Kritik an Gavin Muellers Manifest »Maschinenstürmer«

Weberaufstand der Kulturwissenschaft

Gavin Mueller propagiert in seinem Buch »Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage« den Aufstand gegen die »Tech-Bourgeoisie«. Leider mündet seine Kritik in Sektiererei.

Der traditionellen Arbeiterbewegung galten der Fortschritt der Menschheit und der technische Fortschritt als identisch, darin zumindest waren sich der christliche, kommunistische und sozialdemokratische Flügel einig. Gavin Mueller, der als Dozent für Media Studies an der Universität Amsterdam unterrichtet, formuliert in seinem Buch »Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage« die Gegenthese: Der technologischen Entwicklung sei die Verwandlung der Gegenwartsgesellschaft in einen totalen Überwachungskapitalismus anzulasten.

Das höchste Stadium dieser Entwicklung manifestiere sich in der Computertechnologie. Seit sie die Arbeitsverhältnisse umgewälzt hat, habe die Logik der Macht die Psyche der Menschen beinahe völlig durchdrungen. Dagegen helfe nur, eine Bewegung im Geist der alten Maschinenstürmer zu initiieren. Was Mueller dementsprechend vorschwebt, müsste man wohl als Weberaufstand 2.0 bezeichnen. In seinem Buch nimmt er Bezug auf die englischen Vorläufer der schlesischen Weber: sich gegen die Fabrikarbeit zur Wehr setzende, ähnlich wie Freimaurer organisierte Geheimbündler, die Gewalt gegen Sachen und Menschen ausübten.

Marx nennt die Aufstände gegen die mit Dampfkraft mechanisierten Sägemühlen und Webstühle »Pöbel-exzesse«. Als Historiker der bürgerlichen Gesellschaft äußert er Verständnis für die »brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel«, aber als Kritiker der Verhältnisse erkennt er diese als fehlgeleitet. Die dem Verwertungsimperativ unterworfene Maschinerie mache die Arbeitskraft unverkäuflich, »wie außer Kurs gesetztes Papiergeld«, heißt es in »Das Kapital«. Es sei eine »Dummheit«, schreibt Marx, »nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst«. Diese Dummheit adelt Mueller zur klugen politischen Strategie.

Es sei eine »Dummheit«, schreibt Marx, »nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst«. Diese Dummheit adelt Mueller zur klugen politischen Strategie.

Marx hatte einen Kapitalismus vor Augen, den das Bürgerliche Gesetzbuch kaum mehr einhegte, als die Arbeitszeit von 13jährigen Kindern auf zwölf Stunden am Tag zu begrenzen. Zwar wird Marx in diesem Buch ausgiebig zitiert, aber Mueller hat keinen historisch bestimmten Begriff von Technik, sondern einen schlecht abstrakten. Damit landet man eher bei Heidegger und seinem »Gestell« als beim Kritiker der politischen Ökonomie.

Das ist umso bedauerlicher, als eine Gegenposition zu den Hymnen auf Künstliche Intelligenz (KI), autonomes Fahren, Chat GPT oder das Internet der Dinge in der öffentlichen Debatte tatsächlich fehlt. Wird dieser Kontrapunkt aber in der Weise dieses Manifests gesetzt, mündet die Kritik in Sektiererei. Mueller lässt sich von den hippen Schlagworten das kritische Denken nicht verbieten; doch ist es mit der Kritik, die er zu bieten hat, nicht sehr weit her.

Der Autor weist zu Recht darauf hin, dass sich technische Innovation keinem interesselosen Wohlgefallen, sondern einem ökonomischen Interesse verdankt. Die mediale Aufmerksamkeit, die technische Innovationen erfahren, verdankt sich zumeist dem Bemühen, diese durchzusetzen. Es geht um staatliche Forschungsgelder oder um das Anpreisen von Anwendungsmöglichkeiten. »Industrie 4.0« zum Beispiel ist ein fast schon genial zu nennendes Marketinglabel gewesen; vor zehn Jahren erfunden, um die umfassende Digitalisierung der Produktions-, Administrations- und Vertriebsprozessen zu protegieren, ist diese aber in den wenigsten deutschen Betrieben wirklich zur Anwendung gekommen. Als »internet of things« erlebt das Label gegenwärtig ein Upgrade, das allerdings schwer gegen die allseits gepriesene KI bestehen kann.

Diese gilt als Mittel, die Bürobereiche – neudeutsch Corporate Center – weiter zu verschlanken. BASF, Bayer, Daimler, Deutsche Bank, Lufthansa, SAP und Siemens haben in der jüngsten Vergangenheit administratives Personal im vierstelligen Bereich abgebaut und werden dies mit Unterstützung von KI vorantreiben. Jede standardisierbare, repetitive Tätigkeit, jede in einen Maschinenbefehl übersetzbare Arbeitsanweisung lässt sich automatisieren. Der per Spracheingabe instruierte Algorithmus prüft, ob alle Bewerbungsunterlagen vorhanden sind, ob ein Zahlendreher eine Überweisung blockiert, ob der Kunde eine Reklamation zu Recht geltend macht. Die klassischen Angestelltenabteilungen mit Controlling, Personalverwaltung, Finanzbuchhaltung werden ausgedünnt.

