Ministerpräsident Petteri Orpo führt die am weitesten rechts stehende finnische ­Regierung seit Kriegsende

Abschied vom Konsens

Der neue Ministerpräsident Petteri Orpo führt die am weitesten rechts stehende Regierung, die Finnland seit Ende des Zweiten Weltkriegs hatte. Sie will unter anderem die Migration stärker beschränken und die Sozialausgaben kürzen.

Helsinki. Die Stimmung auf der Demonstration war für finnische Verhältnisse recht aufgebracht. Als Abgeordnete aus dem Haupteingang des Parlamentsgebäudes traten, wurden sie ausgebuht. Es demonstrierten ungefähr 300 Menschen; »Tunkekaa leikkaukset perseeseenne« (Steckt euch eure Kürzungen in den Arsch) war auf einem Transparent zu lesen, das auf den langen Steintreppen vor dem wuchtigen Bau entrollt worden war, als am Mittwoch voriger Woche das neu gewählte finnische Parlament (Eduskunta) in Helsinki zur ersten Sitzung nach der Amtseinführung der neuen Regierung zusammentrat. Dabei wurde das Regierungsprogramm für die kommenden vier Jahre von der Opposition heftig kritisiert.

Fast acht Wochen hatte die Formulierung des 244seitigen Regierungsprogramms gedauert. Das am Dienstag voriger Woche vereidigte Kabinett, das die linke Koalitionsregierung unter Ministerpräsidentin Sanna Marin ablöst, ist das am weitesten rechts stehende seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Nationale Sammlungspartei von Petteri Orpo erhielt 48 der 200 Sitze im finnischen Einkammerparlament und führt nun die Regierung an. Mit Abstand stärkster Koalitionspartner ist die rechtspopulistische Partei »Die Finnen« (Perussuomalaiset, 46 Sitze), Juniorpartner sind die Schwedische Volkspartei (zehn Sitze) und die Christdemokraten (fünf Sitze). Besonders die Volkspartei hatte sich als vergleichsweise liberale Kraft in den Verhandlungen schwergetan und rang Perussuomalaiset letztlich kleine Kompromisse in der Migrationspolitik ab.

Dennoch ist diese deutlich nationalistisch ausgerichtet. Mit Verschärfungen will man dem dänischen Modell folgen. Vorgesehen ist, dass Einwan­derer:innen zukünftig acht statt fünf Jahre in Finnland gelebt haben müssen, bevor sie die Staatsbürgerschaft beantragen können. Zusätzlich zum bereits obligatorischen Sprachtest soll außerdem ein Staatsbürgertest eingeführt werden. Ausländer:innen, die eine Aufenthaltsgenehmigung wegen Aufnahme einer Arbeit bekommen haben, sollen nach dreimonatiger Arbeitslosigkeit ausgewiesen werden. Finnland will zukünftig nur noch 500 statt der 1.050 nach dem EU-Verteilungsschlüssel vorgesehenen sogenannten Kontingent­flüchtlinge aufnehmen, Familienzusammenführungen sollen erschwert, Abschiebungen erleichtert und beschleunigt werden.

Die Migrationspolitik ist einigermaßen paradox, denn einerseits wird händeringend beispielsweise nach Alten- und Krankenpfleger:innen, IT-Spezialist:innen und Kinder­gärt­ner:innen gesucht, andererseits sollen Migrant:innen zukünftig noch stärker gegängelt und kontrolliert werden. Unter Ausländer:innen und Finn:innen mit Migrationshintergrund ist die Stimmung schon jetzt verzweifelt. Der afghanische Doktorand Ershad Balkhi sagt der Jungle World: »Finnland war immer bekannt für egalitäre und progressive Werte. Diese Regierung wird viel von diesen Traditionen zerstören. Ich habe schon angefangen, dar­über nachzudenken, Finnland zu verlassen, aber das würde bedeuteten, meine Doktorarbeit abzubrechen.«

Nicht wenige Politiker von Perussuomalaiset, der zweit­stärksten Partei in der Regierung, sind in der Vergangenheit mit Verbindungen in rechtsextreme Milieus aufgefallen.

Der britisch-finnische Forscher Nick Walters betont im Gespräch mit der Jungle World: »Aus einer persönlichen Perspektive, als Enkel von österreichischen und tschechoslowakischen Juden, die 1939 aus Wien geflohen sind, muss ich sagen, dass diese Politik erschreckend ist. Viele meiner Freunde fühlen sich unwohl, wenn ich Perussuomalaiset als faschistisch bezeichne, aber viele von ihren Politikern sind wegen Gewalttaten oder Volksverhetzung vorbestraft und haben direkte Verbindungen zu rechtsextremen Straßenpa­trouillen oder Neonazigruppen, etwa der verbotenen Nordischen Widerstandsbewegung.«

Tatsächlich sind nicht wenige Politiker von Perussuomalaiset in der Vergangenheit mit Verbindungen in rechtsextreme Milieus aufgefallen. So Vilhelm Junnila, der noch vor vier Jahren auf einer Neonazi-Demonstration in der Stadt Turku gesprochen hatte – er ist nun Wirtschaftsminister. Der neue Parlamentssprecher Jussi Halla-aho, dessen Amt in Deutschland dem eines Bundestagspräsidenten entspräche, wurde 2012 wegen seiner Äußerungen über die angeblich genetische Veranlagung von Somalier:innen zu Raub und Schmarotzertum wegen Volksverhetzung verurteilt.

Auch die wirtschaftsliberalen Vorhaben der neuen Regierung für den Arbeitsmarkt die Sozialpolitik werden kritisiert. Das Arbeitslosengeld soll gekürzt, die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen und Entlassungen sollen erleichtert werden. Einige der arbeitsrechtlichen Regelungen und Kürzungen im Sozialsektor erinnern stark an die Reformen der »Agenda 2010« in Deutschland. Politische Streiks und Solidaritätsstreiks, die in Deutschland prinzipiell verboten sind, sollen erschwert und die Strafzahlungen für illegale Arbeitskämpfe erheblich erhöht werden. Das Wohngeld soll gekürzt werden, was besonders Haushalte mit geringem Einkommen hart treffen wird. In Finnland beziehen derzeit 43 Prozent der Studierenden Wohngeld.

Für Besserverdienende soll es Steuer­erleichterungen und einen höheren Steuerfreibetrag für Aktiensparkonten geben. Finanziert werden sollen diese Vergünstigungen durch einen um vier Prozentpunkte höheren Mehrwertsteuersatz unter anderem für Medikamente, Bücher und Kulturveranstaltungen.
Fraglich bleibt, wie viel von ihrem ambitionierten wirtschaftsliberalen und migrationsfeindlichen Plänen die Regierung unter Petteri Orpo verwirklichen kann. Einige Vorhaben stufen Kritiker:innen als verfassungswidrig oder als nicht konform mit EU-Regelungen ein. Die Gewerkschaften dürften vor allem gegen die geplante Einschränkung des Streikrechts Sturm laufen. Das traditionell konsensorientierte Finnland könnte unter Orpos Regierung vor einer Zeit heftiger sozialer und politischer Konflikte stehen.