Ein Ökonazi richtete das Massaker im US-amerikanischen Buffalo an

Der Ökonazi von Buffalo

In einem Supermarkt in Buffalo, New York, erschoss Payton Gendron jüngst zehn Menschen. In seinem Manifest bezeichnet er sich als »ökofaschistischen Nationalsozialisten«.

Am Mittwoch voriger Woche Woche tötete Salvador Ramos 19 Kinder und zwei Lehrkräfte in der Robb Elementa­ry School in Uvalde, Texas. Am Freitag, dem 16. Mai, fuhr Payton Gendron 320 Kilometer aus seinem Wohnort Conklin bis nach Buffalo; beide Orte liegen im Bundesstaat New York. Einen Tag später eröffnete er dort in einem Supermarkt in einer überwiegend von Schwarzen bewohnten Gegend der Stadt das Feuer. Zehn Menschen wurden getötet, drei weitere verletzt.

Diese Attentate reihen sich in eine lange Liste von insgesamt 213 mass shootings ein, die in den ersten 145 Tagen dieses Jahres in den USA verübt wurden. Nach jedem Attentat flammt die Diskussion über eine Regulierung des Waffenverkaufs aufs Neue auf, die Po­sitionen scheinen sich jedoch kaum zu verändern. Die Befürworter des Rechts auf Waffenbesitz wittern einen staatlichen Angriff auf ihre individuelle Freiheit und fürchten sich vor mangelnden Möglichkeiten zur Selbstverteidigung. Politikerinnen, die sich öffentlich für die Beibehaltung der gängigen Auslegung des zweiten Zusatzartikels der Verfassung stark machen, sind meist Republikaner und profitieren von finanzieller Unterstützung der Waffenlobby, allen voran der National Rifle Association (NRA).

Jene, die sich nicht mit Gewalt für die weiße Nation und den Schutz der Umwelt einsetzen, sind Gendron zufolge »Konvertiten« und »Betrüger ihrer eigenen Rasse«.

Befürworterinnen einer strengeren Regulierung des Waffenbesitzes argumentieren, dass der zweite Zusatzartikel keinen uneingeschränkten Zugang zu Waffen bedeuten müsse, dass weniger Waffen zu weniger (Selbst-)Morden führen und eine stärkere Regulierung nicht nur Menschenleben retten, sondern auch soziale Kosten sparen könnte. Wegen des großen politischen Einflusses der fünf Millionen Mitglieder starken NRA ist jedoch auch nicht jede Demokratin für eine Regulierung. Dass im Jahr 2020 etwa 42 Prozent der US-Haushalte über mindestens eine Schusswaffe verfügten, macht es Demokratinnen oft schwer, sich wirksam für die Regulierung von Waffen einzusetzen.

Die Diskussion über Waffenregulierung ist wichtig, gleichzeitig läuft sie jedoch auch Gefahr, Amoklauf mit Amoklauf gleichzusetzen, etwa weil die Täter von Uvalde und Buffalo jeweils ein halbautomatisches Gewehr benutzt haben.

Während die Motive des Attentäters von Uvalde noch untersucht werden, hat der 18jährige Payton Gendron ein 180seitiges Manifest hinterlassen, in dem er seine Beweggründe und seine faschistische Radikalisierung detailliert beschreibt. Der Text erschien kurz vor der Tat im Internet, wurde mittlerweile jedoch von vielen Seiten entfernt, um keine weiteren Greueltaten zu inspirieren. In dem Manifest schreibt Gendron über sich selbst: »Ich würde mich gerne als Populisten bezeichnen, aber man könnte mich auch als ethnonationalistischen, ökofaschistischen Nationalsozialisten beschreiben, ich würde Ihnen nicht widersprechen.« Das FBI beschreibt Gendrons Tat als »Hassverbrechen und einen Fall von rassistisch motiviertem gewalttätigem Extremismus«.

Obwohl Rassismus ein Tatmotiv ist, ist es zu kurz gegriffen, Gendrons Gewalt als allein dadurch motiviert zu verstehen. Gendron beschreibt sich in dem Manifest als Repräsentanten von »Millionen von Europäern und anderen Ethnonationalisten, die in Frieden unter ihresgleichen leben wollen, in ihrem Land ihre Traditionen ausüben und über die Zukunft von Ihresgleichen entscheiden wollen«. Seine Tat habe er begangen, um die »Zukunft unserer Menschen und die Zukunft weißer Kinder« zu sichern. Seine Opfer bezeichnet er als replacers – nichtweiße Menschen, die in »Heimatländern der Weißen leben«, hohe Reproduktionsraten hätten und somit längerfristig die weiße Bevölkerung »ersetzen« (»replace«). Dahinter steckten die Juden, die allein in der Lage seien, diesen »Großen Austausch« (»Great Replacement«) zu planen und zu organisieren. Daher schreibt er in seinem Manifest: »Der wirkliche Krieg, für den ich mich einsetze, ist Nichtjuden gegen Juden.«

Das ist Antisemitismus und Rassismus – offensichtlich. Aber es ist auch Ethnonationalismus und nicht zuletzt Ökofaschismus. In der akademischen ­Literatur gibt es bislang keine einheitliche Definition des Ökofaschismus. Oft wird der Begriff benutzt, um die Naturschutzpolitik des nationalsozialistischen Regimes zu beschreiben. Die »Blut und Boden«-Ideologie besagte, dass es eine natürliche Verbindung zwischen Menschen einer Nation und der Natur ihres Siedlungsgebiets gebe. Je reiner und gesünder der Boden, desto reiner, gesünder und stärker auch die Bevölkerung. Der Ökofaschismus stützt sich in seinen verschiedenen Erscheinungsformen auf eine Mystifizierung einer natürlichen und schützenswerten Verbindung zwischen dem einzelnen Menschen, der Nation, der er zugerechnet wird, und der Umwelt, in der der Mensch beziehungsweise die Nation »heimisch« ist. Dem gegenüber stehen Menschen aus anderen Kulturkreisen, mit anderen Religionen und anderem Aussehen.

