Italiens Außenminister Luigi Di Maio verlässt die Fünf-Sterne-Bewegung

Konkurrieren um die Mitte

Der italienische Außenminister Luigi Di Maio hat der Fünf-Sterne-Bewegung den Rücken gekehrt und seine eigene Fraktion gegründet.

Vergangene Woche verkündete der italienische Außenminister Luigi Di Maio seine persönliche Zeitenwende: Er verabschiedete sich aus dem Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung, M5S) und erklärte seine frühere Hetze gegen die repräsentative Demokratie und das politische Establishment für unzeitgemäß. »Die Welt hat sich verändert«, für Souveränismus, Extremismus und Populismus gebe es keinen Platz mehr, so Di Maio. Vorwürfe, er verhalte sich wie jene Parteiüberläufer und Berufspolitiker, die er als langjähriger Sprecher des M5S immer kritisiert habe, lächelte er beiseite: Er sei eben reifer geworden. Mit der Gründung der parlamentarischen Gruppe Insieme per il futuro (IPF – Gemeinsam für die Zukunft) mache er einen Neuanfang und beweise, dass man aus Fehlern der Vergangenheit lernen könne.

Über 60 Mitglieder der Abgeordnetenkammer und des Senats haben sich Di Maios Gruppierung angeschlossen, weitere könnten in den nächsten Wochen folgen. Sie alle hatten ihr Mandat als Kandidatinnen und Kandidaten des M5S ­erhalten. Zwar haben im Zusammenhang mit den Regierungsumbildungen der laufenden Legislaturperiode schon häufiger einzelne Abgeordnete den M5S verlassen, nun aber handelt es sich erstmals um eine offizielle Abspaltung – mit Folgen: Der M5S verliert in den beiden Parlamentskammern den Status der stärksten Fraktion. In der Wählergunst sinkt die Partei schon länger. Bei den Kommunalwahlen Mitte Juni erhielt sie vielerorts weniger als fünf Prozent der Stimmen. Ein solcher Absturz lässt sich nicht mehr nur mit der geringen Wahlbeteiligung von durchschnittlich 50 Prozent erklären.

Luigi Di Maio bewirbt sich um eine Führungsrolle bei der Vereinigung gemäßigter Rechter

Vordergründig führten Streitigkeiten über den Umgang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu der Abspaltung: Während Di Maio als Außenminister vorbehaltlos die mit der EU und der Nato abgestimmte italienische Regierungspolitik vertritt, forderte der Parteivorsitzende Giuseppe Conte stärkere Bemühungen um Friedensverhandlungen. Tatsächlich aber haben nur zwei Tage nach Di Maios Abspaltung Regierungs- wie Oppositionsparteien der Abgeordnetenkammer und des Senats mit breiter Mehrheit weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine und einer Fortsetzung der Sanktionspolitik gegen Russland zugestimmt. Das gilt auch für die zusammengeschrumpften M5S-Fraktionen, die ebenso wie Di Maios neue Gruppierung weiterhin die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi unterstützen. Die nationale Einheit, die Di Maio in der Kriegsfrage beschwor, stand also im Parlament nie in Frage. Es sind weniger außen- als vielmehr innenpolitische Gründe, die zu Spannungen in der Koalition führen und Di Maios Abkehr vom M5S erklären können.

Seit Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), in der Covid-19-Krise zum Ministerpräsidenten einer Regierung bestellt wurde, der fast alle Parteien angehören, ist es für die einzelnen politischen Kräfte schwierig, sich im Hinblick auf die im kommenden Frühjahr anstehenden Parlamentswahlen zu profilieren. Das haben die Kommunalwahlen gezeigt: Innerhalb des Mitte-rechts-Bündnisses wurde nicht die mitregierende Lega von Matteo Salvini, sondern die von Giorgia Meloni geführte oppositionelle Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) zur stärksten Kraft; diese Partei steht in der Tradition des neofaschistischen MSI (Movimento Sociale Italiano).

Diesen Vormarsch der Neofaschisten sehen wirtschaftsliberale Rechte kritisch. Sie fürchten, Italien könnte das mit Draghi gewonnene internationale Prestige durch den Konkurrenzkampf der beiden Rechtsextremen Salvini und Meloni wieder verlieren. Sie versuchen daher, eine gemäßigte, rechtskonservative »Mitte« aufzubauen. In diesem Sinne steht der von Di Maio vorläufig gewählte Fraktionsname »Gemeinsam für die Zukunft« für ein Programm. Di Maio bewirbt sich um eine Führungsrolle bei der Vereinigung gemäßigter Rechter. Dafür hat er sich mit Mitstreitern umgeben, die in der Vergangenheit für christdemokratische Politiker gearbeitet haben. Im Senat schloss sich die neue Gruppierung denn auch mit der christdemokratischen Kleinpartei Centro Democratico zusammen, um Fraktionsstatus zu erlangen.

Mit Di Maio konkurrieren noch mindestens zwei weitere Herren um die Führung in der politischen »Mitte«: der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi mit seiner Partei Italia Viva und der Europaabgeordnete und ehema­lige Wirtschaftsminister Carlo Calenda mit seiner Partei Azione. Während ­diese beiden Konkurrenten aus dem linksliberalen Lager kommen, steht Di Maio der Rechten näher. Nach der Wahl 2018 gehörte er zu jenen führenden Politikern des M5S, die ein Regierungsbündnis mit der Lega befürworteten. Als Salvini die Koalition nach gut einem Jahr platzen ließ und der M5S mit dem Partito Democratico (PD) weiterregierte, behielt Di Maio zwar sein Ministeramt, zog sich aber aus der Parteiführung des M5S zurück.

Aus dieser Vergangenheit erklärt sich der jetzige Bruch: Während Conte mit Enrico Letta, dem Vorsitzenden des PD, für die kommende Parlamentswahl ein breites linksliberales Parteienbündnis anstrebt, hat Di Maio die Festlegung auf ein Bündnis mit dem PD stets abgelehnt. Gemäß dem alten Selbstverständnis des M5S, »weder rechts noch links« zu sein, möchte Di Maio nun eine eigenständige »Mitte« konstruieren, die sich jedwede Regierungsoption offen hält. Doch kaum eine Partei der »Mitte« errang in den vergangenen Jahrzehnten als selbständige Kraft Bedeutung. Nicht zuletzt das Wahlgesetz zwingt die Splitterparteien, sich für den Einzug in die Abgeordnetenkammer und den Senat einem größeren Bündnis anzuschließen, und dafür standen traditionell nur ein Mitte-rechts- und ein Mitte-links-Bündnis zur Auswahl.

Die Stichrunde der Kommunalwahlen am vorvergangenen Sonntag hat allerdings auch ein weiteres Mal gezeigt, dass der PD eine siegreiche Koalition nur noch mit der Unterstützung aus der »Mitte« bilden kann. Das dürfte sowohl die Parteilinke als auch die linken Kleinparteien weiter in die politische Bedeutungslosigkeit drängen. Allerdings könnten alle parteitaktischen Überlegungen der vergangenen Wochen schon bald überholt sein, sollte die wirtschaftliche und soziale Krise nach den Sommerferien wieder in den Vordergrund rücken.