In Kenia steigt die Zahl brutaler ­Femizide

Todesurteil Frausein

In Kenia steigt die Zahl brutaler Frauenmorde an. In den sozialen Medien wurden die Opfer teils wüst beschimpft und selbst für ihren Tod verantwortlich gemacht. Doch es regt sich auch landesweiter Protest gegen die Gewalttaten.

Nairobi. Tausende von Menschen haben am Samstag in Nairobi, Mombasa, Kisumu, Nakuru und anderen Großstädten Kenias gegen die jüngsten brutalen Morde an Frauen protestiert und ein Ende der Femizide gefordert. Es war die größte Veranstaltung, die jemals in dem ostafrikanischen Land gegen geschlechtsspezifische Gewalt stattgefunden hat. In der Hauptstadt Nairobi brachten die Demonstrantinnen auf dem Weg zum Parlament den Verkehr zum Stillstand; sie trugen T-Shirts mit den Namen von Frauen, die im Januar ermordet worden waren. Mit den Slogans »Frausein darf kein Todesurteil sein« und »Gerechtigkeit für Frauen« forderten sie, die Mörder zur Rechenschaft zu ziehen.

Am 4. Januar wurde die 26jährige Starlet Wahu aus Nairobi in einer Air­bnb-Wohnung im Stadtteil South B ­ermordet aufgefunden. Wahu wurde von Überwachungskameras gefilmt, als sie am Abend zuvor in Begleitung eines Mannes in die Wohnung ging. Stunden später verließ der Verdächtige die Wohnung allein, wobei er anscheinend verletzt war und blutete. Wahus Autopsie ergab, dass sie durch Strangulation und einen tiefen Schnitt im Oberschenkel starb, der auch eine Vene durchtrennt hatte. Der Verdächtige wurde später in einem städtischen Krankenhaus in Gewahrsam genommen, wo er wegen einer Stichwunde in Behandlung war. Er soll zu einem kriminellen Ring gehören, dessen Mitglieder Frauen erpressen und vergewaltigen, die sie über Dating-Web­sites ansprechen.

Nach Angaben von Amnesty International Kenya wurden seit dem 1. Januar mindestens zehn Femizide gemeldet, was geschlechtsspezifische Gewalt in die nationalen Schlagzeilen rückte.

Die Demonstrationen initiierte die gemeinnützige Organisation Usikimye, deren Name »Seid nicht leise« bedeutet und die sich für die Beseitigung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt einsetzt. Zusammen mit den NGOs Feminists in Kenya und Zamara Foundation verurteilte sie den jüngsten Anstieg bei Femiziden in Kenia und riefen Frauen, Verbündete, Organisationen der Zivilgesellschaft und Regierungsvertreter auf, sich ihnen bei den Märschen anzuschließen. Nach Angaben von Amnesty International Kenya wurden seit dem 1. Januar mindestens zehn Femizide gemeldet, was geschlechtsspezifische Gewalt in die nationalen Schlagzeilen rückte.

In den sozialen Medien häuften sich zugleich Äußerungen, dass die Frauen es verdient hätten, getötet zu werden, um anderen als »Warnung« zu dienen und als »Strafe« für ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Handlungen an Männern. Beim Microblogging-Dienst X trendete zwar der Hashtag #StopKillingWomen, nachdem allerdings bekannt geworden war, dass Wahu die jüngere Schwester eines umstrittenen Evangelisten war, gaben viele auch ihr selbst die Schuld an ihrer Ermordung. Diese sei durch »falsche Entscheidungen verursacht« worden; manche sprachen von ausgleichender Gerechtigkeit, um den luxuriösen Lebensstil zu strafen, den Wahu zuvor in den sozialen Medien gezeigt hatte und der angeblich von Männern finanziert wurde. Angestachelt werden die Tweets von misogynen Männerbloggern mit zahlreichen Followern.

