In Kenia wird seit Monaten heftig gegen die Regierung und die gestiegenen Preise protestiert

Ende der Randale in Sicht

Im Juli gab es in Kenia gewaltsame Auseinandersetzungen von Demonstranten mit der Polizei. Der Oppositionsführer Raila Odinga hatte zu Protesten gegen die seiner Meinung nach unrechtmäßige Regierung aufgerufen, mittlerweile entzünden sie sich an den steigenden Lebenshaltungskosten.

Mombasa. Die Situation war lange Zeit verfahren, nun deutet sich leichte Entspannung an. Seit März hatte Kenias Oppositionsführer und ehemaliger Ministerpräsident Raila Odinga seine Anhänger immer wieder zu Demonstrationen gegen die Regierung aufgerufen, im Juli gleich dreimal. Vielerorts sind die Proteste in Plünderungen, tödliche Zusammenstöße mit der Polizei und Hunderte Festnahmen ausgeartet. Die Polizei setzte Gummigeschosse, scharfe Munition und Tränengas ein, um Steine werfende Demonstranten zu vertreiben. Slums in der Hauptstadt Nairobi und in Kisumu, der drittgrößten Stadt des ostafrikanischen Landes, waren am stärksten betroffen. Ende Juli mussten durch einen Einsatz von Tränengas auf dem Gelände der Kihumbuini-Grundschule in Nairobis armem Vorort Kangemi mehr als 50 Schüler mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Schulen und Universitäten wurden daraufhin bei erneuten Protesten ­vo­rübergehend geschlossen, auch Geschäfte blieben zu.

Die Regierung warf der Opposition vor, Chaos zu schüren, und kündigte an, keine weiteren Proteste mehr zu gestatten – obwohl die kenianische Verfassung das Recht garantiert, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln. »Genug ist genug, wir können keine Anarchie akzeptieren«, sagte Präsident William Ruto vor seinen Anhängern. Berichte und Videos zeigen, wie die Polizei unbewaffnete, am Boden liegende Demonstranten bewusstlos prügelt und Tränengas in Wohnhäuser schießt. Odinga beschuldigte die Polizei, mit »beispielloser Brutalität« gegen Demonstranten vorzugehen – und auch gegen Unbeteiligte. Vorvergangene Woche wurde der 19jährige Gymnasiast Fidel Castro Ochieng in Kisumu von ­einem Polizeibeamten neunmal angeschossen. Ochieng spielte nach eigenen Angaben mit einer Gruppe von Freunden Karten, als eine Gruppe von Polizeibeamten auftauchte und begann, die Spielenden mit Knüppeln zu schlagen. Als die Angegriffenen versuchten zu fliehen, schoss ein Beamter auf sie.

Mehr als zwei Dutzend Menschenrechtsgruppen, darunter Amnesty International, gaben an, sie hätten Beweise für 27 »außergerichtliche, standrechtliche und willkürliche Hinrichtungen« allein im Juli. Odingas Bündnis aus Oppositionsparteien, Azimio la Umoja (Erklärung der Einigkeit, kurz Azimio), kündigte am Dienstag vergangener Woche an, es werde beim Internationalen Strafgerichtshof Anklage gegen die Regierung wegen »staatlich gebilligter Gräueltaten der Polizei« erheben.

Im August 2022 setzte sich der damalige Vizepräsident Ruto von der United Democratic Alliance (UDA) in der Präsidentschaftswahl nur knapp gegen seinen Rivalen Odinga durch, der bereits fünf Mal erfolglos angetreten war. Odinga sprach daraufhin von Wahlmanipulation. Einige Mitglieder des Wahlausschusses weigerten sich, das Ergebnis zu bestätigen, der Supreme Court entschied jedoch, dass es gültig und die Wahl korrekt abgelaufen sei. Odinga erkennt Ruto aber nicht an und hatte die seit Ende März immer wieder aufflammenden Proteste zunächst initiiert, um Unmut über den seiner Ansicht nach erfolgten Wahlbetrug auszudrücken. Bald ging es den Protestierenden aber vielmehr um die hohen Lebenshaltungskosten im Land.

Die Regierung warf der Opposition vor, Chaos zu schüren, und kündigte an, keine weiteren Proteste mehr zu gestatten – obwohl die kenianische Verfassung das Recht garantiert, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln.

Der seit Mitte September 2022 amtierende Präsident Ruto hatte den Menschen im Wahlkampf ein besseres Leben versprochen. Doch eingelöst hat er das nicht, was zu wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt hat, die noch unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie leidet. Viele können sich inzwischen nicht einmal mehr Grundnahrungsmittel wie Maismehl, Reis oder Speiseöl leisten und demonstrierten zuletzt auch gegen mehrere Steuererhöhungen sowie die Einführung neuer Steuern. Die Regierung rechtfertigt diese mit der hohen Staatsverschuldung und den fälligen Schuldrückzahlungen. Viele afrikanische Staaten haben sich während der Pandemie überschuldet, um Folgen von Schließungen und Quarantänemaßnahmen abzumildern.

Eigentlich sollten die neuen Steuern schon seit dem 1. Juli gelten. Doch der Supreme Court muss nach Einsprüchen noch über deren Rechtmäßigkeit entscheiden. Gestiegen sind allerdings schon die Preise an den Tankstellen, da die Mehrwertsteuer auf Treibstoff von acht auf 16 Prozent erhöht wurde. Die höheren Transportkosten wirken sich auch auf alle anderen Preise aus. Das trifft die Menschen in einer bereits schwierigen Lage. Ganz Ostafrika hat zuletzt die schlimmste Dürre seit vier Jahrzehnten durchgemacht, die Ernten verdorrten und das Vieh verendete. Gleichzeitig stiegen durch den Krieg gegen die Ukraine weltweit die Getreidepreise. Die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch.

Eines der Wahlversprechen Rutos, der gerne seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen hervorhebt, war ein aus der marxistisch-leninistischen Theorie entlehntes »Bottom up«-Wirtschaftsmodell, das die Armut der Bürger »von unten nach oben«, unter anderem durch die Senkung der Lebenshaltungskosten und die Schaffung von Arbeitsplätzen, bekämpfen sollte. In seiner Antrittsrede der UN-Generalversammlung am 22. September 2022 sagte Ruto: »Die unterste Milliarde kämpft unermüdlich um ihr tägliches Überleben in einer überfüllten Arena, die durch Mangel an Möglichkeiten und eine allgemein prekäre Existenz gekennzeichnet ist.« Ruto bat internationale Kreditgeber, Kenia und anderen Entwicklungsländern, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind, einen Schuldenerlass zu gewähren.

Die Opposition entschloss sich Ende Juli, weitere geplante Proteste zu verschieben und stattdessen Mahnwachen für die getöteten Demonstranten ab­zuhalten – auch auf zunehmenden internationalen Druck hin. Gesandte aus 13 westlichen Ländern, darunter Deutschland, verurteilten die gewaltsamen Auseinandersetzungen und forderten beide Seiten dazu auf, die Proteste zu beenden und ihre Auseinandersetzung beizulegen. Odinga hatte bereits im April und Mai Demonstrationen abgesagt, nachdem Ruto einem Dialog zugestimmt hatte, doch die Gespräche scheiterten. Am Montag haben sich Kenias Regierung und das Oppositionsbündnis nun auf Gespräche und die Bildung eines zehnköpfigen Komitees geeinigt, das einige der Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg räumen soll.

Übersetzt von Hans Hofele.