Sonntag, 15.07.2018 / 11:21 Uhr

It´s all over now, baby blue

Von
Endi Endemann

Tag 11: England – Panama 6:1

Ich verbringe den Sonntag damit, mit X und Y nach bezahlbaren Flügen zurück nach Deutschland zu suchen. Die Herren müssen schließlich am Montag wieder arbeiten. Daran hat die Bundespolizei bei der Datenübermittlung nach Russland natürlich wieder nicht gedacht. Aber wer kann schon wissen, dass solche Fußballchaoten Arbeit haben. Parallel dazu verhandeln meine Kolleginnen und Kollegen mit den russischen Sicherheitsbehörden. Langwierig. X und Y finden Flüge und beschließen, es zu probieren, einfach auszureisen. Hm. Könnte auch schief gehen.

Schon am gestrigen Abend hatte ich beschlossen, auch zum Iran-Spiel nach Saransk zu fahren und mir ein Zugticket gekauft. 16 Stunden in der 3. Klasse. Das wird ein Spaß. Wir fahren zum Bahnhof, um auch Maryam ein Ticket zu kaufen. Online ist nichts zu finden und Sara hat schon einen Flug. Maryam findet ein Ticket, fährt nach mir los und ist 5 Stunden vor mir da.

Unterwegs der erlösende Anruf: X und Y dürfen sich verpissen, ohne eingesperrt zu werden. Yay! Gute Reise!

Um 21 Uhr besteige ich den Zug, Ankunft um 13 Uhr am nächsten Tag. Es klärt sich auch auf, warum dieser Zug 15 anstatt 10-12, wie die meisten anderen für die knapp 650 km braucht. Nein, er fährt nicht rückwärts. Der Zug fährt über Pensa, eine Großstadt ein paar hundert Kilometer südlich von Saransk, was einen Umweg von über 300 km bedeutet. Macht Sinn.


Tag 12: Iran - Portugal 1:1

Ich wache gegen 9 auf und habe fast 8 Stunden gepennt. Die Betten sind ein bisschen zu kurz für mich, aber sonst völlig ok. Ich unterhalte mich mit meinem Abteilnachbarn, der auch zum Spiel fährt. Er kommt aus Pakistan, ist riesiger Fan von Christiano Ronaldo und extra angereist um sein großes Idol einmal spielen zu sehen. Hätte Ronaldo mal wissen sollen, dann hätte er ein paar Stunden später vielleicht nicht seine schlechteste Saisonleistung abgeliefert.

 

WM-Blog-zug

Gegen 11 erreichen wir Rusajewka, mit gerade mal 40.000 Einwohnern (nach Saransk), die zweitgrößte Stadt der Republik Mordwinien. Nach Saransk sind es noch ca. 30 Km. Die Schaffnerin erzählt uns, dass der Zug jetzt erst einmal 90 Minuten planmäßigen Aufenthalt habe. Say what?
Macht überhaupt keinen Sinn! Die spinnen, die Mordwinen.

Nach zwei Wochen Umherfahrerei in Russland haben in unserem Team inzwischen einige Spielorte Spitznamen. Sotschi z.b. ist „Seaside Guantanamo“. Saransk ist dann „Mordwinian Disneyland“.

Mit zwei WM-Touristen aus Indien mache ich einen Stadtbummel. Zu sehen gibt es: eine kleine Kapelle, eine große Lokomotive, die vor der Kapelle steht, eine Lenin Statue, die hinter der Kapelle steht.

Nach zehn Minuten sind wir durch.

In Saransk angekommen, holt mich der alte Fußballgenosse Christian ab, der auch gerade auf WM-Tour ist. Christian sitzt inzwischen als Fanvertreter im Aufsichtsrat von Mainz 05. Da Fans zu dumm sind, einen Verein zu führen und ein zu großer Einfluss von Fans auf den Fußball generell eine Schreckensvision ist, hatte neben anderen der Kicker vor einiger Zeit eine Kampagne gegen ihn gefahren. Christian sollte sich u.a. dazu äussern, dass er bei einem Spiel „in der Nähe“ von Fans stand, die Pyrotechnik gezündet haben. Guter Mann.

