Ein Mangel an Langeweile in der Politik geht leider oft mit einem Übermaß an Krieg und Gewalt einher

Homestory #42/24

Krieg, Gewalt, Vernichtungsdrohungen: Manchmal wären weniger interessante Zeiten auch nicht verkehrt - oder zumindest anders interessante Zeiten.

»Mögest du in interessanten Zeiten leben« ist wahrscheinlich kein traditioneller chinesischer Fluch, die auf 1936 datierte Quellenangabe des britischen Diplomaten Hughe Knatchbull-Hugessen, auf den die Überlieferung zurückgeht, ist recht vage (»ein Freund hat mir erzählt«) und die Suche nach einem chinesischen Vorbild blieb erfolglos.

Aber Knatchbull-Hugessen lebte in »interessanten Zeiten«, 1937 wurde er beim Angriff eines japanischen Kampfflugzeugs schwer verletzt. Auch später war es meist so, dass ein Mangel an Langeweile in der Politik mit einem Übermaß an Krieg und Gewalt einherging, so dass das angebliche Sprichwort zum globalen Aphorismus wurde.

Wenn der gesellschaftliche Fortschritt schon ausbleibt, könnte der Weltgeist bei der Gestaltung interessanter Zeiten wenigstens etwas mehr Phantasie und Humor zeigen. Schlagzeilen wie »Rätselhafter Haarausfall: Ayatollahs plötzlich bartlos« oder »Botox-Starre: Putin muss Rede absagen« wären ja auch interessant.

Heutzutage hat man manchmal den Eindruck, in den interessantesten aller Zeiten zu leben. Das mag zum Teil am medialen 24/7-Dauerbombardement liegen, jedenfalls hat man lange nicht mehr vom Sommerloch oder der Sauregurkenzeit gehört – so bezeichnete man früher die Zeit im dritten Quartal, in der es wenig zu berichten gab, vor allem weil die Parlamentarier:innen in den Urlaub gingen und die Regierungstätigkeit weitgehend ruhte.

Nun aber lässt es garantiert jemand auch im Sommer richtig krachen. Für Journalist:innen, so könnte man meinen, müssten solche Zeiten reizvoll sein, jedenfalls wenn sie außerhalb der Reichweite von Kampfflugzeugen im Büro oder Homeoffice sitzen.

Aber ganz so zynisch sind wir dann doch nicht. Wenn der gesellschaftliche Fortschritt schon ausbleibt, könnte der Weltgeist bei der Gestaltung interessanter Zeiten wenigstens etwas mehr Phantasie und Humor zeigen. Schlagzeilen wie »Rätselhafter Haarausfall: Ayatollahs plötzlich bartlos« oder »Botox-Starre: Putin muss Rede absagen« wären ja auch interessant.

Aus dem Zauberstab wird plötzlich eine Wäscheklammer

Hilft womöglich ein Fluch? Selbstverständlich glaubt in unserer aufgeklärten Redaktion niemand an derlei Hokuspokus. »Als wissenschaftlich denkender Mensch ist mir klar: Wer selbst verflucht ist, kann andere nicht effektiv verfluchen; und da ich auf dieser Welt lebe, bin ich ja wohl eindeutig verflucht«, lautet eine Analyse.

Eine Redakteurin bekundet: »Ich möchte, dass jemand in der Hölle schmort, das Problem ist, ich glaube nicht an die Hölle.« Aber auch auf Risiken im magischen Kampf wird hingewiesen: »Meine Flüche bleiben leider immer wirkungslos, manchmal wird mein Zauberstab auch plötzlich eine Wäscheklammer.«

Zum Glück geht es nur im Traum um den Kampf gegen die bösen Machenschaften eines Voldemort. Aber wer weiß schon genau, was Putin – er steht recht weit oben auf der Liste potentiell zu verfluchender Personen – so drauf hat? Der ukrainische Oligarch Hennadij Korban hat es schon im August 2022 mit einem kabbalistischen Fluch versucht, offenbar erfolglos. So schnell wird es also wohl nichts mit einem Zeitalter der geruhsamen Langeweile.