Prozess gegen Veranstalter der rechtsextremen »Unite the Right«-Aktionen in Charlottesville

Abrechnung in Charlottesville

Vier Jahre nach der rechtsextremen »Unite the Right«-Kundgebung in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia beginnt ein Gerichts­ver­fahren gegen die Veranstalter.
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Vor mehr als vier Jahren schaute die Welt für einen Moment auf eine kleine Universitätsstadt im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia. Nicht einmal die meisten Amerikaner dürften damals die Stadt Charlottesville gekannt haben. Heute kennt jeder diesen Namen – und assoziiert ihn mit einer Gruppe Neonazis, die mit Fackeln über den Campus der örtlichen Universität zogen und »Jews will not replace us« schrien. Einer der Nazis ermordete eine Gegendemonstrantin mit seinem Auto. Kurz darauf kommentierte der damalige US-Präsident Donald Trump die Vorgänge mit dem berühmt gewordenen Satz, es habe »gute Leute auf beiden Seiten« gegeben.

Jetzt verlangt eine Gruppe von Anwohnern Rechenschaft von den Organisatoren der damaligen Nazi-Veranstaltung. Die sogenannte »Unite the Right«-Kundgebung (UTR) fand am 11. und 12. August 2017 statt. Drei Monate später reichten elf Klägerinnen und Kläger im örtlichen Bezirksgericht eine Zivilklage gegen 24 Einzelpersonen und Gruppen ein. Am Montag hat das Hauptverfahren in Charlottesville begonnen.

Richard Spencer, damals das prominente Gesicht der Alt-Right, ist heute abgehalftert und pleite.

Die Kläger im Fall »Sines v. Kessler« sind damalige Universitätsstudenten, Aktivistinnen und Religionsführer, die während der Ereignisse bedroht, angegriffen oder schwer verletzt wurden. Sie fordern Schadensersatz für körperliche und psychologische Verletzungen. Dabei beziehen sie sich auf ein Gesetz von 1871, das damals erlassen wurde, um juristisch gegen den nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 gegründeten Ku-Klux-Klan (KKK) vorzugehen. Das Gesetz erlaubt Opfern rassistischer Gewalt, auf Schadensersatz zu klagen und diesen nicht nur vom direkten Täter zu fordern, sondern auch von jenen, die als Teil einer »Verschwörung« indirekt verantwortlich sind. Sollte die ­Klage Erfolg haben, könnte sie die Angeklagten finanziell ruinieren.

Unterstützt wird die Klägergruppe von Integrity First for America (IFA), einer Non-Profit-Organisation, die sich zur Aufgabe macht, jene zur »Rechenschaft zu ziehen, die die etablierten Grundlagen unserer Demokratie bedrohen«. Die Klage strebt explizit an, »sicherzustellen, dass nichts Ähnliches jemals wieder von den Angeklagten ausgeht«. Diese Formulierung wurde von den Angeklagten und ihren Un­terstützern aufgegriffen, um zu behaupten, der Prozess sei »politisch motiviert« und richte sich gegen die Meinungsfreiheit der Angeklagten.

Die Hauptveranstalter von UTR waren Elliot Kline und Jason Kessler. Letzterer kam als einziger der Organisatoren aus Charlottesville. Von ihm ging der ursprüngliche Impuls für die Kundgebung aus. Im Jahr 2016 hatte der Vizebürgermeister von Charlottesville gefordert, ein Reiterstandbild des Konföderierten-Generals Robert E. Lee aus einem Park im Stadtzentrum zu entfernen. Dagegen hatte es im Frühling und Sommer 2017 schon einige Kundgebungen gegeben, die vom KKK oder Alt-Right-Prominenten veranstaltet wurden. Kessler plante hingegen, verschiedene Gruppen der rechtsextremen Alt-Right mit eher gemäßigten nationalistischen Gruppierungen – der Alt-Light – zusammenbringen. Donald Trump war ge­rade zum Präsidenten gewählt worden; dass Rechtsextreme sich mit der etablierten, konservativen Rechten zusammentun könnten, lag in der Luft.