Nach zwei Wochen Umherfahrerei in Russland haben in unserem Team inzwischen einige Spielorte Spitznamen. Sotschi z.b. ist „Seaside Guantanamo“. Saransk ist dann „Mordwinian Disneyland“. Die Stadt ist unfassbar sauber und die Architektur wirr. Auf dem Hauptplatz steht ein UFO. Hinter der Kathedrale ist ein kleiner Park, mit Seen und Riesenrad, auf einer Bühne tanzen Einheimische in traditioneller Tracht. Das Publikum ist spärlich. Den Neurussen und Steuerflüchtling Gerard Depardieu, der hier angeblich lebt, treffen wir nicht. Auch Saransker sehen ihn wohl eher selten.

Schon vor der WM gab es in Russland viele kritische Stimmen, die nicht verstanden haben, warum ausgerechnet Saransk mit seinen gerade mal 300.000 Einwohner WM-Spielort wurde. Die Stadt ist klein, hat kaum Infrastruktur und die neugebaute Arena, die nach Rückbau immerhin noch über 30.000 Plätze verfügen wird, ist viel zu groß für den örtlichen Zweitligisten Mordowija Saransk. Mehr zum Fussball in Saransk, wie auch über alle anderen Spielorte kann man in der vorzüglichen Broschüre „Doppelpass mit Russland“ der DFB-Kulturstiftung nachlesen, die zum freien Download erhältlich ist.

Da ich noch keine Rückfahrt habe und online keinerlei Tickets erhältlich sind, gehe ich nochmal zum Bahnhof, vielleicht habe ich ja Glück. Saransk hat viel zu wenig Hotelbetten, am Tag des Spieles ist das günstigste Zimmer bei 800 Euro. Daher bin ich nicht der einzige, der versucht, eine Rückfahrt in der Nacht zu ergattern. Neben mir verzweifelt ein Argentinier. Nach der Auskunft dass es keine Tickets mehr gibt, möchte er den Vorgesetzten sprechen. Diesem erklärt er dann, dass er jetzt gefälligst Putin anzurufen habe, dem er dann persönlich die Meinung geigen wolle. Der Vorgesetzte muss sein Lachen sehr unterdrücken.

In ihrem Hotel treffen wir Thomas von Aniko und Ori aus Jerusalem, der den tollen Blog Babagol betreibt. Wer an Fußball im Nahen Osten interessiert ist, sollte da mal rein sehen. Es sind wieder Zigtausende Iraner in der Stadt. Wir kommen kurz mit iranischen Fans am Nebentisch ins Gespräch. „Woher kommt ihr?“. „Israel“, antwortet Ori. „Und ich drücke heute alle Daumen, dass der Iran weiterkommt.“ Handshakes, Weltfrieden.

Einige der wenigen portugiesischen Fans trinken im Biergarten des Hotels um ihr Leben. Wir sind eher skeptisch, dass sie noch das Stadion von innen sehen werden. Der Nüchternste von ihnen kommt zu uns an den Tisch. „Ihr lacht, aber ich musste mit diesen Idioten mit dem Auto von Portugal hierher fahren.“

Die FIFA hat Wort gehalten und es tatsächlich geschafft, die iranischen Protestplakate aus den Fängen der tatarischen Polizei zu entreißen und nach Saransk zu transportieren. Wir bekommen sie im Stadion zurück, zum zweiten Mal kann Maryam sie zeigen. Wer den Kampf der iranischen Frauen um ihr Recht im Iran, Spiele zu sehen, unterstützen möchte, sollte diese Petition unterschreiben. Durch die breite Berichterstattung weltweiter Medien über Sara und Maryam, haben inzwischen schon 170000 Menschen unterschrieben.

Iran-spiel

Nach dem Spiel die verzweifelte Suche nach Essen und Bier. Saransk mag laut Umfragen eine der lebenswertesten Städte Russlands sein, für uns sieht es aber eher nach Servicewüste aus. Alles hat geschlossen, Mordwinen scheinen die schlechtesten Geschäftsleute der Welt zu sein. Nach vielen Kilometern finden wir eine Burgerbude, die geöffnet hat, tränenreicher Abschied von Maryam und Sara. Wir versprechen zum Teheran Derby zu kommen, sobald sie auch ins Stadion dürfen.

