Im Film »The Adults« trauern drei Geschwister um den Tod der Mutter und ihre Kindheit

Adoleszenz in Permanenz

In Dustin Guy Defas Film »The Adults« versuchen drei zerstrittene Geschwister, sich einander anzunähern – und werden dabei wieder zu Kindern.

Es gibt große Filme, es gibt Filme, die größer sein wollen, als sie sind, und es gibt kleinere Filme, die ihre Grenzen kennen – und gerade darin doch eine gewisse Größe beweisen. »The Adults« von Dustin Guy Defa gehört zu den Letzteren. Das komische Drama feierte bei der diesjährigen Berlinale Premiere und dreht sich um drei Geschwister, die nach dem Tod der Eltern nicht mehr recht zusammenfinden und doch in Momenten glücklicher Regression große Nähe zueinander entwickeln.

Eric (Michael Cera) will eigentlich nur einen kurzen Abstecher in seine kleine Heimatstadt machen, um einen alten Freund zu besuchen, der kürzlich ein Kind bekommen hat. Zu seinen Geschwistern bleibt er zunächst auf Distanz – obwohl seine ältere Schwester Rachel (Hannah Gross) seit dem Tod der Mutter allein das riesige, etwas verfallene Elternhaus bewohnt, nimmt er sich ein Hotelzimmer. Er scheint ein gutes Einkommen zu haben und bleibt zunächst gedanklich bei der Arbeit und seinem Leben in der Großstadt, lässt sich nicht wirklich auf seine Heimatstadt ein. Rachel reagiert unterkühlt auf Eric. Schnell wird deutlich, dass sie sich von ihm alleingelassen fühlt und ihm vorwirft, nicht mehr wirklich an ihrem Leben und dem der jüngeren Schwester Maggie (Sophia Lillis) teilzuhaben.

»The Adults« erzählt von dieser konflikthaften Geschwisterkons­tellation mit einer Beiläufigkeit, die von Defas bemerkenswerter Beobachtungsgabe zeugt. So weigern sich die beiden Schwestern konsequent, über Erics Witze zu lachen – sie sind nicht bereit, für ein möglichst angenehmes Wiedersehen über die schwelenden Konflikte hinwegzusehen. Eric meidet seine Schwestern deshalb und bemüht sich stattdessen, eine alte Pokerfreundschaft wieder aufleben zu lassen. Der alte Spielpartner zeigt sich zunächst wenig begeistert – zwischen ihm und Eric herrschen die für das Verhältnis von Weggegangenem und Dagebliebenem typischen Spannungen. Der Freund hat wenig Lust, in die alten Zeiten zurückzukehren, aber schließlich lässt er sich doch breitschlagen.

Defas Drehbuch presst die so beschädigten wie liebenswerten Geschwister nicht in die klassische Dramaturgie eines Dramas, sondern bringt sie spielerisch miteinander ins Gespräch.

Eric verliert die Pokerrunde und will die Niederlage anscheinend nicht auf sich sitzen lassen. Prompt verschiebt er seinen Rückflug und betont, als beruflichem Vielflieger entstünden ihm dadurch keinerlei Zusatzkosten. Keine große Sache also. Im weiteren Verlauf wird immer deutlicher, was über die wiederholten Revanche-Herausforderungen und Flugumbuchungen ausgetragen wird: In Erics ausstehendem Pokersieg spiegelt sich das Ungeklärte in seinem Verhältnis zu Rachel und Maggie. Er verbringt in den folgenden Tagen mehr Zeit mit ihnen und versucht, Rachels Aggressionen gegen ihn zu verstehen. Die verschließt sich ihm zwar weiterhin und scheint ihm seine Blindheit nicht abzukaufen, doch um Maggies Willen lässt sie sich immer öfter zu unbeschwerten Albernheiten hinreißen.

Diese bilden gewissermaßen das Kernstück des Films und sind äußerst originell geschrieben und gespielt. Die Geschwister führen schrullige Gesangs- und Tanznummern auf und verfallen vor allem häufig in Rollenspiele mit verstellten Cartoon-Stimmen. Dieses kindliche Spiel scheint der einzige Modus zu sein, in dem die Geschwister noch wirklich zueinanderfinden – einzig indem die drei in Vergangenes eintauchen, können sie sich mit ihrer Gegenwart auseinandersetzen. Das nicht Besprechbare in ihrem Verhältnis, die Wut gegen den fortgegangenen Eric, die Trauer über den Tod der Mutter, die für Geschwister typische seltsame Mischung aus Distanzlosigkeit und großer Ferne, all das kann ironisiert lebendig werden, sobald die Geschwister in ihre Phantasierollen schlüpfen.

