Christiane Rösingers »Große Klassenrevue« im Berliner HAU

Lustig war’s

Christiane Rösingers »Große Klassenrevue« im Berliner HAU ist außerordentlich unterhaltsam, krankt aber daran, dass sie der Selbstvergewisserung einer Bewegungslinken dient, die nicht über sich selbst lachen kann.

»Die große Klassenrevue« von Christiane Rösinger feierte bereits im September 2023 im Berliner Hebbel am Ufer (HAU) ihre ausverkaufte Premiere. Nun wird das Stück für zwei Termine neu aufgelegt. Mit dem Erfolg der »Klassenrevue« knüpft Rösinger an vergangene Regiearbeiten im HAU an: »Planet Egalia – Ein feministisches Singspiel« (2021), das eine Utopie entwarf, die das Geschlechterverhältnis umdreht, und »Stadt unter Einfluss – Ein wohnungspolitisches Musical« (2019), das sich als Beitrag zur Berliner Mieter:innen­­bewegung verstand.

Rösinger hat mehrere Bücher geschrieben, am bekanntesten dürfte sie jedoch durch die feministische Veranstaltungsreihe »Flittchenbar« und natürlich durch die Bands Lassie Singers und Britta sein, die sie beide mitgegründet hat. Die Bands sowie Rösingers Soloprojekt schafften es immer, einen Geist politischen Widerstands mit Melancholie und Witz zu verbinden.

Auch »Die große Klassenrevue« ist ein Agitpop-Spektakel. Einer Revue entsprechend werden viele Lieder gesungen, gespickt mit Wortbeiträgen und Tanz. Ein Conférencier führt durch das Programm, dessen Szenen thematisch miteinander verbunden sind. Der Ankündigungstext stellt die Inszenierung in die Tradition des »proletarischen Theaters« von Erwin Piscator, dessen »Revue Roter Rummel« im Auftrag der KPD 1924 uraufgeführt wurde.

Das Bemerkenswerte ist, dass das gesamte Stück selbst ebenjenen Diskursen verhaftet bleibt, die es kritisiert.

»Die große Klassen­revue« beleuchte »unter der skrupellosen Verwendung aller darstellerischen Möglichkeiten heutige Klassenverhältnisse«, dekonstruiere den »Mythos Mittelschicht« und den »Modebegriff Klassismus«. Die Aufstiegsideologie werde widerlegt, die Erfahrung prekären Lebens vermittelt und linke Erbscham therapiert.

Das Stück hat Spaß gemacht – trotz dieses Unbehagens. Schon eine »Programmreihe zu Klassenverhältnissen« namens »Wem gehört die Welt?« (in deren Rahmen die Revue im HAU gezeigt wird) in einer Zeit zu veranstalten, in der die akademische Linke von der Notwendigkeit »neuer« oder »verbindender Klassenpolitik« redet, ohne dass entsprechende politische Praktiken in bedeutsamem Umfang irgendwo zu beobachten wären, ist nicht ohne Ironie. Polemisch müsste man wohl schlussfolgern: Na, wenn sie halt nicht wollen, die Massen der Lohnabhängigen, dann predigen es sich linksbewegte Kulturmenschen halt wenigstens selbst im Theater.

Agitpop-Spektakel. Im HAU werden für »Die große Klassenrevue« die ­roten Fahnen ausgegraben

Agitpop-Spektakel. Im HAU werden für »Die große Klassenrevue« die ­roten Fahnen ausgegraben

Bild:
Christoph Voy

Diese Selbstbespiegelung und Selbstvergewisserung einer Bewegungslinken, aus der sich, dem Erscheinungsbild nach zu urteilen, das Publikum der Premiere rekrutierte, war sehr lustig und schien sogar das Potential zur Selbstreflexion zu haben. Um dies zu nutzen, hätte man angesichts der aussichtslosen Situa­tion linker Politik aber auch mal gehörig über sich selbst lachen müssen.

Wenn es schon im Gegensatz zu Piscators Zeiten keine Ar­beiter:in­nen­bewegung mehr gibt, von der man erhoffen könnte, den Klassengegensatz revolutionär zu überwinden, sollte das Lachen über die Klassenverhältnisse dann nicht auch den Linken gelten, und sollten diese sich angesichts ihrer Hilflosigkeit den Verhältnissen gegenüber nicht auch erschüttern lassen? Fehlanzeige. Gelacht wurde über die anderen, die es nicht begriffen haben: die nervige Neiddebatte, die sich im Auftritt der als Bakterium kostümierten Stefanie Sargnagel aufdrängt, oder die Aufstiegsideologie, die als Instrument der Herrschenden entlarvt wird – alles linke Gemeinplätze.

Gelacht wurde auch über das, was heute oft Identitätspolitik genannt und als Hindernis für eine »neue Klassenpolitik« kritisiert wird: die Diskriminierungsolympiade des Privilegienchecks, Scham und Schuld von Kindern aus bürgerlichen Milieus, die sich mit Subalternen zu identifizieren begehren, ohne von ihren Privilegien abzulassen, oder der »Modebegriff Klassismus«, der den ökonomischen Klassenbegriff verwischt, indem er den Klassenstandpunkt als Ergebnis kultureller Diskriminierung begreift.

