Das neue Jahr beginnt klebrig: eine Likör-Dusche für Bärchen und die Milchbubis

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Das Averna-Desaster

Silvester wollten Julia und ich unbedingt feiern. Eine Party zu Hause bei uns mit vielen Leuten. Einfach deshalb, weil das vergangene Jahr für uns ganz gut lief. Auch wenn das nicht für die Welt drumherum galt. Solange es noch gut läuft, sollst du feiern. Wer weiß, was das neue Jahr bringt?

Allerdings: Mein Zimmer, der Partyraum, stand voll mit Zeug. Ich habe im vorigen Jahr um die 1.000 Platten gekauft, für die es noch immer keinen Regalplatz gibt. ­Wohin damit? (Ich weiß, 1.000 klingt viel, aber die meisten waren sehr billig, kosteten zwischen 50 Cent und einem Euro. Um die Ecke hat ein neuer Second-Hand-Plattenladen aufgemacht, der 100.000 Singles im Keller stehen hat. Unheimlich viele Platten, die ich noch nie gesehen hatte, fast direkt vor meiner Haustür. Da wurde ich natürlich ein guter Kunde.)

Wir legten im Ping-Pong-Stil auf, wechselnd zwischen meinen Technics Turntables und einem Handy. Es war mega!

Wochenlang schob ich das Aufräumproblem vor mir her. Erst am Vorabend der Party hatte ich die zündende Idee. Wir wohnen im vierten Stock. Als Zwischenlösung würde ich alles in den Eingang vor dem Dachboden, eine Etage höher stellen. Stundenlang buckelte ich Kisten nach oben, schleppte, stapelte und schwitzte. Endlich war der Partyraum fertig. Getränke hatte ich schon an den vorherigen Tagen besorgt, jetzt mussten nur noch Salate und eine Suppe gemacht werden.

Als am Abend die ersten Gäste eintrudelten, war ich schon reichlich erschöpft. Mit rund 20 Leuten tanzten und sangen wir stundenlang ununterbrochen in meinem leergeräumten Musikzimmer. Wir legten im Ping-Pong-Stil auf, wechselnd zwischen meinen Technics Turntables und einem Handy. Es war mega! Gegen halb drei ging ein Schwung Leute, ich merkte plötzlich, wie müde ich war, und setzte mich in die Küche. In meinem Zimmer dröhnten die Lautsprecher, obwohl nur noch drei Leute zuhörten.

Die waren mittlerweile zum Schnaps über­gegangen. Ich hörte es poltern. Eine Arbeitskollegin von Julia kam in die Küche und zeigte mir ein Buch: »Sorry, mir ist der Averna ­drüber gelaufen. Schlimm?« Ich erkannte J. E. Berendts »Jazzbuch«, die Taschenbuchausgabe von 1955. Gut möglich, dass es das meistverkaufte Jazzbuch der Welt ist. Wert 50 Cent. »Kein Pro­blem, macht gar nichts«, antwortete ich und wischte kurz drüber. Gegen drei ging ich erschöpft ins Bett, als die letzten Gäste noch in der Küche saßen.

Am nächsten Tag hatte ich zum Glück keinen Kater. Julia hatte die Partyreste größtenteils noch in der Nacht weg­geräumt, während ihr die letzten Gäste in der Küche noch Gesellschaft leisteten. Langsam und zufrieden schlich ich am Neujahrsmorgen durch die noch für die Party aufgeräumte Wohnung.

»Scheiße«, rief ich, als ich plötzlich feststellte, das der Averna, ein süßer italienischer Likör, nicht nur über das Jazzbuch gelaufen war, sondern auch ausgerechnet über die neuen, erst in den vergangenen Jahren erschienenen Platten. Die hatte ich nicht auf den Zwischenboden gebracht, weil ich einige davon aufgelegt hatte.

»Verdammte Scheiße! Nicht auch über ›Bärchen und die Milchbubis‹.« Überall klebte das Zeug. Die Besucherin hatte anscheinend ein ganzes Glas Averna verschüttet: auf Max Müllers »Ich könnte du sein – aber du niemals ich«, den »Schnitzelbeat Sampler Teil 3«, die LPs von Acht Eimer Hühnerherzen, Maulgruppe, Cosey Mueller, Grateful Cat, Knarf Rellöm Arkestra, Belgrado, Emaskülatör und Team Scheiße.

Stundenlang putzte ich fluchend. Es war eine super Party!