Mein Zug fährt um 3 Uhr nachts, am Bahnhof herrscht völliges Chaos. Zigtausende fahren noch in der Nacht nach Moskau zurück.


Tag 13: Nigeria – Argentinien 1:2

Falle im Zugbett sofort in Ohnmacht und wache erst kurz vor Moskau wieder auf. Kurz Duschen, dann ins Büro.Abends treffe ich mich mit Christian und Ronan beim Georgier. Wo sonst? Nach dem Essen gehen wir zum ersten Mal spätabends auf die Nikolskaya. Die Einkaufstrasse direkt neben dem Roten Platz hat sich in den letzten Wochen zur inoffiziellen Fanmeile entwickelt. Das offizielle FIFA-Fanfest an der Universität ist vielen Fans dann eben doch nicht zentral genug, zudem gibt es auch dort nur überteuerte Budweiser Plörre.

In der Sowjetunion gab bis in die 70er Jahre keine Oberränge, da alle Zuschauer möglichst gleiche Plätze haben sollten. 

Selbst um Mitternacht ist die Hölle los. Man kann buchstäblich kaum laufen. Zehntausende Fans jeglicher Couleur trinken und tanzen auf der Straße. Bier trinken auf der Straße ist nicht wirklich legal und der Alkoholverkauf nach 23 Uhr verboten. Eines der vielen Verbote, die während der WM offensichtlich komplett außer Kraft getreten sind. Viele Moskauer machen das Geschäft ihres Lebens, indem sie warmes Dosenbier aus ihren Rücksäcken verkaufen. Darunter auch viele junge Hools. Überall stehen Polizeikräfte und machen: Nichts. Genaugenommen ist diese „Fanmeile“ für die Polizei nicht unwillkommen, so sind wenigstens alle Massen an einem Ort und verteilen sich nicht über verschiedene Viertel der Stadt. Nur der Rote Platz ist durch Sicherheitsscanner gesichert, die aber auch nicht in Betrieb scheinen. So sieht es hier wirklich jeden Abend aus, das Chaos wird sich nach dem Sieg der Sbornaja am Sonntag gegen Spanien noch einmal potenzieren.  


Tag 14: Serbien – Brasilien 0:2

Heute schaffe ich es endlich mal ins Shchusev Architekturmuseum zu gehen. Während der WM gibt es dort eine Sonderausstellung zu sowjetischer Stadionarchitektur. Kann ich nur jedem empfehlen der noch in Moskau ist (läuft bis zum 26. August). Die Ausstellung ist spannend, vor allem die politischen Implikationen der Stadionprojekte. So gab es in der Sowjetunion bis in die 70er Jahre keine Oberränge, da alle Zuschauer möglichst gleiche Plätze haben sollten. Die Stimme aus dem Audioguide verspricht für das Ende der Ausstellung eine „große Überraschung“. Wir suchen noch heute.

Teambesprechung in der Kneipe. Wir wollen nebenbei das deutsche Ausscheiden gegen Südkorea sehen. Die Kneipe ist: Ein deutscher Biergarten. Danke, Chef. Das war doch Absicht. Das Publikum  besteht allerdings ausschließlich aus Russen und vereinzelten Engländern. Nach dem zweiten Tor von Südkorea sind alle am Jubeln. Ein sehr schönes Spiel.

Am Abend Stadion. Wieder mal Spartak. Letztes Vorrundenspiel von Brasilien. Der Schwarzmarkt boomt, es werden absurde Preise aufgerufen, unter 600 Dollar geht nichts. Das Spiel ist lang und weilig, außer der Rolleinlage von Neymar wird nichts in Erinnerung bleiben. Auf dem Weg nach Hause merke ich, dass ich dringend eine Pause brauche. Die zuständige Redakteurin hat ein Einsehen und gewährt mir Fronturlaub. Morgen früh geht es „nach Berlin!“. Yay.

