Rüstungsprojekte in Deutschland sind besonders teuer und dysfunktional

Rucksacksystem mit Goldrand

Zu teuer, zu spät und dann oft nicht mal einsatzfähig: Die Anschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr verläuft nur selten nach Plan.

Um pathetische Worte war Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nicht verlegen, als sie sich am 14. März gemeinsam mit Generalinspekteur Eberhard Zorn mit einem »Tagesbefehl« an die Angehörigen der Bundeswehr richtete. »Das brutale Vorgehen Putins und seiner Erfüllungsgehilfen in der Ukraine zeigen uns, dass wir bei unseren Vorhaben keine Zeit verlieren dürfen«, verlautbarten die beiden. »Für Sie heißt das, dass Sie die materielle Ausstattung bekommen, die Sie für Ihren Auftrag brauchen: vom Rucksack bis zum Kampfjet.« Kurz zuvor hatte die Bundesregierung beschlossen, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zur Verfügung zu stellen.

Über neue Rucksäcke kann sich die Bundeswehr schon mal freuen, die ­ersten Exemplare wurden im vergangenen Jahr ausgeliefert. Deren Beschaffung zeigt aber auch die Misere, in der Armee und Bürokratie gefangen sind – und warum auch der unerwartete Geldsegen daran vermutlich nicht so schnell etwas ändern wird. ­Bereits die erste Ausschreibung für ein neues »Rucksacksystem für Kampfeinsätze« verlief 2017 alles andere als reibungslos. »Dem Vernehmen nach soll es unterschiedliche Ansichten über die Relevanz einzelner Kriterien der Ausschreibung zwischen den Beschaffern und den Vertretern der Nutzer ­gegeben haben«, heißt es dazu diplomatisch auf dem Online-Portal »Soldat und Technik«. Rund fünf Jahre und ein weiteres Auswahlverfahren später wurden dann die ersten Exemplare ausgeliefert. Doch kaum sind die Rucksäcke endlich da, zweifelt die derzeitige Verteidigungsministerin an dem Sinn des Unterfangens. »Die Entwicklung von einem Bundeswehr-Rucksack – selbst die gab es. Für mich nicht nachvollziehbar, wie man auf diese Idee kommt«, sagte Lambrecht Anfang April in der Talkshow bei Maybrit Illner.

Für die zahlreichen ­Anschaffungs­pläne und Rüstungsprojekte der Bundeswehr dürften die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen langfristig kaum reichen.

Wenn es bereits einige Jahre dauert, um Rucksäcke zu beschaffen, wie läuft es dann bei aufwendigem Hightech-Gerät? Reichlich bizarr mutet etwa die Geschichte des Schützenpanzers »Puma« an, eines der Prestigeprojekte der Bundeswehr. Die ersten Planungen datieren auf 1996, als ein Nachfolger für das betagte Standardmodell »Marder« gesucht wurde. Die ersten Vorserienfahrzeuge wurden 2006 ausgeliefert, doch sie stellten sich bald als wenig ausgereift heraus. Bestellt wurde der von den Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall Landsysteme hergestellte Panzer trotzdem. In den folgenden Jahren traten immer neue Mängel auf und das Projekt wurde immer teurer. 2019 wurden die Entwicklungs- und Anschaffungskosten auf rund sechs Milliarden Euro geschätzt, etwa doppelt so viel wie die ursprünglich veranschlagte Summe. Mittlerweile ist der »Puma« nicht nur der schwerste Schützenpanzer der Welt, sondern auch mit 17 Millionen Euro pro Stück einer der teuersten. Trotz dieser riesigen Beträge fand noch im Juli 2020 ein Bericht der Bundeswehr erneut teilweise erhebliche Mängel und erklärte den Panzer für nicht einsatzfähig. Erst ein Jahr später, im März 2021, wurde die Einsatzfähigkeit endlich festgestellt. Doch wegen der zahlreichen Nachrüstungen wird mit einer vollen Einsatzbereitschaft von zumindest 266 Exemplaren erst 2027 gerechnet – über 30 Jahre nach Beginn der ersten Planungen.

