Die Wahlen in Nicaragua waren eine Farce

Pantomime mit Ortega

In Nicaragua hat sich der autoritäre Präsident Daniel Ortega eine weitere Amtszeit gesichert. Die Wahlen fanden ohne nennenswerte Mitbewerber statt.

Der Regierungsportal El 19 digital meldete es zuerst: Mit 75 Prozent der Stimmen sei Daniel Ortega bei den Präsidentschaftswahlen vom Sonntag nach Auszählung von 93,6 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Die Wahlbeteiligung lag dem Obersten Wahlrat (CSE) zufolge bei 65,34 Prozent der 4,4 Millionen Wahlberechtigten. Doch Bilder von gähnend leeren Wahllokalen sorgten für einen gänzlich anderen Eindruck. Die unabhängige Wahlbeobachtungsstelle Urnas Abiertas (Offene Wahlurnen) mit Sitz in Schweden schätzt die Quote der Nichtwählerinnen und -wähler auf 81,5 Prozent. Zudem gibt die Organisation an, dass es in den ersten Stunden der Wahl zu mehr als 200 Fällen politischer Gewalt in und nahe Wahllokalen gekommen sei. Olga Valle, Hauptkoordinatorin von Urnas Abiertas, berichtete etwa von der Festnahme zweier Redakteure der unabhängigen Regionalzeitung Masaya al Día und Einschüchterungen durch Unterstützer des Regimes und sandinistische Schlägertrupps.

Hinter Ortega kommt dem CSE zufolge der Kandidat der Liberal-Konstitutionellen Partei (PLC), Walter Espinoza, auf 14,4 Prozent der Stimmen, der Drittplatzierte Guillermo Osorno vom Christlichen Nicaraguanischen Weg (CCN) kommt auf 3,4 Prozent. Neben dem Präsidenten wurden auch sein Stellvertreter, 90 Abgeordnete der Nationalversammlung und 20 Abgeord­nete des Zentralamerikanischen Parlaments mit Sitz in Guatemala-Stadt am Sonntag gewählt.

»An Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo führt kein Weg vorbei. Es gab keine ernsthaften Gegenkandidaten.« Nemesio de Jesús Mejía, Movimiento Campesino

Das Ergebnis sei so oder so ähnlich zu erwarten gewesen, so Nemesio de Jesús Mejía von der nicaraguanischen Bauernbewegung Movimiento Campe­sino. Am Wahltag demonstrierte er mit einigen Tausend anderen im costa-­ricanischen Exil lebenden Landsleuten gegen den Präsidenten und seine Stellvertreterin, Ortegas Ehefrau. »An Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo führt kein Weg vorbei. Es gab keine ernsthaften Gegenkandidaten«, so Mejía, der im Juli 2018 ins Exil ging. Er koordiniert die Arbeit der oppositionellen Bauernbewegung, deren Präsidentschaftsbewerber Medardo Mairena seit Monaten im Gefängnis sitzt.

Mairena durfte deshalb genauso wie weitere sechs Präsidentschaftsbewerber der Opposition nicht gegen Ortega antreten. Mairena wurde vorgeworfen, gegen das »Gesetz zur Verteidigung der Rechte des Volkes auf Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung für den Frieden« verstoßen zu haben. Beschuldigte dürfen laut dem Gesetzestext nicht für ein öffentliches Amt kandidieren, weil ihnen zur Last gelegt wird, einen Staatsstreich angeführt oder zu ausländischer Einmischung oder terroristischen Handlungen angestiftet zu haben. Mit dieser Begründung schal­tete das Regime alle relevanten Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition aus. Für jene hätten sonst rund 80 Prozent der Wahlberechtigten gestimmt, ist sich Mejía sicher. Umfragen von Gallup zwei Tage vor den Wahlen bestätigen das. Demnach wären 65 Prozent der Stimmen auf oppositionelle Kandidatinnen und Kandidaten entfallen, wäre deren Wahl möglich gewesen, 16 Prozent waren unentschieden und nur 19 Prozent hätten in diesem Fall für den von 1985 bis 1990 und erneut seit 2006 amtierenden Ortega gestimmt.

In Nicaragua gibt es durchaus noch Unterstützerinnen und Unterstützer der Regierungspartei FSLN. Die sandinistische Partei sei klar strukturiert und sehr präsent, außerdem gebe es einen großen öffentlichen Dienst, dessen Beschäftigte vielleicht nicht unbedingt Parteianhänger seien, aber auch nicht ihre Arbeit verlieren wollten, meint Tiziano Breda, Analyst für Mittelamerika bei der NGO Crisis Group. Allerdings sinkt die Zahl der Anhängers, seit ­Ortega, der einstige »comandante« der FSLN während der sandinistischen Revolution, im Frühjahr 2018 die Studierendenproteste brutal unterdrücken ließ – die Repressionsmaßnahmen forderten mindestens 325 Menschen­leben, Tausende wurden verletzt, Hunderte inhaftiert. Nicaragua sei zum ­Polizeistaat mutiert, klagt Vilma Núñez, die Präsidentin des Nicaraguanischen Menschenrechtszentrums (Cenidh).

Die Opposition hatte mit einem Musikvideo, das in den sozialen Medien zirkulierte, zum Wahlboykott aufgerufen. »Lasst uns zu Hause bleiben an diesem 7. November, es gibt niemanden, für den wir stimmen können. Sie ­haben uns unser Recht auf eine Wahl genommen«, hieß es darin. Eine Einschätzung, die auch international geteilt wird. Der EU-Außenbeauftragte ­Josep Borrell bezeichnete die Wahl als »fake«. Es gehe nur darum, »den Dik­tator Ortega an der Macht zu halten«, so Borrell. Auch US-Präsident Joe Biden äußerte sich deutlich.

Er sprach von der Wahl als einer »Pantomime«, die »weder frei noch fair und ganz bestimmt nicht demokratisch« ge­wesen sei. Bereits am 3. November hat das US-Repräsentantenhaus den Renacer Act verabschiedet, ein Gesetz, das weitere Sanktionen gegen Schlüsselfiguren des von Ortega und Murillo geführten Regimes vorsieht. Dieses erhält zwar Rückhalt aus Ländern wie Venezuela, dem Iran und Kuba, die katholische Kirche äußerst aber mittlerweile Kritik, denn ­Ortega hatte Bischöfe, die die Proteste 2018 unterstützen, auf einer seiner ­seltenen Pressekonferenzen vor der Wahl als Terroristen bezeichnet.