 

Tag 15: England – Belgien 0:1

Mit Bier, Wodka und Balkongesprächen mit Di und Joe halte ich mich wach und fahre um 4 mit dem Taxi zum Flughafen. Der Fahrer kommt aus Pakistan und hat hervorragende Reflexe, was sich bemerkbar macht, als ein uralter Lada mit Tempo 50 von der Spur ganz rechts auf die vierte (unsere) zieht. Wir fahren 140. Jetzt bin ich SEHR wach und will einfach nur nach Hause.

Ich komme am Flughafen an. Später merke ich, dass ich den Heimflug der deutschen Mannschaft von hier aus nur um 5 Stunden verpasst habe. Das hätte mir mal jemand vorher sagen sollen.

Die Englischen Behörden haben übrigens keine Daten ihrer Staatsbürger an die russischen Kollegen übermittelt. Nicht sehr überraschend. Außer Deutschland scheinen dies nur die Australier gemacht zu haben, von denen einige Fans ihre Fan-ID ebenfalls entzogen bekamen.

Da kurzfristig Flug gebucht, muss ich Gepäck nachzahlen, darf das aber nicht am Schalter erledigen. Ich soll irgendwo anders hingehen und dann wieder kommen. Auf meine Frage, wo ich bezahlen soll, deutet die Angestellte in eine unbestimmte Richtung und schreit irgendetwas auf Russisch, was ich als „Da drüben!“ deute. Da drüben ist: nichts. Zurück zum Schalter, ich muss mich wieder hinten anstellen. „Wo?“, „Da drüben!“, „Wo genau?“, „Da drüben!“, „Da ist nichts?“, „Da drüben!“. Alles ein bisschen wie beim Passierschein A38. Die Kollegin am Nachbarschalter kann sich den stand-off nicht mehr ansehen und führt mich an einen weiteren Schalter, auf dem ein kleiner Zettel mit dem Wort „Kassa“ steht und wo ich meine 12 Euro bezahlen darf. Danke.

Zwei Stunden später: Zwischenlandung in Chisinau, Moldawien. Bis kurz vor Abflug war ich wegen des Flughafencodes KIV davon ausgegangen, dass ich über Kiev fliege. Aber 1. ist der Code von Kiev natürlich KBP und 2. gibts es wegen des Krieges gar keine Direktflüge von Moskau nach Kiev. Jetzt also Moldawien. Schön, war ich auch noch nie. Da der Weiterflug nach Berlin mit einer anderen Fluggesellschaft ist, muss ich einreisen, Gepäck einsammeln und nochmal bezahlen. Service definitiv besser als in Moskau. Die Angestellte am Schalter ist äußerst zuvorkommend:

„Sie müssen bezahlen für das Gepäck“
„Ich weiß.“
„Ein ausgedrucktes Ticket haben sie auch nicht?“ (lacht)
„Nein“
„Das kostet auch“ (lacht)
„Ok, darauf kommt´s auch nicht mehr an“
„100 Euro bitte“
„….“
„Müssen sie aber an der Kasse zahlen“
„….“

Immerhin gibt sie mir genaue Instruktionen und Zeit eine zu rauchen habe ich auch noch. Am Ende mit ca. 20 Minuten, die kürzeste Zeit, die ich jemals in einem Land verbracht habe. Es war wunderschön.

Ankunft in Berlin. Alle klatschen. Als Vielflieger dachte ich bisher das wäre eine typisch deutsche Eigenart. Aber auch Moldawier klatschen. Russen übrigens auch.

Knappe Stunde warten an der Passkontrolle, inzwischen bin ich 30 Stunden wach. Zuhause angekommen, fällt mir ein, dass ich noch ein Telefoninterview mit dem Kicker habe. Der Redakteur ist fit und stellt gute Fragen, auch das gibt´s bei dem Blatt. Ich bin zufrieden.

Habe Zeit  für eine Dusche, bevor ich mit meiner Mum verabredet bin, die gerade in der Stadt ist. Biergarten mit ihr und M. Schön war´s. Hallo Mama, auf bald!


Tag 16/17/18/19

Sofa.

