In Paris ist das besetzte Kino »La Clef« von Räumung bedroht

Der Schlüssel für unabhängiges Kino

In Paris droht die Räumung des letzten kollektiv betriebenen Kinos, »La Clef«, das 2019 besetzt wurde.

Mitten im Quartier Latin, dem Pariser Universitätsviertel, steht das letzte unabhängige, kollektiv betriebene Kino der französischen Hauptstadt. Ihm droht nun die Räumung. Seit seiner Eröffnung 1973 wurden in »La Clef«, benannt nach seinem Sitz an der Ecke der Rue de la Clef (Schlüsselstraße), insbesondere internationale, unabhängige Produktionen gezeigt. Eigentümer des Gebäudes ist seit 1981 der Betriebsrat der Sparkasse Caisse d’Epargne, der jedoch seit 2015 versucht, es zu verkaufen. Verhandlungen mit dem damaligen Betreiber des Kinos scheiterten und es musste im April 2018 schließen. Statt sich damit abzufinden, besetzte im September 2019 der Verein »Home Cinéma – La Clef Revival«, dem auch ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angehörten, das Kino. Der Verein fordert von der Stadt ein Vorkaufsrecht und hat den Kinobetrieb wiederaufgenommen. Mit Eintritt auf Spendenbasis und einem kollektiv kuratierten Programm ist das Haus selbst in der Pariser Kinovielfalt ziemlich einzigartig. Zum 1. Februar wurde der Verein zur Schlüsselübergabe aufgefordert. Obwohl ein Räumungstitel schon erwirkt war, ist noch nichts passiert.

»Die Idee eines nicht profitorientierten Kinos ist keine Utopie, sondern hier schon sehr konkret verwirklicht.« Lina von der Gruppe La Clef Revival

Potentieller Käufer ist die Groupe SOS, ein Konzern für soziale und gesundheitliche Dienstleistungen, der viele verschiedene Einrichtungen von Krankenhäusern bis Nachbarschaftscafés betreibt. Direktor und Gründer des Unternehmens ist Jean-Marc Borello, ein Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron und stellvertretender Parteivorsitzender von dessen Partei La République en Marche (LREM). »La Clef« wäre das erste Kino im Immobilienportfolio der Gruppe, die erst durch die Besetzung auf das Haus aufmerksam wurde.

»Nach der Besetzung wurde uns geraten, eine potentielle Käuferin zu finden«, erläutert Clotilde vom Kollektiv »La Clef Revival«. »Wir haben viele E-Mails, auch an Privatunternehmen, geschrieben, und die Groupe SOS hat uns sehr schnell geantwortet. Sie war sofort bereit, 4,2 Millionen Euro für das Gebäude auf den Tisch zu legen. Wir haben leider erst später herausgefunden, wie das Unternehmen vorgeht. Im Gegensatz zu anderen Kinos verkaufen wir keine Tickets. Bei den Privatisierungen durch die Groupe SOS, beispielsweise von Vereinen im kulturellen Bereich, werden danach aber meist Eintrittsgelder verlangt. Da wir die Räume hier illegal besetzen und ein politisches Programm bieten, lehnen wir eine Einflussnahme in diese Richtung ab.«

Bei anfänglichen Gesprächen mit der Groupe SOS sei recht schnell klar geworden, dass diese zwar gestalterische Unabhängigkeit zugesagt habe, sich aber an dem Umsonstmodell von »La Clef« störe, so die Kollektivmitglieder. Sie wollten jedoch »kein kulturelles Aushängeschild für das Unternehmen« und damit indirekt für LREM werden. »Unsere Absicht ist, Kultur umsonst und für alle zu schaffen. Das Kino läuft ­extrem gut. Warum sollten wir uns da reinreden lassen? Die Idee eines nicht profitorientierten Kinos ist keine Utopie, sondern hier schon sehr konkret verwirklicht«, sagt Lina vom Kollektiv.

Wie gut es derzeit läuft, bezeugt das spontane Festival, das seit dem 24. Januar im Kino stattfindet. Dabei werden täglich zwischen sechs Uhr morgens und elf Uhr abends Filme gezeigt, fast immer im Beisein der Regisseurinnen und Regisseure. Bekannte Filmschaffende wie Leos Carax und Rebecca Zlotowski, aber auch Dokumentarfilmer wie Wang Bing oder der Philosoph Jacques Rancière geben sich an den verschiedenen Abenden die Klinke in die Hand. Fast alle lassen sich nach der jeweiligen Veranstaltung befragen und betonen ihre persönliche Verbundenheit mit dem Kino und dem Publikum. »Wir sind das Kino mit dem vielleicht jüngsten Pu­blikum in Paris. Hier werden Filme gezeigt, die junge Leute wirklich persönlich ansprechen und berühren«, sagt die Besetzerin Capucine. »Wir haben einen Ort geschaffen, an dem sich junge Kinobegeisterte treffen und austauschen können.«

Solidaritätsbekundungen hat das Kollektiv aus der Film-, Mode- und Kunstwelt erhalten. Doch die Besetzung hat nicht nur eine kulturelle Bedeutung. Zwar wohnt in den Kinosälen niemand, doch würde eine Räumung an­gesichts der exorbitanten Immobilienpreise in Paris ein bedrückendes Zeichen senden. Die Groupe SOS behauptet, das Kino mit ihrem Kaufangebot in einem von Immobilienspekulation geplagten Viertel zu retten, die Besetzerinnen und Besetzer werfen der Unternehmensgruppe hingegen »neoliberale Praktiken« vor. Die Stadt hat ihnen das Angebot unterbreitet, ihre Aktivitäten an einem anderen Ort fortzusetzen.

Letztlich werden die Besetzung und deren breite Unterstützung die Räumung wohl nicht verhindern können. Das letzte Kollektivkino der Stadt wird aber zumindest einen eindrucksvollen Abschied gefeiert haben.