesetzt. In Büchel lagern ÚS-amerikanische Atomwaffen. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe würden deutsche Tornado-Piloten die US-Atom­bomben in ihr Zielgebiet bringen. 

Tempel und die anderen Mitglieder des »Jungen Netzwerks für politische Aktionen« kritisieren, dass in Büchel regelmäßig der »atomare Massenmord« trainiert werde, und sehen sich deswegen moralisch dazu verpflichtet, dagegen vorzugehen. Der Argumentation schlossen sich die Gerichte in Cochem und Koblenz nicht an und verurteilten Tempel zur Zahlung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Für 23 Tagessätze kamen Unterstützer auf. Die restlichen sieben Tagessätze saß Tempel im Sommer 2019 als Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Hildesheim ab. Der Gefängnisaufenthalt war für sie eine Fortsetzung der Aktion auf dem Flugfeld. Tempel sagte, sie wolle anderen Menschen die Angst vor dem Gefängnis nehmen, damit alle »freier entscheiden« könnten, welche Aktionen sie im Kampf für eine »gerechtere Welt« für richtig hielten.