 

Tag 20: Kolumbien – England 3:4 i.E.

Hallo Moskau. Hatte Dich schon vermisst.

Den Nachmittag verbringe ich mit den Kolleginnen und Kollegen der Englischen Fanbotschaft auf dem Moskovskaya Platz. Sie haben nicht allzu viel zu tun. Nach wie vor unglaublich wenig England Fans am Start, am Abend werden etwa 1000 von ihnen im Stadion sein. Und 30.000 Kolumbianer. Wie immer bei Großturnieren, bricht in den Playoff Runden die große Zeit für Schwarzhändler an. Die Kontingente für „Follow your Team“ (garantierte Karten, solange die eigene Mannschaft im Turnier ist) sind relativ klein, ansonsten muss man auf Verdacht die Achtelfinale kaufen vor Turnierbeginn. Zwar bekommen die Verbände jeweils noch mal ein gewisses Kontingent, doch nicht jeder Verband hat Regelungen für eine faire Vergabe dieser. Einer der korruptesten Europäischen Verbände scheint etwa sein Viertelfinalkontingent direkt an Reiseanbieter weiterzugeben, so dass viele Fans, die schon bei den Gruppenspielen da waren leer ausgehen.

Die Englischen Behörden haben übrigens keine Daten ihrer Staatsbürger an die russischen Kollegen übermittelt. Nicht sehr überraschend. Außer Deutschland scheinen dies nur die Australier gemacht zu haben, von denen einige Fans ihre Fan-ID ebenfalls entzogen bekamen. Unter anderem ein Rollstuhlfahrer. Inzwischen gibt es auch eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag, mit etwas umfangreicheren Antworten, die aber natürlich weitere Fragen aufwirft. Hier ist jetzt schon von 37 übermittelten Datensätzen die Rede. Fantastisch in diesem Zusammenhang die herrlich naive Antwort auf Frage 10. Die russischen Behörden lassen sich von einem "Belehrungstext” über Datenschutz sicher sehr beeindrucken.

Da wir keine Karten haben, sehen wir das Spiel im Copa90 Clubhouse. Volkan Ağır, ein befreundeter Journalist aus der Türkei ist auch da. Schön. Er berichtet über die WM unter anderem für eines der letzten in der Türkei verbliebenen Oppositionsmedien, die Gazete Duvar.

England gewinnt ein Elfmeterschießen. Wow. Joe und Di haben herrliche Laune als sie nachts nach Hause kommen.

 

Tag 21: spielfrei

Büro, Büro, Büro.

Wenn man so wie ich schon relativ lange in Welt des Fußballs unterwegs ist, bleibt es nicht aus, dass man so einige Leute kennt, die auch bei der WM unterwegs sind, ein nicht unerheblicher Teil darunter sind Journalisten. Wie es deren Job nun mal mit sich bringt, sind die natürlich immer am Ort des Geschehens und so fahren wir in manchen Fällen dauernd aneinander vorbei. Heute schaffe ich es allerdings endlich mal den Kollegen Andreas Bock von den 11 Freunden zu treffen, der Fabian Scheler von der ZEIT im Schlepptau hat. Die Berichterstattung beider unbedingt mal auschecken, Andreas schreibt auch für den Tagesspiegel, der es im Gegensatz zu den 11 Freunden auch schafft, seine Autoren ordentlich zu verlinken.

Wir gehen noch in die ein oder andere Kneipe, die Straßen sind merklich leerer geworden. Es regnet. Von der sommerlichen, anarchistischen Partystimmung der Vorwoche ist nur noch wenig zu spüren. Die meisten Fans der ausgeschiedenen Teams sind abgereist, alle Viertelfinalspiele finden außerhalb Moskaus statt. Back to reality. Fade to grey.

WM-Blog_final_stadion

Tag 22: spielfrei

Tagsüber Kater und langer Bürotag. Schlechte Mischung.

