Die Niederlage inAfghanistan könnte größer nicht sein

In their darkest hour

Hohl klangen das "Nie wieder" schon 1994 und 2014 nach den Völkermorden an Tutsis und Jesiden. Es war auch nicht so gemeint. Das müssen die Menschen in Afghanistan nun am eigenen Leib erfahren.

Als der Islamische Staat 2014 das Sinjar Gebirge überrollte im Irak mit seiner neuen Blitzkrieg-Taktik, die jetzt offenbar die Taliban in Afghanistan erfolgreich kopieren, tausende jesidische Mädchen in die Sklaverei verschleppte und unbeschreibliche Massaker anrichtete, kam dies für die die es wissen wollten, wenig überraschend. Warnungen gab es genug. Die gab es auch in Afghanistan, wo jedes Kind wusste, dass der Abzug westlicher Truppen eine de facto Machtübergabe an die Taliban war. Nur irgendwelche Politexperten in Washington und Brüssel waren anderer Meinung und auf die hörte die US-Regierung natürlich lieber erzählten sie doch, was sie hören wollte.

Nachdem bekannt wurde was mit den Jesidinnen und Jesiden passierte beeilten sich überall Politiker und Prominente irgend etwas von „Nie wieder“ zu erzählen, so wie sie es nach 1994 in Ruanda getan hatten. Was dies „Nie wieder“ wert ist konnte man auch damals wissen, nun führen sie es öffentlich zwischen Kabul und Kandahar vor.

Niederlage könnte größer nicht sein

Die Niederlage könnte größer nicht sein. Die Geschichten aus Afghanistan sind herzzerreißend und ich höre sie auch täglich noch aus erster Hand von Bekannten, Kolleginnen und Kollegen aus den Camps in Griechenland, deren Freunde und Familie in Afghanistan zurück blieben – den Fehler machten, NICHT rechtzeitig zu fliehen – und nun um ihr Leben und ihre Zukunft bangen.

Helfen kann man ihnen nicht und es ist keine Zeit für irgendwelchen hohlen Worte des Trostes. Es ist die Katastrophe und sie ist schlimmer, als man sogar in den dunkelsten Momenten erwartet hat. Den Preis zahlen einmal mehr Menschen, die seit Jahrzehnten nichts sind als Spielball regionaler und globaler Machtpolitik.

"We will stand up!"

Und doch sind sie es, die jetzt nicht aufgeben wollen. So publizierte das „Moria Corona Awareness Team“, eine Selbsthilfegruppe aus Flüchtlingen, die sich im März 2020 gründete und hauptsächlich aus Afghaninnen und Afghanen besteht diese Erklärung:

Should we give up again now, because the US and Europe left us alone with the barbarians?

No! We will never accept that this extremism is imposed on us and the future of our children is darkened .. We, the families of immigrants and far from home, are aware of the situation in Afghanistan from every moment and our hearts hurt . We never wanted the gun to win over the pen ... and our only weapon is the pen! We express our most serious regrets from a distance .. Still for the migrants stranded in European ports:

Doesn't Europe see the situation in Afghanistan? Does Europe still want to return refugees to Afghanistan? By what logic does this apply ..? Is Europe waiting for something worse to happen and then accept immigrants ..? We have learned from history how to stand up to extremism. We knew that our leaders were sold out and are corrupted, but we learn also from the history. Even few can win against a huge army as the Greeks did against Persia.

We will not be silent, we refugees are now the voice of all the Afghans too, whose voice is silenced again.

Even in the darkest moments as we encounter them now, fearing for family and friends who stayed behind, we will not give up.

There will still be human beings who will defend humanity and freedom with strong determination until the last moment of life.

