In Costa Rica hat die links­liberale Regierungspartei PAC die Wahlen deutlich verloren

Bald wird gespart

Bei den Wahlen in Costa Rica hat die progressive Regierungspartei PAC den Einzug ins Parlament verfehlt. Zur Stichwahl um das Präsidentenamt treten zwei Wirtschaftsliberale an.

Rund 3,5 Millionen Menschen waren am 6. Februar in Costa Rica zu Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aufgerufen. Dass der ehemalige Präsident José María Figueres die erste Runde der Präsidentschaftswahlen deutlich für sich entscheiden würde – er erhielt 27,3 Prozent der Stimmen –, hatten fast alle Wahlumfragen vorhergesagt. Überraschend ist hingegen der Erfolg des ehemaligen Finanzministers Rodrigo Chaves. Mit 16,7 Prozent der Stimmen belegte er knapp den zweiten Platz.

Am 3. April sollen Figueres und Chaves in einer Stichwahl antreten. Diese sieht die costa-ricanische Verfassung vor, wenn in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen niemand mindestens 40 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Um eine Wahl zwischen grundsätzlich konkurrierenden politischen Programmen handelt es sich nicht. Beide Präsidentschaftsanwärter stehen politisch leicht rechts der Mitte und beide haben angesichts der schwersten Wirtschaftskrise Costa Ricas seit 40 Jahren wirtschaftsliberale Reformen an­gekündigt. Figueres repräsentiert jedoch die älteste politische Kraft des Landes, Chaves eine der jüngsten.

Die Wahlbeteiligung erreichte einen Tiefststand von 59,71 Prozent. Besonders niedrig war sie in den ärmeren Bezirken des Landes, die Hochburgen der erzkonservativen Evangelikalen sind.

José María Figueres entstammt einer einflussreichen Familie. Sein Vater war dreimal Präsident des Landes und Gründer der Partei der Nationalen Befreiung (PLN), die die Politik Costa Ricas über Jahrzehnte dominiert hat. Die früher sozialdemokratische Partei hat sich seit den achtziger Jahren langsam nach rechts bewegt. Während seiner Präsidentschaft von 1994 bis 1998 setzte Figueres harsche wirtschaftsliberale Reformen durch. 2000 wurde er Direktor des Weltwirtschaftsforums, trat jedoch 2004 zurück – er soll Beraterhonorare in Höhe von mehr als 900 000 US-Dollar nicht deklariert haben. Bei der Parlamentswahl hat der PLN leicht hinzugewonnen und wird zukünftig mit 18 von 57 Abgeordneten die bei weitem größte Fraktion im costa-ricanischen Parlament stellen.

Unerwartet war der Erfolg Rodrigo Chaves’ und seiner erst 2018 gegründeten Sozialdemokratischen Fortschrittspartei (PSD), die nun neun Abgeordnete im Parlament stellt. Anders als der Name der Partei vermuten lässt, ist sie liberal-konservativ mit populistischer Tendenz. Chaves ist Doktor der Wirtschaftswissenschaften und hat über 27 Jahre für die Weltbank gearbeitet. Der noch amtierende Präsident ­Carlos Alvarado Quesada hatte 2019 Chaves, der damals ein politischer Neuling war, überraschend zum Finanzminister ernannt. Chaves legte sein Amt jedoch nach Konflikten mit dem Präsidenten nach gut einem halben Jahr nieder. Ein von Alvarado vorgelegtes Sparprogramm war ihm zu wenig ambitioniert. Im August 2021 wurde bekannt, dass er während seiner Zeit bei der Weltbank aufgrund von sexuellen Übergriffen sanktioniert worden war.

Einen Absturz erlebte die progressive Regierungspartei PAC (Bürgeraktionspartei). Der PAC stellt derzeit noch die zweitgrößte Fraktion, wird aber künftig nicht mehr im Parlament vertreten sein. Dem vorläufigen Endergebnis ­zufolge haben mehr Wählerinnen und Wähler ungültig gewählt, als der Präsidentschaftskandidat der Partei auf sich vereinigen konnte.

