Ute Weinmann

Seit die Welt um die Existenz russischer Trolle weiß, wimmelt es in aufgeklärten Demokratien nur so von Russland-Experten. Wer die Presse aufmerksam liest, darf sich sogar mit dem Wissen brüsten, dass die auf Zwistigkeiten gepolten Schreiberlinge ursprünglich ihren Geschäftssitz im St. Petersburger Stadtteil Olgino einnahmen, vor dem Umzug in größere und bequemere Räumlichkeiten. Die umtriebigen Trolle mischen überall mit, nur mit eigenen Augen gesehen hat sie von Berlin oder München aus vermutlich kaum jemand.

Es waren vielleicht nicht genug, aber sehr viele. Am Samstag gingen Menschen von Wladiwostok bis Kaliningrad massenweise auf die Straße, allein in Moskau protestierten bis zu 40 000. Anlass war ein Aufruf von Aleksej Nawalny, der Forderung nach seiner Freilassung Ausdruck zu verschaffen. Denn von der Reaktion der russischen Gesellschaft auf die Festnahme nach seiner Rückkehr aus Berlin hängt ab, wie lange er in Haft bleibt.

Bei so manchem aufgekratzten russischen Fan wird man den Eindruck nicht los, dass er seine in den Nationalfarben gehaltene Schminke tagelang nicht vom Gesicht wäscht.

Und solange sie hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind oder vor den Augen eines Polizisten eine Lampe in der Metro zertrümmern will ich mich gar nicht beschweren. Das wäre ohnehin zwecklos.

Russland nimmt jährlich zehntausende Abschiebungen vor, auch nach Usbekistan. Obwohl in dem zentralasiatischen Land nachweislich Foltermethoden angewendet werden. Folter droht auch Chudoberdi Chumatow, der unter dem Pseudonym Ali Feruz für die oppositionelle Zeitung Novaya Gazeta schreibt. Am 1. August wurde der 30jährige Journalist unweit der Redaktion festgenommen und noch am selben Abend in einem Schnellverfahren wegen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz verurteilt. Seither befindet er sich in Abschiebehaft.

Deutschland hat wieder einmal gewonnen. Beim Fußball. Dieses Mal im Confederations Cup in St. Petersburg. Der fand nämlich leider als Generalprobe für die Fußball-WM 2018 in Russland statt. Wo in Hamburg wegen des bevorstehenden G20-Gipfels Ausnahmezustand herrscht, reicht hier in Russland indes ein ödes Sportereignis, um gesetzlich garantierte Freiheiten einzuschränken. Weil die Dumaabgeordneten mit ihrem Pensum nicht fertig wurden, sprang der Präsident in die Bresche. Per Dekret machte er Russland sicherer - und sei es nur für die Zeit des Cups und ein wenig darüber hinaus.

 

Moskau, es ist Wahltag. Gewählt wird die Duma, schon die siebte in postsowjetischer Zeitrechnung. Wählen darf ich allerdings nicht. Das ist nicht nur eine Frage des Passes, sondern der Meldeadresse. Etwa zwei Drittel der volljährigen Einwohner der Megastadt haben offiziell ihren festen Wohnsitz an einem anderen Ort und verfügen bestenfalls über eine befristete Anmeldung. In dem Fall ist der Versuch sich in Moskau einen Wahlzettel zu erschleichen sinnlos.