And we hope every of these humans worldwide will now raise their voice and demand an end of this cruelty.“

Da ich mich gerade in Frankreich aufhalte und sie wieder auf jedem nach ihm benannten Platz sehe, schickte ich ihnen die berühmte Erklärung Charles de Gaulles aus dem Jahr 1940 und schrieb, dass dieser damals unbekannte französische General ganze 300 Anhänger und 50 Pfund in seiner Kriegskasse hatte und den Nazis und französischen Kollaborateuren trotzdem die Stirn geboten hatte. In solchen Zeiten sei es wichtig, an solche Personen zu erinnern und dass de Gaulle vier Jahre später als Befreier von Paris mit den Freien Französischen Kräften eingezogen sei,

Das ist die Antwort, die ich gerade bekam. „We will stand up like them!

 

h

 

Wie gerne würde man ihnen an Tagen wie diesen sagen, dass sie damit nicht alleine sind, es irgendwelche Massen gäbe, die hinter ihnen stehen, es wäre eine Lüge. Diese Afghaninnen und Afghanen wurden verraten vom Westen und ihren eigenen korrupten Politikern und sind so alleine wie es damals de Gaulle und andere Antifaschisten nie waren. Kein Churchill wird ihnen beistehen, sie stören einfach nur den Betrieb, der längst auf Verhandlungen mit den Taliban sich ausrichtet und ins selbst kreierte Schicksal fügt.

Störfaktoren

Jede Afghanin und jeder Afghane, der sich dagegen verwehrt, wird zum Störfaktor und erinnert nur daran, was für ein Verrat da betrieben wurde. Wäre es fürs Gewissen nicht besser die Mehrheit der Menschen zöge es vor unter der Knute der Taliban zu leben, statt sich ihnen zu widersetzen? Wäre der Verrat dann nicht ein wenig kleiner?

Eigentlich wäre es dann doch in Europa und den USA den meisten lieber, die Menschen vor Ort fügten sich ohne großen Widerstand zu leisten den Taliban.

Und sollte es den Gotteskriegern gelingen, ihre Macht zu stabilisieren bleibt den, die nicht unter ihnen leben wollen oder können, nur die Flucht. Aber genau das gilt es nun aus europäischer Sicht mit allen Mitteln zu verhindern: Eine neue Flüchtlingswelle. Deshalb bringen schon jetzt die ersten Experten einen „Flüchtlingsdeal mit dem Iran“ ins Spiel, der, jede Wette, sehr gerne auf so ein Angebot einginge. In Teheran wissen sie, wie die türkische Regierung von so einem Deal profitiert hat, schließlich waren es damals Menschen aus Syrien, die unter anderem vor iranischen Milizionären und russischen Flugzeugen flohen.

So also enden zwanzig Jahre in Afghanistan: Eigentlich wäre es dann doch in Europa und den USA den meisten lieber, die Menschen vor Ort fügten sich ohne großen Widerstand zu leisten den Taliban. Nur: 2021 ist nicht 1996 und die afghanische Bevölkerung ist im Durchschnitt unter 30 Jahre alt, das heißt die Mehrheit musste nie unter der Scharia-Diktatur der Bärte leben, sie kennen etwas anderes als Tugendterror und Angst und vermutlich wird es nicht sehr leicht sein, sie gefügig zu machen. Das immerhin macht ein ganz klein wenig Hoffnung und diese Hoffnung bestätigen die afghanischen Kolleginnen und Kollegen in Griechenland und anderswo mit ihrer Haltung, sich nicht zum Schweigen lassen zu bringen. Sie immerhin wissen, dass auf irgend eine Unterstützung aus dem so genannten Westen sie nicht zu hoffen brauchen.

Es ist dies denkbar wenig, aber das Minimum wäre ihnen alle erdenklich Unterstützung zukommen zu lassen. Forderungen an ausgerechnet jene Regierungen zu stellen, die gerade vor aller Augen diese unnachahmliche Mischung aus Verrat und Niederlage stattfinden lassen, mögen dann bitte andere stellen, denn ehemalige afghanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht den Wölfen zum Fraß zu lassen, wäre eigentlich eine solche Selbstverständlichkeit Dass sie es es nicht ist, zeigt nur einmal mehr die völlige Verkommenheit des Ganzen.