Kenia will Flüchtlingscamps schließen

Schutzlos im Lager

Kenia will die Flüchtlingscamps Kakuma und Dadaab Ende Juni schlie­­ßen. In Kakuma haben sich LGBTIQ organisiert, doch sie werden immer wieder Ziel von Anschlägen. Was mit ihnen und den Hundert­tausenden anderen Geflüchteten geschehen soll, bleibt ungewiss.

Die Nachricht war ein Schock, insbesondere für stark gefährdete Geflüchtete. Am 30. Juni sollen die beiden Flüchtlingscamps Kakuma und Dadaab schließen, in denen zusammen über 430 000 Menschen leben. Das hatte die kenia­nische Regierung im April vergangenen Jahres nach Verhandlungen mit den Vereinten Nationen entschieden.

In Kakuma im Nordwesten Kenias leben mehr als 180 000 Geflüchtete, vor allem aus Somalia und dem Südsudan, darunter offiziellen Schätzungen zufolge etwa 300 Geflüchtete mit sogenanntem LGBTIQ-Profil. Sie haben sich aber im Camp organisiert und feierten im Juni 2018 sogar eine öffentliche Pride Parade. Doch die Sichtbarkeit hat auch ihre Schattenseite: Vermehrt sind sie Ziel von Gewalttaten und Anschlägen geworden.

»Die Diskriminierung von Trans­­personen ist so stark, dass ich nicht mal medizinische Hilfe in Anspruch nehmen kann, ohne angegriffen zu werden.« Eva Kakuma, Geflüchtete im Camp Kakuma

So auch am 15. März 2021: Rauchschwaden rissen den 30jährigen Ugander Chriton Atuhwera, Bewohner Kakumas und schwuler Menschenrechtler, aus dem Schlaf. Er entkam dem Feuer, erlag am 12. April 2021 jedoch seinen schweren Brandverletzungen. Das Lagerpersonal in Kakuma habe zu spät reagiert, die medizinische Versorgung nicht ausgereicht, berichteten Freunde Atuhweras nach seinem Tod. Dem war er bei einem anderen Brandanschlag ein Jahr zuvor noch entronnen »Der Geruch von Benzin hat mich geweckt«, hatte er im Januar 2021 im Gespräch mit der Jungle World gesagt. »Alles ist ab­gefackelt, außer mir. Sie haben geschworen, uns alle umzubringen.«

Atuhwera war vor homophober Gewalt aus Uganda geflohen, so wie viele vor ihm infolge der dort seit 2009 verfolgten Gesetzesinitiativen. Ein berüchtigtes Gesetz, das in der Alltagssprache unter dem Namen »Kill the Gays« bekannt ist, sollte jegliche homosexuelle Aktivität zunächst unter Todesstrafe stellen; später wurde das Strafmaß zu lebenslanger Haft abgeändert. Das ugandische Verfassungsgericht erklärte das im Februar 2014 nach Unterzeichnung durch Präsident Yoweri Museveni in Kraft getretene Gesetz zwar wenige Monate später für ungültig. Die Gesetzesinitiative befeuerte jedoch landesweit Bloßstellungen und Lynchmorde, oft durch die Familie oder das soziale Umfeld der Opfer.

Auch in Kenia werden aus Uganda geflüchtete LGBTIQ gebrandmarkt und werden Opfer von Gewalttaten. »Sie ahnen, dass ich schwul bin, sobald sie herausfinden, dass ich aus Uganda komme«, sagte Atuhwera im Januar 2021. Da kein Krieg in Uganda herrscht und es keine größere Fluchtbewegung von dort gibt, gilt, wer aus Kenias Nachbarland flieht, als homosexuell. Kenia wiederum ist das einzige Land in der Region, das die Kriminalisierung Homo­sexueller als Fluchtgrund anerkennt. Das betonte auch Eujin Byun, Pressesprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in einem Gespräch mit der Jungle World am 30. Mai mehrfach. Paradoxerweise sind in Kenia selbst homosexuelle Handlungen zwischen Männern seit der britischen Kolonialherrschaft strafbar.

Statt ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität zu verbergen, hat sich ein Teil der LGBTIQ-Geflüchteten in Kakuma zusammengeschlossen. Block 13 ist der wohl größte und bekannteste Zusammenschluss in Kakuma, er ist nach dem gleichnamigen Lagerabschnitt ­benannt. Die Gruppe um Atuhwera konnte ein internationales Solidaritätsnetzwerk aufbauen, das Spenden sammelt und Druck auf die kenianische Regierung sowie den UNHCR ausübt, um LGBTIQ-Geflüchtete besser zu schützen.