Die Aufregung über den Mord hatte sich noch nicht gelegt, als am 14. Januar die zerstückelte Leiche einer jungen Frau ohne Kopf in einer Wohnung in Roysambu, einem Vorort von Nairobi, gefunden wurde. Die Leiche wurde als die der 20jährigen Rita Waeni identi­fiziert, einer Studentin im dritten Jahr an der Jomo Kenyatta University of Agriculture and Technology. Die Ermittlungen ergaben, dass ein Mann die Wohnung über Airbnb gemietet hatte, in die Waeni eingeladen wurde. Später wurde ein Frauenkopf, vermutlich der Waenis, in einem Stausee im Bezirk Kiambu geborgen.

Daraufhin wurden zwei nigerianische Staatsangehörige verhaftet, die sich ­illegal im Land aufhielten und als enge Vertraute des mutmaßlichen Mörders gelten, der noch auf freiem Fuß ist. Auch Waeni wurde in den sozialen Medien verunglimpft. Einige behaupteten, sie habe eine lockere Moral gehabt und das erkläre, warum sie sich mit einem Fremden in einem Airbnb-Apartment verabredet habe. Der Mörder hatte Waeni auf Instagram verfolgt und sie mehrfach um ein Treffen gebeten, was sie zunächst ablehnte, doch schließlich gab sie nach und traf sich mit ihm.

Etwa 80 Prozent der Tötungsdelikte fanden der Datenbank »Silencing Women« zufolge zu Hause statt.

Eine Zusammenstellung von mehr als 500 Femiziden von Januar 2016 bis Dezember 2023 zeigt, dass in 75 Prozent der Fälle die Täter Intimpartner, Ehemänner, Freunde oder Familienmitglieder waren. Die Datenbank mit dem Titel »Silencing Women« haben die Datenjournalist:innen von Africa Data Hub erstellt, einem gemeinsamen Projekt der Datenanalysefirma Odipo Dev in Nairobi und des Investi­gativportals Africa Uncensored. Die Männer begründeten ihre Taten meist damit, dass sie sich nicht hätten zurückhalten können oder wütend auf die Frau gewesen seien, die ihnen ihrer Ansicht nach »unrecht« getan habe. Den meisten der gemeldeten Femizide ging ein Muster gewalttätigen Missbrauchs durch die Partner der Opfer voraus. Die Daten zeigen, dass 80 Prozent der Tötungsdelikte in den Häusern der Opfer stattfanden. Frauen im Alter von 18 bis 40 Jahren bildeten demnach die größte Gruppe der Opfer. Allerdings werden längst nicht alle Fälle gemeldet.

»Durch diese umfassende Sammlung von Tötungen wird deutlich, dass diese Tragödien weitaus häufiger sind, als bisher festgestellt wurde. Und dass es sich bei den Tötungen nicht um Einzelfälle handelt, sondern sich wiederkehrende Muster zeigen, die auf ein tieferes und systemischeres Problem hinweisen«, heißt es in dem Bericht. Die Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Femiziden zogen sich teilweise über Jahre hin und führten in einigen Fällen nicht einmal zur Verurteilung der Täter. Die kenianische Regierung hat die jüngsten Morde verurteilt und zugesagt, Maßnahmen zu ergreifen, da sie zusehends unter innenpolitischen Druck gerät.

Im Dezember 2023 wurde – eher entgegen bisherigen Gepflogenheiten – der 33jährige Naftali Kinuthia wegen Mordes an der Medizinstudentin Ivy Wangeci im April 2019 zu 40 Jahren Haft verurteilt. Naftali verteidigte sich damit, dass Wangeci ihn provoziert habe, nachdem sie die Liebesbeziehung mit ihm beendet hatte und mit einem anderen Mann zusammen war. Naftali sagte auch, dass er viel Geld für die Verstorbene ausgegeben und sie ihn trotzdem wegen seiner kleinen Statur zurückgewiesen habe. Diese Gründe hatten ihn dazu veranlasst, sie am helllichten Tag mit einer geschärften Axt zu erschlagen. Damals wurde auch Wangeci in den sozialen Medien beschimpft, weil sie Geld von einem Mann erhalten hatte, an dem sie kein Interesse hegte, was nach Ansicht ­einiger den Mord rechtfertigte. Das Bezirksgericht der Stadt Eldoret sah das zum Glück anders.