Der PAC wurde 2000 als sozialdemokratische Kraft von Dissidenten des linken Flügels des PLN gegründet. Ab 2014 stellte er mit Luis Guillermo Solís erstmals den Präsidenten. Während dessen Amtszeit kam es jedoch zum größten Korruptionsskandal der jüngeren Geschichte Costa Ricas, in den auch hohe Funktionäre des PAC verwickelt waren.

Sein Nachfolger und Parteikollege Carlos Alvarado hat dann ab 2018 mit einem gesellschaftspolitisch progressiven, aber wirtschaftsliberalen Programm weite Teile der Bevölkerung und auch viele Anhänger des PAC gegen die Regierung aufgebracht. Zu Beginn seiner Präsidentschaft verfügte Alvarado Steuererhöhungen und Kürzungen im Staatssektor, wogegen die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in den Generalstreik gingen. Seine Regierung vollzog auch wichtige gesellschaftspolitische Reformen, wie die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe und eine Reform des Abtreibungsrechts. In dem traditionell konservativ-katholischen Land befürworteten das jedoch keine klaren Mehrheiten.

2020 traf die pandemiebedingte Rezession Costa Rica hart. Das Land hatte schon lange mit stagnierendem Wirtschaftswachstum und einer steigenden Staatsverschuldung zu kämpfen. Unterbrochene Lieferketten beeinträchtigten die Exporte schwer und das Ausbleiben internationaler Touristen brachte das Land um seine Hauptdevisenquelle. Die Arbeitslosigkeit stieg im zweiten Quartal 2020 auf einen Rekordwert von über 20 Prozent, während die Wirtschaftsleistung um 5,6 Prozent schrumpfte. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) betrug die Staatsverschuldung im vorigen Jahr 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, das ist der dritthöchste Wert in Lateinamerika.

Präsident Alvarado entschied in dieser Situation, einen Kredit beim IWF in Höhe von 1 778 Milliarden US-Dollar aufzunehmen. Im Gegenzug sicherte er Steuererhöhungen, die Privatisierung von Staatsunternehmen und Kürzungen im öffentlichen Dienst zu. Im ganzen Land brachen wochenlange, teils gewalttätige Massenpro­­teste aus. Am 29. Januar, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, verkündete Alvarado, dass Costa Rica 2021 das höchste Wirtschaftswachstum seit 15 Jahren und ­einen ­nahezu ausgeglichenen Haushalt verzeichnet habe. »Wir hinterlassen das Haus geordnet«, lautete sein Fazit.

Doch das beschönigt die Lage, denn 20 Prozent der Bevölkerung gelten als arm, bei steigender Tendenz. Ende 2020 arbeiteten über 40 Prozent der Beschäftigten in informellen Verhältnissen und die Weltbank zählt Costa Rica mittlerweile zu den 20 Ländern mit der größten Ungleichheit in der Wohlstandsverteilung.

Die sowohl von Figueres als auch Chaves angekündigten wirtschaftsliberalen Reformen dürften diese Situation noch verschärfen. Zumindest theoretisch sollten beide für ihre Projekte große Mehrheiten im Parlament finden. Einzig die linke Frente Amplio, die bei der Parlamentswahl stark gewonnen und wohl vom Niedergang des PAC profitiert hat, hat sich im Wahlkampf ­vehement gegen Kürzungen der Staats­ausgaben ausgesprochen.

Angesichts dieser Probleme ist es wenig überraschend, dass die Wahlbetei­ligung am 6. Februar einen noch nie gesehenen Tiefstand von 59,71 Prozent ­erreicht hat. Besonders gering war sie in den ärmeren Bezirken des Landes, die wie 2018 Hochburgen der erzkonservativen Evangelikalen sind. Der Geschichtsprofessor Iván Molina von der Universität von Costa Rica hatte in dieser Gesamtsituation eine Vorwahlanalyse mit »Eine Demokratie am Abgrund« betitelt. Dies ist eine düstere Aussicht für das wegen seiner stabilen und demokratischen politischen Verhältnisse häufig als »Schweiz Zentralamerikas« bezeichnete Land.