Der UNHCR in Kenia blickt mit Argwohn auf die insbesondere von Block 13 immer wieder ausgehenden Protestaktionen. »Es ist gefährlich, Kenia, Kakuma oder der Polizei Homophobie vorzuwerfen«, mahnt Byun. »Die Regierung kann ihnen jederzeit das Asylrecht nehmen. Die eigenen Gesetze wären Grund genug dafür.« Widerstand sei ein Spiel mit dem Feuer. Die Geflüchteten sollten lieber die Füße stillhalten und sich »in die Gemeinschaft integrieren«, rät Byun und verweist dabei auf zahlreiche LGBTIQ-Geflüchtete, die ­keinen aktiven Widerstand leisteten.

Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der seit 2013 im Amt ist, drohte bereits 2015 mit der Schließung der beiden Flüchtlingscamps Kakuma und Dadaab, offiziell wegen des Verdachts, die somalische Terrorgruppe al-Shabaab organisiere sich dort, doch auch andere ­politische Interessen dürften eine Rolle gespielt haben. Kenyatta spielt schon seit Jahren aus innenpolitischen Erwägungen heraus Kräftemessen mit der sogenannten internationalen Gemeinschaft – besonders in der Migrationspolitik. Nun rückt der 30. Juni immer näher, doch die kenianischen Behörden schweigen darüber, was mit den Geflüchteten passieren soll. »Der UNHCR ist überzeugt, dass die Regierung und die Bevölkerung Kenias den Flüchtlingen weiterhin ihre großzügige Gastfreundschaft erweisen werden, wie sie es seit fast drei Jahrzehnten tun«, heißt es hoffnungsvoll in einer Stellungnahme des UNHCR vom 6. Juni auf Nachfrage der Jungle World.

Hinweise darauf, wie die mögliche Schließung Ende des Monats umgesetzt werden soll, könnte das im Februar in Kenia in Kraft getretene Flüchtlingsgesetz geben, das die ökonomische Inte­gration der Geflüchteten vorbereiten soll. Anstatt von »Lagern« spricht das Gesetz von »ausgewiesenen Gebieten«, in denen sich Flüchtlinge weiterhin aufhalten müssen. Damit wäre keine Evakuierung, sondern eine Eingemeindung zu erwarten. Kalobeyei, ein abgesonderter Teil des Kakuma-Komplexes, könnte hierfür ein Modellprojekt sein. Um an der regionalen Ökonomie teilhaben zu können, erhalten die Menschen statt Sachleistungen finanzielle Unterstützung. Solch eine Umstrukturierung würde durch vereinfachte Erteilung von Arbeitserlaubnissen flankiert, wie es das neue Gesetz vorsieht.

Das UNHCR befürwortet diesen Kurswechsel. Öffentlichkeitswirksam brüstet man sich mit den Erfolgsgeschichten neuer Ausbildungsstätten und Start-ups. Doch der Verweis auf neue Aufstiegschancen steht im Kon­trast zur Realität der materiellen Verelendung im Camp. Denn seit Jahren werden die Zuwendungen gekürzt. Nun reichten die monatlichen Essensra­tionen, die jede Person bekomme, bloß noch für wenige Tage, berichtete eine Geflüchtete, die sich Eva Kakuma nennt und als Transperson besonders vom Mangel betroffen ist, der Jungle World am 6. Juni: »Die Diskriminierung von Transpersonen ist so stark, dass ich nicht einmal medizinische Hilfe oder Essensversorgung in Anspruch nehmen kann, ohne angegriffen zu werden.«

Eine größere Krise zeichnet sich ab. »Unsere Sachbearbeiter verlassen ihre Büros, die LGBTIQ-Krankenschwester hat aufgehört zu arbeiten«, schrieb der homosexuelle ugandische Geflüchtete Austin Salit der Jungle World am 7. Mai aus Kakuma. Pressesprecherin Byun bestätigt, dass viele Stellen gestrichen würden.

»Wir können nicht begreifen, warum sich so viel verändert, sicher ist nur, dass wir unter den Konsequenzen leiden werden«, so Salit. Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, Asyl – nichts ist für jene Geflüchteten sicher. Konstant ist nur die Angst, dass sie nach dem 30. Juni noch weniger auf Schutz vertrauen können, sollten bestehende ­Sicherheitsstrukturen des Lagers wegfallen.