Die US-Justiz geht gegen chinesische Industriespionage in der Wissenschaft vor

Gelbe Gefahr, neue Folge

In den USA wird über die Folgen einer von Donald Trump begonnenen »China Initiative« gegen chinesische Spionage diskutiert. Kritiker ­sprechen von einem Generalverdacht gegen chinesisch­stämmige Wissenschaftler.

Gang Chen stand gerade in der Küche, um Kaffee zu kochen, als am 14. Januar 2021 um 6.30 Uhr das FBI an seine Tür klopfte. Chen ist Professor für Maschinenbau an der US-amerikanischen Elite­universität Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Beamten warfen ihm Überweisungsbetrug vor, legten ihm Handschellen an und nahmen ihn in Gewahrsam. Seine Frau, die durch den Lärm aus dem Schlaf gerissen wurde, versuchte, mit den Agenten zu diskutieren. Chen sagte später, dass er seine Frau eigentlich warnen wollte, nicht mit dem FBI zu sprechen. Doch er habe Angst gehabt, in Anwesenheit der ­Beamten seine Muttersprache zu benutzen. »Meine Frau und ich kommuni­zieren meist auf Chinesisch, aber in dem Moment habe ich mich nicht ­getraut, Chinesisch zu sprechen«, sagte Chen der New York Times. Erst ein Jahr später wurde die Anklage gegen ihn fallengelassen.

Chens Geschichte ist symptomatisch für den Kurs der Regierung Donald Trumps. Dieser hatte China bereits während seiner ersten Kandidatur für die US-Präsidentschaft zum Feind erklärt und Ressentiments gegen chinesischstämmige Amerikaner geschürt. Diese würden nicht nur US-amerikanische Arbeitsplätze stehlen, sondern auch US-amerikanisches Know-how. Hintergrund waren Vorwürfe, der chinesische Staat und chinesische Firmen würden sich systematisch das sogenannte geistige Eigentum von US-Konzernen aneignen, um in der wirtschaftlichen Konkurrenz zu ihnen aufzuschließen. Das geschehe zum einen, indem in China operierende Unternehmen gezwungen würden, ihre Technologie mit chinesischen Partnern zu teilen, zum ­anderen auch durch Cyber- und konventionelle Industriespionage. Der US-­Regierung zufolge ist bei circa 80 Prozent aller Anklagen des US-Justizministeriums wegen Industriespionage der chinesischen Staat involviert.

»Fragen der nationalen Sicherheit werden als Vorwand benutzt, um unsere »Community« ins Visier zu nehmen.« Gisela Kusakawa, Asian Americans Advancing Justice

So wurde nach Trumps Amtsantritt die Suche nach chinesischen Spionen in Industrie und Wissenschaft schnell zu einer Priorität der Geheimdienst- und Justizbehörden. Im Jahr 2018 rief das Justizministe­rium die sogenannte China Initiative ins Leben, die Diebstahl von Handelsgeheimnissen und intellektuellem Eigentum aus den USA strafrechtlich verfolgen sollte und gezielt Forschungseinrichtungen und Universi­täten in den Blick nahm. Insbesondere dort, wo aus China, von chinesischen Universitäten oder Stiftungen, Geld zur Finanzierung wissenschaftlicher Projekte in den USA floss, wurden die Ermittler tätig. Tausende Ermittlungsverfahren soll das FBI eingeleitet haben. Angeklagt wurden mehr als 150 Personen – 88 Prozent der Angeklagten hatten einen chinesischem Hintergrund. Bürgerrechtsgruppen kritisierten die Ziele und Methoden der China Initiative deshalb scharf: Weil nie offiziell definiert wurde, welche Voraussetzungen ein Fall erfüllen muss, damit die Bestimmungen der Initiative greifen, würden aus ­China stammende Forscher in den USA unter Generalverdacht gestellt werden.

Bei einer systematischen Untersuchung aller bekannten Fälle fand ein Team des Magazins MIT Technology Review heraus, dass die Initiative ­hinter ihren erklärten Zielen der Spionageabwehr zurückgeblieben war. Bei 19 der 77 untersuchten Strafverfahren handelte es sich um Fälle im Sinne des Wirtschaftsspionagegesetzes (EEA). Bei acht dieser 19 Fälle ging es um tatsächliche Wirtschaftsspionage, bei der ein ausländischer Staat – in diesem Fall die Volksrepublik China – von gestohlenen Geheimnissen profitieren sollte.

