Der Trend zum Schilderklau hält sich ungebrochen

Im Schilderwald

Manche klauen Verkehrsschilder zum Vergnügen, anderen ist es Ausdruck von Protest.

Begibt man sich nach draußen in den urbanen Raum, so wird man wohl schwerlich einen Blick irgendwo hinwerfen können, ohne eines der unzähligen Hinweis- und Verkehrsschilder zu erblicken, die um Aufmerksamkeit buhlen. Der gemeine Städter ist so daran gewöhnt, ständig auf dieses und jenes hingewiesen zu werden, dass ihm die ­vielgestaltigen Schilder oft schon gar nicht mehr auffallen. Die schiere Masse dieser Blechstücke (in ganz Deutschland gibt es circa 20 Millionen davon) sabotiert so ihren eigentlichen Zweck und bereichert dabei eher selten das Stadtbild.

Umso bemerkenswerter ist die ­Eigenart vieler Menschen, diese ­Zeichen der Bevormundung zu klauen und sie in ihren privaten vier Wänden zur Dekoration zu benutzen. Was bewegt einen dazu? Will man sich den urbanen Flair der Straße nach Hause holen?

Der Trend zum Schilderklau hält sich nun schon seit Jahrzehnten und jede neue Generation scheint ihn unreflektiert zu übernehmen.

Stehen die Deutschen so sehr auf Gehorsam, dass sie selbst in ihren eigenen vier Wänden die Insignien der Ordnung und der Regel anschauen möchten? Ist es vielleicht auch ein subversiver Akt, eine Form von sozialem Ungehorsam, solche Zeichen der Bürgerlichkeit ­ihrer Bestimmung zu berauben und Besuchern des eigenen Heims als Trophäe zu präsentieren?

Vielleicht spielt aber auch der einst so hippe shabby chic eine Rolle. Je oller solch ein Schild ist, je mehr Rost oder Beulen es hat, desto begehrenswerter scheint es zu sein. Manchmal geht es den Dieben öffentlichen Eigentums natürlich auch um das Sammeln von Kuriositäten. So sei die kleine rheinland-pfälzische Gemeinde genannt, die in den neunziger Jahren alle paar Wochen ein neues Ortsschild aufstellen musste. Der Name des pittoresken Örtchens: Alf.

Der Trend zum Schilderklau hält sich nun schon seit Jahrzehnten und jede neue Generation scheint ihn unreflektiert zu übernehmen. Nur eine neue Entwicklung kristallisiert sich seit einiger Zeit heraus. In Zeiten des Klimawandels und der Nachhaltigkeit scheint zumindest ein Teil der jungen Bevölkerung wieder auf Diebestour zu gehen.

Dabei handelt es sich vornehmlich um die Schilder, die die Geschwindigkeitsbegrenzungen aufheben und von Gruppen wie Extinc­­tion Rebellion auf Autobahnen ­abmontiert werden – so gilt dort das ­jeweilige Tempolimit immer weiter und das Blech dient dem zivilen Ungehorsam. Gut so.