Ein Gespräch mit Taghi Rahmani über den Kampf seiner inhaftierten Ehefrau Narges Mohammadi für Frauenrechte und Demokratie

»Weg des Widerstands«

Die iranische Menschenrechtlerin Narges Mohammadi bekommt den Friedensnobelpreis 2023 verliehen. Unser Interview mit ihrem Ehemann, dem in Paris lebenden iranischen Dissidenten Taghi Rahmani, fand wenige Tage vor der Bekanntgabe statt. Rahmani spricht über das Schicksal seiner im Iran inhaftierten Ehefrau, ihren Einsatz für Frauenrechte und Demokratie und ihren Kampf gegen »weiße Folter«.

Ihre Ehefrau Narges Mohammadi verbüßt wegen ihres politischen Engagements eine mehr als zehnjährige Haftstrafe im Teheraner Evin-Gefängnis. Zudem wurde sie zu 154 Peitschenhieben verurteilt. Was ist über ihre Situation bekannt?

Narges ist zurzeit im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses. Sie hatte bereits eine Herzoperation und müsste eigentlich unter ständiger ärztlicher Aufsicht stehen. Mental geht es ihr gut. Sie versucht, auch aus dem ­Gefängnis heraus die Stimme der Bewegung »Frau, Leben, Freiheit« zu ­verstärken. Meiner Meinung nach ist das genau die Rolle eines Menschenrechtsaktivisten, dass er die Stimme der Stimmlosen ist, auch wenn er ­einen hohen Preis dafür bezahlen muss – dazu ist meine Frau bereit.

Für den Dokumentarfilm »White Torture« hat Mohammadi 16 politische Gefangene interviewt, die »weiße Folter« in iranischen Gefängnissen erfahren haben. Was genau ist weiße Folter – und warum wird sie vor allem gegen ­politische Gefangene eingesetzt?

Weiße Folter zielt darauf ab, den Gefangenen zu brechen und zu einem Geständnis zu zwingen, das Mittel hierzu ist die Einzelhaft. Du wirst isoliert in kleinen Zellen, maximal zwei mal drei Meter, ohne Kontakt zur Außenwelt. Der einzige Mensch, den du siehst, ist dein Folterer oder Vernehmer. Keine Bücher, keine Zeitungen, keine Informationen, keine Telefonate, keine Besuche.

»Narges versucht, auch aus dem Gefängnis heraus die Stimme der Bewegung ›Frau, Leben,  Freiheit‹ zu verstärken.« Taghi Rahmani

Der Gefangene gerät unter enormen mentalen Druck, gegen sich und seine Freunde auszusagen. Früher wurden politische Gegner fest­genommen und so lange mit Kabeln ausgepeitscht, bis sie gestanden. Um politische Gegnerschaft und Aktivismus auszuschalten, bedient sich der Sicherheitsapparat der Methode der weißen Folter. Viele politische Gefangene hat die weiße Folter gebrochen. Sie haben gegen sich selber ausgesagt – um der Isolation zu entkommen – und sind aufgrund der erpressten Geständnisse hingerichtet worden.

Ihre Frau hat die Isolationshaft, die weiße Folter, selbst erlebt. Aber auch Sie mussten aus Iran fliehen, um erneuter Einkerkerung zu entgehen. Wie gerieten sie beide ins Visier des Regimes?

Ich selber habe 14 Jahre im Gefängnis verbracht, davon eineinhalb Jahre in Einzelhaft. Ich war ein politischer Menschenrechtsaktivist. Unser Aktivismus richtet sich gegen den Religionsstaat. Wir wollen eine säkulare Regierung. Nach 14 Jahren sollte ich für weitere sieben Jahre ins Gefängnis, deshalb entschloss ich mich, aus meiner Heimat zu fliehen. Narges war Studentin, als ich sie kennenlernte. Sie wurde Teil der studentischen Frauenbewegung, danach begann sie ihre journalistische Arbeit und schloss sich später dem Defenders of Human Rights Center von Shirin Ebadi an (iranische Juristin und Menschenrechtsaktivistin, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt und seit 2009 in Großbritannien lebt; Anm. d. Red.).

So begann ihre Menschenrechts­arbeit – und die Repression. Zunächst zwang man sie, ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Kurz darauf wurde sie zum ersten Mal verhaftet und verurteilt. Sie erlebte das erste Mal die weiße Folter der Einzelhaft, mit der Folge, dass sie unter einer Muskellähmung litt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war Narges immer wieder jahrelang in Haft. In all der Zeit hat sie ihre Menschenrechtsarbeit fortgesetzt und sich insbesondere für Frieden und Demokratie, für die Rechte von Frauen, gegen die ­Todesstrafe und gegen weiße Folter engagiert, bis heute.

Der Film »White Torture« ist während einer Haftpause Mohammadis in Zusammenarbeit mit den Filmemachern Vahid Zarezade und Gelareh Kakavand entstanden. Wie waren die Entstehungsbedingungen?

Wie gefährlich die Bedingungen sind, sieht man daran, dass Vahid und Gelareh gezwungen waren, das Land zu verlassen. Ihre Familien werden regelmäßig bedroht. Es wird alles versucht, Zugang zu den Filmdaten zu erhalten und sie zu vernichten. Einen solchen Film zu machen, bringt ­viele Gefahren mit sich. Man kann nicht einfach mit einem Kamerateam durch die Straßen spazieren, es besteht permanent die Gefahr einer Festnahme. »White Torture« zeigt die Wahrheit über die Zustände hinter den Gefängnismauern auf. Die Islamische Republik setzt nach außen ein menschenrechtsfreundliches Gesicht auf. Solche Filme stellen die Machthaber bloß, und dies möchten sie mit aller Kraft vermeiden. Wer Filme wie »White Torture« im Iran aufführt, muss für sechs Jahre ins Gefängnis.