Morgen will ich eigentlich nach Nischni Nowgorod zum Frankreich-Spiel. Doch es gibt keinerlei Zugtickets. Hier macht sich neben der Ticketvergabe ein weiteres Problem der Play-off Runden bemerkbar. Viele Fans der Teams, die sich potentiell für ein Viertelfinale qualifizieren konnten, haben im Vorfeld bereits halbe Zugkontingente aufgekauft. Doch sie wissen entweder nicht, dass man bei der russischen Staatsbahn Tickets online zurückgeben kann, oder es ist ihnen aus Enttäuschung des Ausscheidens schlicht egal. Die Folge sind halbleere Züge, ohne das Tickets erhältlich sind. Ich drücke F5, bis die Finger wund werden.

Nicht weit vom FARE Diversity House finden wir eine nette Craft-Beer Bar und treffen zufällig Pavel von FARE und Oleksandr, der für das große russische Sportportal sports.ru arbeitet. Beide stammen aus der Ukraine und haben so noch einmal einen ganz anderen Blick auf die WM. Er findet Union gut. Hilfe. Es ist ein netter Abend und die Biere der Micro-Brewery aus St.Petersburg, AFBrew, munden gar sehr.

F5, F5, F5. Keine Tickets. Um 2 gebe ich auf.

Tag 23: Uruguay – Frankreich 0:2

Unverhofft freier Tag. Auch gut. Die Kollegen sind schon auf dem Weg nach Sotschi, für das Spiel der russischen Mannschaft.

Daher habe ich Zeit noch ein paar Punkte abzulaufen, die ich die ganze Zeit schon ansehen wollte. Ich fahre zum Eduard Strelzov Stadion, der Heimat von Torpedo Moskau. Das Stadion kommt auf Anhieb in die Top 10 der schönsten Stadien in denen ich je war. Vier freistehende, verrostete Flutlichtmasten, das Stadion ist an einem Hang mit wunderbarer Sicht auf die Stadt gelegen. Pure Ostalgie. Auf dem Weg zum Stadion gibt es ein paar Ausstellungstafeln zur Geschichte des Vereins. Das komplette Umfeld ist von einem Greenscreen umgeben, überall laufen KomparsInnen in Retrotrikots von Torpedo und Dinamo herum. Offensichtlich wurde hier in den 50/60er Jahren ein Film über die großen Zeiten Torpedos gedreht. Ich kann es kaum erwarten den zu sehen.

Kurz das Frankreich-Spiel gesehen, nicht mehr traurig gewesen nicht dabei gewesen zu sein. Ich gehe ins Biblio-Globus, den riesigen, völlig unüberschaubaren Buchladen in der Stadtmitte. Zwei Highlights: Die Englischsprachige Politik Abteilung besteht zu 90 % aus Büchern von oder über Donald Trump. Und es gibt Fußball Trikots der größten Russischen Autoren. Mit entsprechender Sponsorenaufschrift: „Read Dostoyewsky“, „Read Puschkin“, „Read Tolstoi“. Sauber.

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Danach eine feine Stunde im tollen Museum der sowjetischen Arkade Maschinen verbracht, das 2007 von Moskauer Studentinnen und Studenten gegründet wurde. Für ca. 7 Euro Eintritt bekommt man 15 sowjetische Kopeken Münzen und kann sich an den rund 50 Automaten austoben. Die Maschinen stammen zum Großteil aus den frühen 80er Jahren, die Themen sind überschaubar. Autorennen, Weltraum, Schießen, Sport. Und U-Boote-Simulatoren. Морской бой scheint das russische "Space Invaders" gewesen zu sein, von der Maschine stehen gleich mehrere Exemplare im Museum. Der Spielspaß hält sich in Grenzen, vielleicht bin ich auch nur zu dumm, die 15 Münzen habe ich schnell verballert.

Heute mal früh nach Hause, packen, aufräumen, schlafen.

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Tag 24: Russland – Kroaten 3:4 i.E.

Der Rückflug verläuft unspektakulär. Ich verpasse das England-Spiel, verpasse aber anscheinend wenig.

In einer Kreuzberger Kneipe verfolgen wir das Russland-Spiel. Alle, wirklich alle außer mir sind für Kroatien. Elfmeterschießen, Kroatien gewinnt. Der Traum ist aus, mein Weltmeistertipp lebt.