Russland versucht seinen Einfluss in Moldau auszuweiten

Der Kreml lässt grüßen

In Moldau wird seit Monaten gegen die prowestliche Regierung demonstriert. Ein Dokument zeigt nun Pläne Russlands, die Nachbarrepublik der Ukraine zu destabilisieren.

Der Kreml verfolgt Pläne, die Republik Moldau bis zum Jahr 2030 unter russische Kontrolle zu bringen. Das geht aus einem Dokument hervor, das ein internationaler Rechercheverbund, an dem Journalisten des moldauischen Investigativportals Rise Moldova, des WDR und des ukrainischen Online-Mediums Kyiv Independent beteiligt waren, am 15. März veröffentlichte. Am selben Tag kam es erneut zu Protesten in Moldau, organisiert von Abgeordneten und An­hän­­ger:innen der prorussischen Șor-Par­tei: In verschiedenen Regionen des Landes blockierten Demonstranten Straßen und forderten, die Regierung solle die hohen Energiekosten der Bürger:innen im Winter vollständig übernehmen.

Das kürzlich geleakte Dokument mit dem Titel »Strategische Ziele der Russischen Föderation in der Republik Moldau« stammt bereits aus dem Jahr 2021 und soll aus der Abteilung für Beziehungen zu Nachbarländern des russischen Präsidialamtes kommen. Der Hauptautor ist Andrej Wawilow, ein Absolvent der FSB-Akademie, an der Offiziere des russischen Inlandsgeheimdiensts ausgebildet werden. Die in dem Papier beschriebene Strategie bezieht sich auf militärisch-politische, ökonomische und gesellschaftliche Bereiche, über deren Beeinflussung Moldau zum russischen Vasallenstaat gemacht werden soll.

Bis zum Jahr 2022 sollte ein russisches Konsulat in Comrat öffnen, der Hauptstadt des russischsprachigen autonomen Territoriums Gagausien, dazu kam es bislang nicht. In den kommenden Jahren soll eine »ablehnende Haltung gegen die Nato in der moldauischen Gesellschaft und in po­litischen Kreisen« herausgebildet werden bei gleichzeitiger Annäherung an Russland in allen drei Einflussbereichen sowie die orthodoxe Kirche und die russische Sprache in Moldau gestärkt werden.

Seit September 2022 wird in der gesamten Republik gegen die prowestliche Regierung und für einen Rücktritt von Präsidentin Sandu protestiert.

Langfristige Ziele sind die »Schaffung stabiler prorussischer Einflussgruppen in den politischen und wirtschaftlichen Eliten Moldaus«, aber auch die Integration der Republik in die Eurasische Wirtschaftsunion sowie die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, die mehr oder weniger Putins Antwort auf die EU und die Nato sind.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine mehren sich Befürchtungen, Moldau könnte als nächstes Russlands imperialen Bestrebungen zum Opfer fallen. Im Dezember 2022 sagte der Chef des moldauischen Geheimdienstes, Alexandru Musteaţă, in einem Interview des Senders TVR Moldova: »Die Frage ist nicht, ob die Russische Föderation eine neue Offensive gegen das Territorium der Republik Moldau durchführen wird, sondern wann.«

Ende Februar sagte Präsidentin Maia Sandu im Interview mit dem ZDF, dass es nichts Neues sei, dass Russland einen hybriden Krieg gegen ihr Land führe und dass Moldau auch bereits Erfahrung mit Erpressung durch die russischen Gaslieferungen habe. »Wir sehen diese russische Propaganda und Desinformation. Es gab bezahlte Demonstranten, wir sahen Cyberattacken, wir haben Hunderte falsche Bombenalarme erlebt.« Solange die Ukraine die russische Armee von der Grenze fernhalte, gebe es aber keine direkte militärische Bedrohung für Moldau, so Sandu.