Sie haben zwei gemeinsame Kinder im Teenageralter. Wann haben die beiden und wann haben Sie Narges zuletzt gesehen oder mit ihr gesprochen?

Ich habe Narges vor elf Jahren das letzte Mal gesehen. Es war ein Uhr nachts und ich musste fluchtartig das Land verlassen, weil Ordnungskräfte mich festnehmen wollten. Die Kinder haben geschlafen und ich verabschiedete mich von Narges. Es war wie in einem Kinofilm über den Zweiten Weltkrieg. Es war tiefster Winter und eiskalt. Die Kinder haben ihre Mutter seit acht Jahren nicht ­gesehen. Sie haben drei Jahre nach mir Iran verlassen und sind zu mir geflüchtet. Mit Narges gesprochen haben wir zuletzt vor 20 Monaten, als sie wegen der Herz-OP im medizinischen Hafturlaub war. Für die Kinder ist es sehr schwer, ohne ihre Mutter aufzuwachsen und zu leben. Aber ich sage ihnen immer, dass wir nicht in Selbstmitleid zerfließen dürfen, sondern alles in unserer Macht tun müssen, um ein höheres Ziel zu erreichen.

In deutschen Medien wird über die politischen Gefangenen im Iran nicht viel berichtet, obwohl auch deutsche Staatsangehörige betroffen sind, darunter die deutsch-iranische Architektin Nahid ­Taghavi (die Mutter der in Köln lebenden Interviewerin Mariam Claren, Anm. d. Red.) und der deutsch-iranische Journalist Jam­shid Sharmahd, dem akut die Hinrichtung droht. Könnten die hiesigen Medien mehr tun und mehr bewirken?

Es kommt sehr auf die deutschsprachigen Medien an. Grundsätzlich bevorzugt es das Regime, dass keine Berichterstattung stattfindet. Deutschland war sowohl vor als auch nach der Islamischen Revolution einer der größten Handelspartner Irans. Hier kommen die Zivilgesellschaft und progressive Kräfte ins Spiel, die Druck auf die Bundesregierung ausüben müssen. Die Freilassung politischer Gefangener müsste die Hauptforderung des Westens sein. Die sogenannten demokratischen Regierungen verstehen leider immer noch nicht, dass ihre eigene Sicherheit durch das islamische Regime bedroht ist. Wenn sie kein weiteres 9/11 wollen, ist die einzige Lösung ein demokratischer Staat Iran. Freiheit, Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten bedeuten zugleich Sicherheit im Westen.

Im August hat die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help Mohammadis Film zum ersten Mal in Deutschland in einem Berliner Kino gezeigt. Am 13. Oktober wird er nun auf dem Human Rights Film Festival in Berlin und am 20. Oktober in Köln gezeigt. Was erhoffen Sie sich von diesen und weiteren Aufführungen?

Der Film zeigt eindrucksvoll die Rolle der weißen Folter mit dem Ziel, ­einen politischen Gefangenen zu brechen. Für Freiheit und Demokratie brauchen wir möglichst viele Menschen, die sich mit uns solidarisieren. Ein solcher Film erleichtert dies. Er zeigt das wahre Gesicht des Re­gimes.

Die NGO Reporter ohne Grenzen nannte Sie einmal »den am öftesten inhaftierten Journalisten Irans«. Wie schaffen Sie es, nicht aufzugeben, nicht zu resignieren?

Weil ich an etwas glaube: an Demokratie und Freiheit. Und ich habe Vorbilder, die mir Hoffnung geben: Menschen, die sich für diese Werte eingesetzt haben und ihr Leben gelassen haben. Und weil ich mein Volk liebe. Dies hilft, um zu kämpfen und vor allen Dingen mit den rich­tigen Mitteln. Ich bin einer von vielen, die diesen Weg gehen. Schauen Sie sich beispielsweise Nahid Taghavi an: Sie hätte ein ruhiges Leben in Deutschland haben können. Stattdessen entschied sie sich für den Weg des Widerstands, weil sie an etwas glaubt, und zahlt dafür auch den Preis des Gefängnisses. Ich denke, Freiheit und soziale Gerechtigkeit können nur so erblühen.

Übersetzung aus dem Persischen: Mariam Claren

White Torture (Iran 2021). Drehbuch: ­Narges Mohammadi. Regie: Gelareh ­Kakavand, Vahid Zarezade. (Persisch mit englischen Untertiteln)

 

Taghi Rahmani
picture alliance / AP Photo / Vahid Salemi

Taghi Rahmani wurde 1959 in der iranischen Stadt Takestan geboren und unter Schah Mohammed Reza Pahlavi erstmals inhaftiert. Später arbeitete er als Journalist und setzte sich für politische Reformen ein. 1999 heiratete er Narges Mohammadi. Kurz darauf wurde er erneut verhaftet. Vor der iranischen Präsidentschaftswahl 2009 war er ein hochrangiger Wahlkampfhelfer von Mehdi Karroubi, einem religiösen Reformer. 2012 gelang Rahmani die Flucht nach Paris, 2015 konnten die beiden Kinder des Ehepaars nachkommen.