Die Überlastung aller Versorgungssysteme durch Omikron wird täglich deutlicher

Gegen die Wand

Die Omikron-Welle führt zu berechtigten Einschränkungen, aber auch zu viel Chaos.
Bodycheck - Die Kolumne zu Biopolitik und Alltag Von

Die Omikron-Wand ist da – im Berliner Abwasser hat die neue Variante nun Delta messbar abgelöst. Die höhere Ansteckungsgefahr durch Omikron und die befürchtete Überlastung aller Versorgungssysteme wird täglich deutlicher. Das führt zu berechtigten Einschränkungen, aber auch zu viel Chaos.

Diese Entwicklung kündigte sich bereits Ende des vergangenen Jahres an, als ich mich noch von der Chemotherapie und der Brustkrebsoperation erholte. Leider war der Resttumor bei der Operation noch fünf Zentimeter groß, was mein Risiko für ein Rezidiv signifikant erhöht. Das heißt nicht, dass die Chemo nicht gewirkt hätte, sondern, dass der Tumor auch aus Zellen bestand, die auf die Chemo nicht so gut angesprochen haben. Diese sollen nun mit einer Antihormontherapie in Schach gehalten werden: bye-bye Östrogen, hallo Wechseljahre.

Die Tumorkonferenz empfahl mir zusätzlich eine Bestrahlung der ehemaligen Brust, um Krebszellen in diesem Bereich abzutöten. Vor der Operation war mir gesagt worden, dass das nach einer Mastektomie, also der Entfernung der betroffenen Brust, nicht ­nötig sei, wenn die Lymphknoten nicht befallen sind. Auf die Bestrahlung hätte ich gerne verzichtet, vor allem, weil man da ­jeden Tag hin muss. In der Omikron-Welle jeden Tag mit Bus und Bahn ins Krankenhaus fahren und dort auch mal länger warten – keine besonders verlockende Vorstellung. Aber fünf Zentimeter Tumor lassen nicht mit sich diskutieren. Daher fahre ich seit Weihnachten jeden Tag von Nordneukölln nach Südneukölln – schön durch die sich aufbauende Omikron-Wand. Neukölln ist momentan der Bezirk mit der dritthöchsten Inzidenz in Deutschland.

Hörte ich bis zuletzt eher selten von Ansteckungen aus dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis, häufen diese sich jetzt deutlich. Meine Coronawarnapp ist seit Jahresanfang dauerhaft rot. Theoretisch sollte man mit so einer Warnmeldung einen kosten­losen PCR-Test bekommen. Offizielle Stellen dafür gibt es in Berlin aber nur elf; die Warteschlange in Neukölln wand sich um mehrere Ecken, als ich das Problem Anfang des Jahres zum ersten Mal hatte. Solche Situationen laden geradezu dazu ein, sich die nächste rote Warnmeldung zu holen, sich zu erkälten oder sich tatsächlich anzustecken, also habe ich anderswo einen PCR-Test machen lassen und selbst bezahlt.

In der vergangenen Woche forderten die Betreiber der Coronawarnapp die Nutzenden per Twitter auf, die Risikoermittlung der App in Testzentren auszuschalten, weil man dort ja Maske trage und Abstände einhalte. Waren die Leute, die solche Dinge empfehlen, jemals in einem Testzentrum eines dicht besiedelten Bezirks im Winter? Niemand hält Abstände ein, weil sonst mehr Leute draußen in der Kälte anstehen müssten.

Für meine Bestrahlung brauche ich täglich einen aktuellen negativen Covid-19-Schnelltest – zumindest hing ein Zettel mit dieser Information in der zweiten Januarwoche an der Tür des Bestrahlungszentrums. Ich musste also jeden Tag in so ein Testzentrum – das ist ziemlich genau das Gegenteil der empfohlenen Kontaktreduzierung. Vergangene Woche war ich in meinem bevorzugten Nordneuköllner Testzentrum – sie machen da immerhin Rachen- und Nasenabstriche – plötzlich von lauter Kindern umgeben, die PCR-Nachtests zu positiven Schnelltests brauchten. Die meisten hatten keine Maske auf oder trugen sie eher irgendwie. Ein Kind war bereits positiv PCR-getestet worden und nur noch einmal da, weil das Zentrum die Bescheinigung auf den Namen der Mutter ausgestellt hatte.

Bei der darauffolgenden Bestrahlung habe ich dann mal gefragt, ob es die Regel des täglich erforderlichen negativen Schnelltests überhaupt noch gebe, denn noch zwei weitere Wochen wollte ich nicht jeden Tag ein solches Risiko eingehen. Die Person hinter dem Empfangstresen reagierte ganz erstaunt: Nein, die Regel gebe es schon länger nicht mehr. Allen Patientinnen und Patienten mitteilen könne man das nicht, sagte sie mir, schließlich änderten sich die Regeln andauernd und man habe den Zettel an der Eingangstür ja auch schon abgehängt. Klar bin ich erleichtert, dass ich jetzt einen Risikofaktor weniger habe, mich mit Omikron anzustecken. Und selbstverständlich begebe ich mich nicht jedes Mal in Quarantäne, wenn die App mich vor Risikobegegnungen warnt – wenn ich deswegen jedes Mal die Bestrahlung unterbrechen müsste, könnte ich es gleich sein lassen. Den kostenlosen PCR-Test bei einer Warnung der App haben die Gesundheitsminister ja mittlerweile auch abgeschafft.

In den öffentlichen Verkehrsmitteln Berlins gilt seit Mitte Januar wieder eine Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske. Auf den Anteil der Menschen, die diese korrekt tragen, hatte das meiner Beobachtung nach allerdings keinen Einfluss. Manchmal bitte ich Leute, ihre Maske hochzuziehen, ab und zu hilft der Hinweis auf die Krebserkrankung. Nachdem mich letztens zwei Halbwüchsige als »Schlampe« beschimpft haben und mir ohne Mund-Nase-Bedeckung durch das Abteil nachgelaufen sind, ohne dass jemand was gesagt hat, ist meine Motivation dazu allerdings deutlich gesunken.

Ein Zettel mit der Anweisung, einen aktuellen negativen Schnelltest vorzuweisen, hängt übrigens weiterhin vor einem der Bestrahlungsräume. Ich war aber zu müde, um mich darüber zu beschweren. Dann mach ich es halt wie anscheinend alle: Augen zu und – hoffentlich – durch.