An sich, so sagt es Gendron in seinem Manifest, bedeute die Existenz dieser Menschen keine Bedrohung. Aber sobald sie in »unser Land eindringen, auf unserem Boden leben«, »verschmutzen« sie die Natur und schwächen die Verbindung zwischen den Weißen und ihrer Umwelt. Somit »attackieren und ersetzen sie unsere Menschen«. In Zeiten der Klimakrise, in der Klima- und Umweltschutz immer wichtiger werden, sehen sich Ökofaschisten darin bestärkt, für den Erhalt »ihrer« Umwelt einzutreten.

Politisch ist der Begriff des Ökofaschismus insbesondere durch die beiden Massaker 2019 im neuseeländischen Christchurch, dem 51 Menschen zu Opfer fielen, und im texanischen El Paso, das 23 Menschen in den Tod riss, bekannter geworden. Beide Täter hinterließen Manifeste, in denen sie sich selbst zum Ökofaschismus bekannten und propagierten, nichtweiße Menschen seien schuld an Umweltverschmutzung und Klimakrise.

Dem Faschismus liegt die Überzeugung zugrunde, dass etwas bereits Errungenes oder Erschaffenes – wie die mystifizierte Reinheit einer Nation – verteidigt oder wiederhergestellt werden müsse. Morden und Gebären spielen in diesem bevölkerungspolitischen Projekt gleichermaßen zentrale Rollen. So liebäugelt der (Öko-)Faschismus auch mit misogynen, homo-, und transfeindlichen Ideologien, die Menschen dehumanisieren, wenn sie bestimmte Geschlechterrollen nicht reproduzieren können oder wollen. Auch Gendron attackiert transgeschlechtliche Menschen in seinem Manifest direkt. All jenen, die sich nicht als ethnonationalistische Ökofaschisten bezeichnen, wirft er Dekadenz sowie ­sozialen und moralischen Verfall vor. Ihre mangelnde Bereitschaft, sich mit Gewalt für die weiße Nation und den Schutz der Umwelt einzusetzen, mache sie zu »Konvertiten« und »Betrügern ihrer eigenen Rasse«, die »ihren Traditionen, ihren Wurzeln den Rücken zukehren«.

Die Kritik an der Dekadenz, an dem ausgelassenen Leben in den Ruinen einer vergangenen Blütezeit, liegt sowohl dem Faschismus als auch dem Rechtspopulismus zugrunde. Besonders interessant ist allerdings, wie Gendron in seiner Kritik an der Dekadenz den industriellen Kapitalismus verteidigt. Demnach leben weiße Bevölkerungen »dank ihrer Ahnen« »privilegiert und in Wohlstand«. Gleichzeitig seien sie aber zu »bequem«, um »für den Sieg der wahren Männer und Frauen Europas« zu kämpfen. Der Grund dafür sei »aber nicht die industrielle Gesellschaft«. Nicht Massenproduktion und Überfluss führten zu Bequemlichkeit und somit zu »Depatriotisierung«, sondern der Anschein politischer Stabilität. Allein durch das Hervorrufen einer »großen notwendigen Krise« könne das Gefühl von Komfort bekämpft, nur so könnten die Weißen wieder für die »Gefährdung ihrer Rasse« sensibilisiert werden.

Zwar stützt sich der Ökofaschismus in seiner Globalisierungskritik auf ethnonationale Grenzen und sehnt sich nach einem starken Staat, der die kapitalistische Produktionsweise zugunsten der Nation regulieren soll. In letzter In­stanz wird jedoch stets ein industrieller Kapitalismus verteidigt, der auf fossile Energieträger angewiesen ist. Deren Rolle kann auch nationalistisch mystifiziert werden: Es ist beispielsweise die deutsche Kohle, die in deutschem Boden herangereift ist und nun die deutsche Wirtschaft befeuert, während Sonne und Wind keinen exklusiv nationalen Ursprung vorweisen können. Diese verzweifelte Verteidigung fossiler Energie als Begründung rassischer Überlegenheit der »Weißen« bezeichnen Andreas Malm und das Zetkin-Kollektiv als »fossilen Faschismus«. Er kann als Zusammenschluss zwischen Kapitaleignern und Ethnonationalistinnen entstehen, die die fossile Energiegewinnung verteidigen – gerade weil sie angeblich nationale Charaktereigenschaften hat.

Dass die Ideologie des Ökofaschismus nicht bloß ein Gedankenspiel ist, sondern reales und tödliches Han­deln antreibt, sollte spätestens nach dem Massaker von Buffalo allgemein zur Kenntnis genommen werden.