Bei anderen wichtigen Großprojekten der Bundeswehr sieht es nicht viel besser aus. Um veraltete Versorgungsschiffe der Marine zu ersetzen, wurde eine deutsche Werft beauftragt, zwei neue Tanker zu bauen. Weil der ge­forderte Preis von rund 914 Millionen Euro weit über ihren Vorstellungen lag, akzeptierte die Bundeswehr eine schlechtere Ausstattung der Schiffe. Wie der Rechercheverbund von WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung Ende März berichtete, hat sich der Preis dadurch nicht wesentlich verändert: Die Schiffe sind weiterhin exorbitant teuer, trotz der schlechteren Ausstattung. Sogar eine interne Prüfung durch Experten des Beschaffungsamts der Bundeswehr sei zu dem Schluss gekommen, dass der Preis »deutlich überzogen« war. Einem internen Schreiben zufolge hätte ein realistischer Preis etwa 250 Millionen Euro niedriger gelegen.

Ähnliche Schwierigkeiten gibt es bei anderen Vorhaben. So ist aus den ehrgeizigen Plänen für die Drohne »Euro Hawk« mittlerweile ein mehrere Hundert Millionen Euro teures Museumsstück geworden. Die Drohne wurde kostspieliger als erwartet und konnte trotzdem nie für den deutschen Luftraum zugelassen werden, weil die Verbindung zum Piloten zu instabil war. 2013 wurde das Projekt eingestellt. Seit Oktober 2021 ist der Prototyp auf dem Berliner Flugplatzgelände des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr ausgestellt.

Viele Beschaffungsprobleme bei der Bundeswehr erinnern an Probleme bei Großprojekten wie dem Berliner Flughafen. Am Anfang stehen ambitionierte Vorgaben, die durch zahlreiche Sonderwünsche und geänderte Anforderungsprofile immer komplexer werden. Die Industrieunternehmen wieder­um lassen sich jede Änderung teuer bezahlen. Häufig wird die Neigung zur sogenannten Goldrandlösung kritisiert: Bundeswehr und Regierung neigen zu perfektionistischen Vorgaben. Das gewünschte Gerät ist dann zwar oft technisch avanciert, doch lange Entwicklungszeiten und hohe Kosten führen dazu, dass am Ende nur geringe Stückzahlen produziert werden können und die ausgelieferten Panzer und Flugzeuge oft störanfällig sind.

Zu spät, zu teuer und zu wenig: An den strukturellen Problemen hat sich über viele Jahrzehnte wenig geändert. Diese Schwächen will die Bundesregierung nun umgehen, indem sie aus dem Sondervermögen vermehrt Gerät von der Stange kauft, etwa bereits eingeführte Kampfflugzeuge wie den US-amerikanischen Jet F-35 oder bewährte Hubschrauber von Boeing, Airbus Helicopters oder Lockheed Martin. Langfristig sollen Entwicklungskosten durch europäische Kooperation gesenkt werden. Das Kampfflugzeug FCAS und der Kampfpanzer MGCS werden gemeinsam mit Frankreich und Spanien entwickelt. Sie sollen in 15 bis 20 Jahren fertig sein.

Die zahlreichen Anschaffungspläne und Rüstungsprojekte der Bundeswehr legen nahe, dass die 100 Milliarden Euro zwar eine einmalige Aufwendung sind, die laufenden Rüstungsausgaben aber langfristig steigen werden. Allein um die Munitionsvorräte aufzustocken, sind angeblich bereits 20 Milliarden Euro nötig. Die Industrie ist jedenfalls schon jetzt unzufrieden. »Nach einer reinen Bedarfsanalyse werden die 100 Milliarden Euro nicht ausreichen«, meinte Michael Schoellhorn, der Leiter der Airbus-Rüstungssparte, vergangene Woche im Handelsblatt.