Mit Freunden geht’s zum Bowlen

Wie in alten Zeiten. Mit Freunden geht’s zum Bowlen

Bild:
Universal Pictures

»The Adults« zeigt eindringlich und doch ganz ohne Pathos die Widerstände, die vor allem bei Rachel mit diesen Rollenspielen einhergehen. Später erfahren der Zuschauer sowie Eric, dass sie unter Depressionen, Panikattacken und Angststörungen ­leidet – Krankheiten, die wohl in der Familie liegen, was Eric mehr oder weniger erfolgreich zu verdrängen scheint, indem er sich in Albernheiten oder selbstgewählte Herausforderungen wie das Pokerspiel flüchtet. Es scheint das unbewusste Wissen um den Zusammenhang zwischen diesen Konfliktvermeidungsstra­tegien und ihrer familiären Genese, die von Schmerz und Verlust geprägt war, zu sein, vor dem er zunächst flieht, um sich ihm später im Rahmen seiner Möglichkeiten zu stellen.

Die Charaktere und ihre Beziehungen sind alles andere als schematisch gezeichnet. Alle drei verfügen über Idiosynkrasien und Eigenheiten, die die Schauspieler mit entwaffnender Leichtigkeit als die ihren präsentieren. Rachel zeigt gekränkte Abgeklärtheit und zynische Aggression, Eric eine selbstherabsetzende Schusseligkeit und Albernheit und Maggie Verletzlichkeit, Sehnsucht nach Spiel und Leichtigkeit und als Ein­zige so etwas wie Hoffnung. Defas Drehbuch presst die so beschädig­ten wie liebenswerten Geschwister nicht in die klassische Dramaturgie eines Dramas, sondern bringt sie spielerisch miteinander ins Gespräch – der Umgang der drei miteinander scheint sich in der Konzeption und Produktionsweise des Films selbst zu wiederholen.

Defa scheut sich dabei nicht, blinde Flecken und Lücken entstehen zu lassen.

Defa scheut sich dabei nicht, blinde Flecken und Lücken entstehen zu lassen. So ganz lassen sich Eric, Rachel und Maggie nicht verstehen und schon gar nicht das so brüchige wie gewaltsame Band, das sie aneinander bindet. Die Konstellation und die Charaktere entziehen sich einer erschöpfenden Erklärung oder Deutung, und gerade darin gelingt es »The Adults«, etwas einzufangen von dem Unerklärlichen, Inkommensurablen, das dem Individuum innewohnt. Die drei Geschwister bleiben dem Zuschauer im Gedächtnis wie entfernte Bekannte.

Tim Curtins natürliche, wenig stilisierende Kameraarbeit vermittelt das Gefühl, dabei zu sein in der amerikanischen Kleinstadt, in der die Zeit stillzustehen scheint und die etwas Hübsches, Kulissenhaftes hat. Sie symbolisiert abermals eine Vergangenheit, in der zwei der drei Geschwister zu leben versuchen. »The Adults« ist damit ein kleiner, aber gut durchdachter, schön fotografierter und gewinnend gespielter Beitrag zum US-amerikanischen Independent-Kino und berührt in seiner leichten Erzählung schwere Themen, die vielen jungen Erwachsenen vertraut sein dürften – Nähe und Fremdheit in familiären Beziehungen, Widerstände gegen das Erwachsenwerden und das offene Austragen von Konflikten sowie das seltsame Verschwinden der Kindheit.

Eines scheint in Defas Film zu fehlen oder doch in weiter Ferne zu liegen: eine Zukunft, gesellschaftlich wie individuell. Ohne die Eltern scheint die Brücke abgebrochen zu einem Zustand, in dem Aggressionen sublimiert werden können und Subjekte ihre Lebensläufe und Beziehungen souverän gestalten und so Perspektive, Hoffnung und Entwicklung ermöglichen. Weder Erics Arbeit noch Rachels Immobilienbesitz ändern daran etwas. »The Adults« erzählt von Adoleszenz in Permanenz, und deutet man die toten Eltern als Symbol für die Erosion gesellschaftlicher Institutionen und die grassierende Geschichtslosigkeit, vermittelt die Tragikomödie sogar eine gewichtige Aussage – bescheiden und unaufdringlich.

The Adults (USA 2023). Buch und Regie: Dustin Guy Defa. Darsteller: Michael Cera, Hannah Gross, Sophia Lillis