Ein Auszug aus dem Buch »Oben ohne«

Vom Strand bis Social Media: Wo wessen Brüste stören

Als Gabrielle Lebreton sich 2021 an einem Berliner Wasserspielplatz oben ohne neben ebenfalls halbnackten Männern sonnen will, wird sie ermahnt, die Polizei wird gerufen und sie verliert – zumindest in erster Instanz – vor Gericht. Im selben Jahr erstreiten Aktivist:innen in Göttingen, dass in Schwimmbädern alle Geschlechter oben ohne baden dürfen – allerdings nur am Wochenende. Und während Social-Media-Konzerne sich beim Eindämmen von Hate Speech und Fake News schwertun, müssen weibliche Nippel sorgfältig zensiert werden. Aus Angst wovor eigentlich? Ein Auszug aus der bei Edition Nautilus erschienenen Streitschrift »Oben ohne«.
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Sommer in Deutschland. Ich stehe in der Schlange vor dem Freibad. Und ich möchte schwimmen. Und zwar oben ohne. Schaffe ich das? Schaffe ich es, mich obenrum auszuziehen und vom Handtuch oben ohne bis ins Becken und zurück? Eine kleine Frage für die Menschheit, eine große Frage für mich. Denn ich ahne, dass ich scheitern könnte. Nicht an meinem BH-Verschluss. Sondern an meiner mangelnden Entschiedenheit. Entschiedenheit im Kampf gegen die Cancel Culture.

Und zwar eine Cancel Culture für »weibliche« Nippel. Denn anders als AfD und Trump-Fans behaupten, darf man zwar in unserer Gesellschaft so gut wie alles sagen. Man darf aber in unserer Gesellschaft nicht alles tragen: Wer als Frau gilt, wie ich, darf keine nackten Nippel tragen. »Oben ohne« ist ein Privileg für Typen! Während männlich gelesene Brustwarzen einfach nur zwei banale dunkle Flecken auf einem Oberkörper sind, sind weiblich gelesene Brustwarzen zwei Steine des Anstoßes. Sie stören.

Sie stören Ordnungsdienste, Instagram und Freibadgäste in der Regel mehr als ein Rammstein-Tattoo, schuppiges Haar oder labbrige Pommes. Und wie diese Ordnungshüter:innen sowie weite Teile unserer Gesellschaft mit weiblich oder männlich gelesenen Nippeln umgehen, ist Ausdruck unserer jeweiligen Freiheit. Ausdruck unserer Rolle in der Gesellschaft. Ausdruck unseres Platzes in der Welt.

Ich nähere mich der Kasse. Ich will heute einfach nur baden wie die Typen. Dass mein Versuch in der lokalen Presse und in rechten Blogs landen wird, und die Freibadregeln im Stadtrat, ahne ich da noch nicht.

Ich werfe einen Blick ins Bad. Noch 100 Meter bis zum Schwimmbecken. Dieses Schwimmbecken ist mein Ziel. Da möchte ich rein. Bahnen schwimmen. Nur in Badehose. Warum? Weil ich es mag, wenn meine Brüste im Wasser zu schweben beginnen. Und weil ich es mag, wenn hierarchische Ordnungen ins Wanken geraten.

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