Im Laufe der Zeit verlagerte die Initiative ihre Tätigkeit jedoch immer mehr von Spionagevorwürfen hin zu Fragen der sogenannten Integrität in der Forschung. Im Jahr 2020 fiel bereits mehr als die Hälfte der neuen Ermittlungsverfahren in diese Kategorie. Oft ging es dabei um Versäumnisse bei der Meldung von institutioneller Zugehörigkeit, wissenschaftlichen Koopera­tionen oder Forschungsgeldern aus China. So auch im Fall des MIT-Professors Gang Chen. Das FBI warf ihm vor, 19 Millionen US-Dollar von einer chinesischen Universität angenommen zu haben. Während der Hausdurchsuchung habe seine Frau einen FBI-Agenten verblüfft gefragt, wo in ihrem Haus diese 19 Millionen denn bitte versteckt seien. Die Antwort des Beamten: »Im MIT.«

Eine Woche später äußerte sich der Präsident der Universität in einer Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen seinen Kollegen und erklärte, dass das Geld nicht an Chen persönlich, sondern an die Universität gegangen sei, um ein gemeinsames Projekt zu finanzieren. An der Universität gab es eine breite Solidaritätsbewegung. Im Januar wurde die Anklage gegen Chen fallengelassen und der Fall eingestellt, in der Beweiskette gab es offensichtliche ­Lücken. Wie anderen Beschuldigten der China Initiative war Chen vorgeworfen worden, bei Bewerbungsverfahren für staatliche Zuschüsse gewisse Informationen über institutionelle Verbindungen nach China vorenthalten zu haben, doch zumindest in Chens Fall stellte sich heraus, dass er keine Regel verletzt hatte. Die Vorschriften zur Erstellung solcher Anträge seien zudem oft »verwirrend und vage«, schrieb die Washington Post. Kurz darauf, im Februar dieses Jahres, erklärte das Justizminis­terium die China Initiative offiziell für beendet.

Der stellvertretende US-Generalstaatsanwalt Matthew Olsen bedauerte in einer Stellungnahme, dass die Zusammenfassung von Fällen unter dem Namen China Initiative den Eindruck erweckt habe, die verantwortliche Abteilung behandele »Menschen mit ethnischen oder familiären Verbindungen nach China« anders als andere.

Gang Chen ist allerdings skeptisch, ob das Ende der China Initiative wirklich einen Kurswechsel in der Arbeit der Ordnungsbehörden bedeutet. »Ich habe keine echten Veränderungen beobachten können. Nachdem mein Fall eingestellt wurde, habe ich erfahren, dass ein FBI-Agent einen Universitätsdozenten, den ich kenne, zu Hause aufgesucht hat. Ein anderer wurde für vier Stunden auf einem Flughafen verhört. Diese Dinge passieren immer noch«, sagte Chen im Gespräch mit der NGO National Committee on United States–China Relations.

Auch der Rechtsanwalt Robert Fisher, der Chen in seinem Verfahren ver­treten hatte, meldet Zweifel an, ob die Regierung ihre Pläne wirklich aufge­geben habe. »Allein auf Grundlage der Anzahl der Professoren, die sich bei uns gemeldet haben, seit wir Gangs Fall gewonnen haben, kann ich sagen, dass die Regierung auch weiterhin in solchen Fällen ermittelt«, sagte Fisher dem New Yorker.

Gisela Kusakawa von der NGO Asian Americans Advancing Justice erhebt im Gespräch mit dem MIT Technology Review schwere Vorwürfe gegen die Regierung: »Im Wesentlichen werden Fragen der nationalen Sicherheit als Vorwand benutzt, um unsere Community unter Beobachtung zu stellen.« Dies führe nicht nur zu einer Abwanderung von Wissenschaftlern aus den USA, sondern auch zu Misstrauen gegen die Vereinigten Staaten und ihre Justizbehörden, was kontraproduktiv für die nationale Sicherheit sei, so Kusakawa weiter.

Gegen Industriespionage gehen US-Behörden jedenfalls weiter vor. Die US-Regierung schätzt, dass China jedes Jahr US-amerikanische Geschäftsgeheimnisse im Wert von 200 bis 600 Milliarden US-Dollar stehle. Medien berichten immer wieder über chinesische Cyberangriffe auf westliche Unternehmen und Regierungsbehörden. Aber auch in der klassischen Geheimdiensttätigkeit ist die Volksrepublik sehr aktiv. Im November 2021 verurteilte eine US-Jury einen chinesischen Geheimdienstoffizier für den versuchten Diebstahl von amerikanischer Flugzeugtriebwerkstechnologie. Den erste Kontakt mit der Zielperson hatte der Agent über die Karrierebörse Linked­in hergestellt. Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit ebenfalls davor gewarnt, China versuche über Linkedin, deutsche und EU-Behörden zu infiltrieren und Spione zu rekrutieren.

Die Bundesrepublik ist zwar weit von einer Aktion wie der China Initiative entfernt, aber auch hierzulande wird über die Gefahren chinesischer Infil­tration im Wissenschaftsbereich diskutiert. Im Jahr 2007 wurde der Spiegel heftig für den Titel »Die gelben Spione« kritisiert, in dem das Magazin chine­sische Studenten und Gastwissenschaftler unter Generalverdacht gestellt hatte. Auch in der Diskussion über die Konfuzius-Institute an deutschen Universitäten werden immer wieder Spionagevorwürfe laut.