Automatisierung ist das Mittel, sein Zweck ist es, menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Mueller erinnert an diesen gerne vergessenen Zusammenhang. Aber seine Technologiekritik differenziert nicht. Die Technologie sei im Kern »patriarchalisch«, lautet sein kritischer Topos; die Überwachung am Arbeitsplatz mittels digitaler Technik sei »total«, lautet ein weiterer. Solche Sätze klingen selbst wie von einem Algorithmus diktiert.

Von Empirie nicht angekränkelt sind Urteile über Fachgebiete, die dem Kulturwissenschaftler verschlossen sind: Die Computertechnik, schreibt er, habe die Chirurgie in eine Krise geführt, weil sie verhindere, dass die Fingerfertigkeit der künftigen Chirurgen sich ausbilde. Der Computer mache ungeschickt. Dabei ist das Gegenteil richtig: Die Robotik ist in der Medizintechnik äußerst hilfreich; sie macht aus einem mittelmäßigen Operateur einen sehr guten, so die Ansicht von Fachleuten.

Gewährsleute kompromissloser Politik sind die Syndikalisten, die Anarchisten, die Black Panther Party; bei ihnen seien die Wurzeln einer unverfälschten Widerständigkeit zu finden. Es ist das Klischeebild eines Widerstands, mehr abgezogen aus der von Hollywood-Filmen gelieferten Bebilderung als aus der Geschichte dieser Bewegungen, deren Ende regelmäßig kam, sobald sie Gewalt fetischisierten.

Dem Schwarzweißraster entspricht die von Mueller vorgeschlagene politische Strategie. Eine markige, von einem hasenfüßigen Reformismus abgesetzte Radikalität muss her. Der Reformismus, also die Politik der Gewerkschaften, hintertreibe »die Bildung einer militanten kämpfenden Klasse«. Gewährsleute kompromissloser Politik sind die Syndikalisten, die Anarchisten, die Black Panther Party; bei ihnen seien die Wurzeln einer unverfälschten Widerständigkeit zu finden. Es ist das Klischeebild eines Widerstands, mehr abgezogen aus der von Hollywood-Filmen gelieferten Bebilderung als aus der Geschichte dieser Bewegungen, deren Ende regelmäßig kam, sobald sie Gewalt fetischisierten.

Der Autor feiert auch die »Hacker-Kultur«. Mit dem Allerweltswort »Kultur« lässt sich schließlich alles adeln. Vandalismus sei »angenehm (…) für die Zerstörenden«. Der Romantizismus des Autors geht so weit, dem Darknet einen Kranz zu winden: Es sei »ein Raum ohne Überwachungskapitalismus«.

Der Autor will einer »wirksame radikalen Politik« den Weg ebnen, ihr »historische Tiefe, theoretische Raffinesse und politische Relevanz« verleihen. Er klopft sich also selbst auf die Schulter, und en passant erledigt er die »Gewerkschaftsbürokratie«, die er als »gehirngewaschen« bezeichnet. Gegen Ende seiner Apologie des lustigen Maschinenstürmens schreibt er, dass sein »Argument nicht auf einem Lebensstil, dass es nicht einmal auf einer Ethik basiert, sondern auf Politik.« Es ist tatsächlich ein auf Ethik verzichtendes Politikverständnis, das hier propagiert wird. Muellers Feind ist die »Tech-Bourgeoisie«; eine Wortschöpfung, die Analyse vorgaukelt und doch nur dem Ressentiment Ausdruck verleiht.

Der Text hat eine erhellende Passage zu bieten. In dieser geht es um das Recht auf Reparatur, das der Autor in Spiel bringt. Die Genialität der Genius-Bar von Apple besteht doch darin, dem aufkreuzenden Kunden das Neugerät mit dem Hinweis zu verkaufen, das kaputte zu reparieren, lohne nicht. Die Masse der Elektrogeräte kommt unter diesen Vorzeichen auf den Markt und verschwindet auch sang- und klanglos wieder von diesem. Ein Recht auf Reparatur würde die auf Ersatzteillager und Servicetechniker verzichtende Geschäftspolitik unterlaufen, die in beidem bloß den Abzug vom Gewinn erkennt.

Die EU-Kommission und das Europaparlament sind für ein solches Recht vermutlich zu haben. Vorausgesetzt, jemand treibt den Gesetzgebungsprozess voran und bringt ihn bis zum Erfolg. Womit wir bei dem in diesem Buch so übel beleumundeten Reformismus wären.

Gavin Mueller: Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage. Aus dem Englischen von Josefine Haubold. Edition Nautilus Flugschrift, Hamburg 2022, 231 Seiten, 20 Euro