Einer, der Kesslers Aufruf folgte, war Elliot Kline, einer der Anführer der rechtsextremen Gruppe Identity Evropa. Er war damals in der Öffentlichkeit als Eli Mosley bekannt, ein mit Bezug auf den britischen Faschisten Oswald Mosley gewähltes Pseudonym. Sein Führungsanspruch fußte zum Teil darauf, dass er ein Veteran des Irak-Kriegs war. Er verfasste für die Kundgebung in Charlottesville einen ausführlichen »Operationsplan«. Das achtseitige Dokument mit der Abkürzung OPORD war streng vertraulich und sollte nur im Führungszirkel kursieren. Im militärischen Stil bot es einen Überblick über die Pläne für die Veranstaltung, über die Tagesordnung und die geplanten Redner. Es enthielt auch Anweisungen, wo und wie man Informationen teilen sollte – und sogar wie untereinander verfeindete rechte Gruppen mit­einander umzugehen hätten.

Weitere Führungsfiguren waren Matthew Heimbach und sein Schwiegervater Matt Parrott. Die eingefleischten Rassisten und Antisemiten waren Anführer der rechtsextremen Traditio­nalist Worker Party (TWP). Heimbach war damals eine wichtige Alt-Right-Persönlichkeit und ein erfahrener Bewegungsorganisator; Parrott galt als seine rechte Hand, er war der IT-Fachmann und Sprecher der Gruppe.

Der Angeklagte Christopher Cantwell, ein neonazistischer Podcaster, sitzt mittlerweile im Gefängnis wegen der Bedrohung und Erpressung rivalisierender Neonazis. Zuvor hatte er auch die Hauptanwältin der Klägergruppe, Roberta Kaplan, bedroht. Diese ist als Jüdin, die mit einer anderen Frau verheiratet ist, zum besonderen Hassobjekt der Nazis geworden.

Neben den genannten Personen sind auch Organisationen wie das National Socialist Movement und nicht mehr existierende Gruppen wie Klines Identity Evropa sowie die eindeutig neonazistische Vanguard America (VA) angeklagt. Viele damalige Mitglieder der VA sind inzwischen allerdings in der Patriot Front (PF) organisiert, die sich 2017 von VA abgespalten hat. Unter diesem Namen ist sie derzeit die größte bundesweit tätige neonazistische Gruppe in den USA. Dennoch sind weder PF noch ihr Anführer Thomas Rousseau, der damals in Charlottesville Vanguard America anführte, unter den Angeklagten.

Rousseau, der heute noch ein prominenter Nazi-Führer ist, stellt damit eine Ausnahme dar. Die »Unite the Right«-Kundgebung hat vor über vier Jahren stattgefunden; die meisten Veranstalter sind in der Nazi-Szene inzwischen Schnee von gestern. Elliot Kline zum Beispiel spielt kaum noch eine Rolle, seit ein Reporter der New York Times 2018 aufdeckte, dass er keineswegs Irak-Veteran ist, sondern bloß bei der Na­tionalgarde war und in dieser Funktion den Bundesstaat Pennsylvania nie verlassen hatte. Auch Richard Spencer, ­damals das prominente Gesicht der Alt-Right und ebenfalls unter den Angeklagten, ist heute abgehalftert und wird kaum noch ernst genommen. Er stammt zwar aus einer reichen Familie, ist inzwischen aber offenbar pleite, lebt bei seiner Mutter und kann sich nach eigenen Angaben nicht einmal einen Anwalt leisten. Insbesondere der Charlottesville-Prozess würde ihn »finanziell ruinieren«, sagte Spencer ­voriges Jahr vor Gericht. Auch Matt Parrott twitterte im vergangenen September, das Verfahren habe ihn persönlich zugrunde gerichtet und die Traditional Workers Party zerstört.