Das neue Entlastungspaket der Bundesregierung ist unzureichend

Keine Verschnaufpause für die Armen

Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung wird vielen Menschen kaum dabei helfen, den kommenden Winter finanziell halbwegs unbeschadet zu überstehen.
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Das Neun-Euro-Ticket war nicht das größte oder bahnbrechendste Sozialprogramm der bundesrepublikanischen Geschichte. Dass es trotzdem so viele Fans hat, liegt wohl nicht nur am umweltpolitischen Aspekt, sondern auch daran, dass es vielen Menschen ein nie zuvor gekanntes Gefühl gegeben hat – mal bei einer Sache nicht aufs Geld achten zu müssen. Darin schien im Kleinen auf, was echte soziale Sicherheit und damit auch Freiheit bedeuten würde: dass die Grundbedürfnisse aller Menschen ohne Wenn und Aber gedeckt werden.

Der fein verästelte deutsche Umverteilungsstaat gibt und nimmt den Menschen zwar ständig große Summen (wobei etwa die hausbauende Mittelschicht mehr profitiert als Arbeitslose, auch wenn das in den eifernden Diskussionen über die »soziale Hängematte« gerne ignoriert wird) – aber am Ende steht immer das Prinzip, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Jeder muss seine Arbeitskraft zu Markte tragen und dadurch irgendwie seinen Lebensunterhalt verdienen. Wer das nicht schafft, landet im Disziplinarsystem namens Hartz IV, und wer seine Finanzen nicht zu organisieren vermag, wer beim alltäglichen Jonglieren der Rechnungen mal stolpert oder es einfach langfristig nicht schafft, genug fürs Leben zusammenzukratzen, ist nach landläufiger Meinung selbst dafür verantwortlich und wird dementsprechend behandelt. Schon die Menschen gehen in dieser Gesellschaft nicht besonders großzügig miteinander um – Stromkonzerne sind noch gnadenloser. Rechnungen müssen bezahlt werden, sonst wird nicht geliefert.

Die derzeitige Inflation und die Energiekrise ändern an diesen Umständen nichts Grundlegendes, sie werden nur noch ein wenig härter und – für viele Menschen – bedrohlicher. Der Slogan »You’ll never walk alone«, mit dem die Bundesregierung nun auch ihr drittes Entlastungspaket verkaufte, hat mit der Realität nichts zu tun.

Die meisten Maßnahmen des am Wochenende in Grundzügen vorgestellten Entlastungspakets sollen erst Anfang nächsten ­Jahres in Kraft treten, also nach einigen zusätzlichen Monaten der Inflation und explodierender Heizkosten. Wie es schon lange an­gekündigt war, wird Wohngeld leichter erhältlich sein. Über eine Million Haushalte zusätzlich sollen es bald beziehen können – sofern sie das auch mitkriegen und einen Antrag stellen. Für Rentner gibt es eine Einmalzahlung von 300 Euro. Das ist für wohlhabende Rentner ein netter Zuschuss, den sie nicht brauchen, für arme Senioren ist es nicht genug, um die höheren Heizkosten auszugleichen. Eine mögliche Nachfolgekarte für das Neun-Euro-Ticket soll 50 bis 70 Euro kosten. Für manche Pendler wäre das eine Entlastung, wer sich aber ein Ticket für diesen Preis nicht leisten kann, profitiert davon auch nicht.

Sehr zufrieden zeigte sich Finanzminister Christian Lindner (FDP). Er konnte sein Herzensanliegen durchdrücken: Steuerentlastungen. Wie genau die aussehen werden, ist noch unklar, doch das Konzept, das Lindner in den vergangenen Wochen vertreten hatte, war weithin dafür kritisiert worden, dass es Wohlhabende in der Summe mehr entlastet als Geringverdiener.

Auf dem Strommarkt ist eine Art Preisdeckel sowie die Abschöpfung von »Zufallsgewinnen« geplant. Das klingt eindrucksvoll, ­allerdings wird die Bundesregierung dabei nur der EU folgen, die eine entsprechende Regelung plant. Von ähnlichen Regeln für den Gasmarkt war nichts mehr zu hören. Eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne, wie sie manche bei der SPD und den Grünen gefordert hatten, wird es offenbar nicht geben. Es bleibt also bei der Gasumlage – welche die Heizkosten absichtlich verteuert und von der auch jene Energiekonzerne profitieren, die unter der derzeitigen Energiekrise nicht leiden, sondern vielmehr Rekordgewinne einfahren, was auch die Last-Minute-Änderungen an der Umlage nicht verhindern dürften.

Der Regelsatz für Hartz IV soll unterdessen auf »etwa« 500 Euro angehoben werden. Das entspricht freilich kaum mehr als einem Inflationsausgleich, und den müsste es dem Bundesverfassungsgericht zufolge sowieso geben. Für Hartz-IV-Bezieher enthält das Entlastungspaket also kaum mehr als das Allernötigste. Trotzdem wird dies von der Ampelkoalition als Abschaffung des Hartz-IV-Systems verkauft.

Die Sicherung des »sozialen Friedens« ist eine gern bemühte Floskel in der deutschen Politik, auch die derzeitigen Entlastungsmaßnahmen verkauft man so. Beim alltäglichen Konkurrenzkampf um den Lebensunterhalt wird es aber auch mit diesem Entlastungspaket nicht einmal eine Verschnaufpause geben – und das wird auch in Zukunft nicht anders, solange sozialer Frieden herrscht.