Doch das Bemerkenswerte ist, dass das gesamte Stück selbst ebenjenen Diskursen verhaftet bleibt, die es kritisiert. Es zeigt eine Aneinander­reihung biographischer Diskriminierungserfahrungen – letztlich also doch »Klassismus«: vom Pech, eigene Fähigkeiten und eigenes Wissen vom bürgerlichen Bildungsideal ausgeschlossen zu sehen, zum Glück von Bürger:innenkindern, sich unbezahlte Praktika im Kulturbetrieb zu leisten.

Das Ende vom Lied ist folgerichtig: kein Aufruf, die Verhältnisse umzuwerfen, die den Klassenwiderspruch überhaupt hervorbringen, sondern nur der nach radikaler Umverteilung.

Dabei bleiben die prekären Lebensumstände neben den privilegierten stehen, was für moralische Entrüstung über Ungerechtigkeit sorgt, die sich dann im gemeinsamen Lachen Luft machen darf. Dafür wird auf der Bühne beispielsweise eine Art Tribunal über einen Millionär veranstaltet, in dem er ausgelacht wird, wenn das »Quartiersmanagement Grunewald« ihm moralische Verkommenheit attestiert. Und Sargnagel gibt eine Anleitung gegen moralische ­Defizite im Publikum: Linker Erb­scham könne man durch Offenheit über Vermögensverhältnisse, Auf­arbeitung ihrer Geschichte und Verzicht begegnen.

Mit Klassenpolitik hat solch ein pastorales Ritual freilich wenig zu tun. Es hat eher eine identitätspolitische Funktion: Was im Dienst der Selbstvergewisserung außerhalb der eigenen Identität als Verworfenes hingestellt und verlacht wird, muss innerhalb bereinigt werden, um die Identität nicht zu gefährden. Soziale Moral- statt sozialistische Sozial­kritik zieht sich also durch den Abend.

Vor einem weißen Tuch wird ein Gedicht vorgetragen, das den Kapitalismus erklären sollte: »Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich«, sprach der Arme zum Reichen. Und die Vermittlung? Schließlich macht der Vergleich von klassenspezifischen Lebensumständen noch nicht das Klassenverhältnis aus, dessen Darstellung das Programm verspricht. Das Ende vom Lied ist folgerichtig: kein Aufruf, die Verhältnisse umzuwerfen, die den Klassenwiderspruch überhaupt hervorbringen, sondern nur der nach radikaler Umverteilung – kein Zitat von Karl Marx, sondern eines von Émile Durkheim wird eingeblendet, dessen politisch-theoretische Mission die moralische Integration der Gesellschaft war. Und dazu die identitätspolitische Umkehrung der Perspektive: das »Empowern« der Betroffenen, die sich dem Opfernarrativ entwinden und selbst bestimmen, wer und was sie sind.

Was, wenn sich im einhelligen Lachen einzig die Bestätigung der eigenen politischen Posi­tion ausdrückt, die längst die Identitätspolitik und deren Verständnis von Klassismus in sich aufgenommen hat und nicht mal mehr in der Lage ist, das zu erkennen oder gar zu kritisieren?

War das alles eine kluge List? Luise Meier hat im ND von einer selbst­ironischen Spiegelung des Verblendungszusammenhangs geschrieben. Im gemeinsamen Lachen darüber meint sie ein »Vorspiel zur Revolution« zu erkennen. Das ist eine schöne Deutung. Aber was, wenn sich im einhelligen Lachen einzig die Bestätigung der eigenen politischen Posi­tion ausdrückt, die längst die Identitätspolitik und deren Verständnis von Klassismus in sich aufgenommen hat und nicht mal mehr in der Lage ist, das zu erkennen oder gar zu kritisieren?

So kann dann selbst die jeder Klassenpolitik unverdächtige Berliner Morgenpost die »Klassenrevue« als »wahrhaftig, klug und voller Liebe« preisen. Auch Jenni Ziegler fand in der Taz alles total gelungen, bis auf den (nicht vorhandenen) Makel, »dass jedoch andere ›Ismen‹ kaum vorkommen, nur sehr kurz«, was »angesichts des Diskurses über Intersektionalität schade« sei.

Warum hinterlässt »Die große Klassenrevue« am Ende den Eindruck, ebenjenen Klassenbegriff zu repro­duzieren, den sie zu verlachen vorgibt? Vielleicht liegt es an Verhältnissen, die kaum noch eine andere Vorstellung linker Praxis zulassen. Aber vielleicht sollte das ideologiekritische Gewissen für die Dauer eines Theaterabends auch mal schweigen, denn sehr gute Unterhaltung ist das Stück so oder so.

»Die Große Klassenrevue« wird wieder am 8. und 9. Januar im HAU Berlin aufgeführt.