Die im russischen Strategiepapier beschriebenen Vorhaben sind dennoch gefährlich für die Sicherheit und Stabilität des Landes. »Einige Schlüsselmomente der Kreml-Strategie wurden auf den öffentlichen Plattformen gewisser prorussischer Parteien sowie in den Reden gewisser Politiker ›beleuchtet‹«, so Rise Moldova. Ende Februar hatte der Rechercheverband ein weiteres russisches Strategiepapier veröffentlicht, das einen ähnlich gearteten Plan enthält und ebenfalls aus dem Jahr 2021 stammt. Demnach wolle Russland mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln bis 2030 schrittweise die Kontrolle über Belarus übernehmen.

Am 12. März wurde bekannt, dass die Polizei ein Netzwerk in Moldau mit Verbindungen nach Russland enttarnt hat. Der Polizeichef meldete, dass es im Zusammenhang mit »destabilisierenden Aktionen durch russische Geheimdienste« sieben Festnahmen gegeben habe. Ein Agent soll verdeckt Informationen darüber gesammelt haben, dass Mitgliedern der infiltrierten Gruppen aus zum Teil russischen Staatsbürgern eine Belohnung von 10 000 US-Dollar für die Organisation von Massenunruhen versprochen worden sei.

Mit dem abtrünnigen und de facto unabhängigen Transnistrien im Osten sowie dem autonomen Territorium Gagausien im Süden gibt es zwei Regionen, die Russlands Einfluss in Moldau stärken.

Seit September 2022 wird in der gesamten Republik, aber vor allem in der Hauptstadt Chișinău, gegen die prowestliche Regierung und für einen Rücktritt von Präsidentin Sandu protestiert. Sprecherin der Proteste ist die stellvertretende Vorsitzende der Șor-Partei und Abgeordnete im moldauischen Parlament, Marina Tauber. Ihre populistische Partei, die eine Annäherung an die EU ablehnt, hat im Parlament nur sechs von 101 Sitzen und stellt mit dem ebenfalls kremlorientierten und sozialkonservativen Block der Kommunisten und Sozialisten die Opposition. Parteivorsitzender und Namensgeber ist der Unternehmer Ilan Șor, der wegen Abzweigung hoher Millionenbeträge aus Moldaus Bankensystem verurteilt wurde und sich vor der Strafverfolgung in Israel versteckt halten soll. Er und seine Frau, die russische Popsängerin Jasmin, stehen wegen ihrer Verbindung zum Kreml auf der Sanktionsliste der USA.

Moldau ist sehr arm und ökonomisch vom Krieg im Nachbarland hart getroffen, die jährliche Inflationsrate stieg vorigen Sommer auf 34 Prozent. Besonders hoch sind die Energiepreise. Kremlnahe Kräfte wie die Șor-Partei machen Sandus Politik und nicht Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine dafür verantwortlich. Für die Proteste werden Menschen aus entlegenen Gebieten der Republik in die Hauptstadt gefahren und bezahlt: Lokale Medien berichteten davon, dass in der Vergangenheit umgerechnet 20 Euro für eine einfache Teilnahme, 80 Euro für das Übernachten in einem Zelt gezahlt wurden – bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von etwa 500 Euro und einer durchschnittlichen Rente von 100 Euro.

Mit dem abtrünnigen und de facto unabhängigen Transnistrien im Osten sowie dem autonomen Territorium Gagausien im Süden gibt es zwei Regionen, die Russlands Einfluss in Moldau stärken. Zwar herrscht seit 1994 Waffenstillstand zwischen Moldau und Transnistrien, dort sind aber Schätzungen zufolge bis zu 1 500 russische Soldaten stationiert. Die Republik Moldau bezieht zudem einen Großteil ihres Stroms aus Transnistrien und ist somit von der Region abhängig. In Gagausien stehen am 30. April Wahlen des Başkan (in etwa: Ministerpräsident) bevor, dem höchsten politischen Amt der autonomen Region. Anfang März gab der Politiker Wiktor Petrow, der offen Kreml-Propaganda verbreitet, offiziell seine Kandidatur bekannt.