Der nächste Lockdown wird sich wohl kaum vermeiden lassen

Der nächste Lockdown

Die Pandemielage ist schlimmer als je zuvor. Wegen einer un­­­­zureichenden Impfkampagne besteht jetzt wieder eine Si­tu­ation, in der durch Kontaktbeschränkungen das Schlimmste verhindert werden muss. Das Problem des nachlassenden Impfschutzes findet zu wenig Beachtung.
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Ach, was waren das noch für Zeiten! Damals, vor acht Wochen. Beinahe alle, die irgendwie medienrelevant in Erscheinung traten, schienen sich einig zu sein: Ein neuer Lockdown sei nicht notwendig, in der Covid-19-Pandemie sei das Schlimmste überstanden. Die kostenlosen Schnelltests wurden abgeschafft, fast alle Beschränkungen für Geimpfte wurden aufgehoben. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, forderte einen »Freedom Day«, an dem alle Beschränkungen spätestens Ende Oktober aufgehoben werden sollten. Covid-19 schien nur noch für die unbelehrbaren Ungeimpften ein Problem zu sein – alle anderen hätten bei 2G- und 3G-Konzepten kaum etwas zu befürchten.

Es gab zwar ein paar vereinzelte Warnungen, zum Beispiel von der Virologin Sandra Ciesek oder einigen Intensivmedizinern, nur wollte die anscheinend niemand hören. Das Ansteckungsrisiko von Geimpften und durch Geimpfte wurde größtenteils ausgeblendet. Dabei war schon im Sommer abzusehen, dass das allmähliche Nachlassen des Impfschutzes zusammen mit der zu diesem Zeitpunkt dominant gewordenen hochansteckenden Delta-Variante zum Problem werden könnte – und das betrifft besonders diejenigen, bei denen das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken und zu sterben, be­sonders hoch ist.

Und jetzt? Die Antwort ist einfach: Es reicht, sich die Statistiken der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) anzusehen, um zu wissen, was noch vor dem Ende des Jahres kommen wird. Die Betten auf den Intensivstationen sind fast mit genauso vielen an Covid-19 Erkrankten belegt wie vor einem Jahr, nämlich mit über 3 000. Die Zahl der Einweisungen steigt schnell, so kamen am 12. November 212 neue Patienten hinzu. Mit nur ein wenig Kopfrechnen kann man ungefähr abschätzen, wann das Maximum erreicht sein wird. Die bislang höchste Zahl an auf Intensivstationen versorgten Covid-19-Patienten wurde mit 5 761 am 3. Januar dieses Jahres erreicht. Bereits vor Erscheinen der nächsten Ausgabe der Jungle World wird man diesem unrühmlichen Rekord wohl wieder nahekommen.

Allerdings wird die Situation dieses Mal noch schlimmer werden, denn es fehlen Pflegekräfte und Mediziner. Sie sind erschöpft und frustriert, oft chronisch krank, kündigen ihre Stelle, schulen in andere Berufe um oder reduzieren ihre Arbeitszeit. Als Konsequenz ­stehen weniger Betten gerade auf den Intensivstationen zur Verfügung. Waren es am 12. November 2020 noch 6 587 freie Betten, sind es jetzt, genau ein Jahr später, mit 2 478 nur halb so viele. Auch die Gesamtzahl der Betten ist laut DIVI seit dem Beginn der Pandemie in beängstigendem Ausmaß gesunken: von über 30 000 im Mai 2020 auf jetzt 22 000.

Bemerkenswert ist, wie sich die Aufteilung nach Alter und Impfstatus der mit Covid-19 im Krankenhaus liegenden Patienten in den vergangenen Wochen änderte. Besonders schnell steigen die Aufnahmen von über 60jährigen. Registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) in dieser Altersgruppe bis Anfang Oktober noch einen Anteil von 14,1 Prozent Geimpfter, stieg dieser in den vergangenen drei Wochen auf 45,1 Prozent. Zwar liegt das Risiko vollständig Geimpfter ab 60, wegen Covid-19 hospitalisiert zu werden, derzeit um 85 Prozent niedriger als bei Ungeimpften derselben Altersgruppe. Dennoch wird aus einer Pandemie der Ungeimpften gerade eine Pandemie derjenigen, die keine Auffrischungsimpfung erhalten haben. Das ist mehr als die Hälfte jener, deren Impfschutz nachlässt, weil sie vor sechs oder mehr Monaten vollständig geimpft waren; bisher wurden noch nicht einmal vier Millionen sogenannte Booster-Impfungen verabreicht.

Der nächste Lockdown wird sich daher wohl kaum verhindern lassen, nicht durch Auflagen und Kontrollen, nicht durch Beschränkungen für Ungeimpfte und auch nicht mehr durch eine forcierte Impfkampagne. Beginnen wird er wie immer mit Verboten und Kontaktreduktionen im privaten Bereich. Das RKI hat bereits dazu aufgerufen.