In der Tschechischen Republik werden zwangssterilisierte Romnija endlich ­entschädigt

Rassistische Bevölkerungspolitik

In Tschechien haben Romnija, die gegen ihren Willen sterilisiert wurden, jahrzehntelang für Entschädigung gekämpft. Nun gibt es ein entsprechendes Gesetz.

Elena Gorolová war 21 Jahre alt, als sie gegen ihren Willen sterilisiert wurde. Nachdem sie 1990 im Krankenhaus im mährischen Ostrava ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht hatte, durchtrennte der behandelnde Arzt ihre ­Eileiter. Zuvor hatte sie der irreversiblen Operation zugestimmt – allerdings nur auf dem Papier. Als ihr das entsprechende Formular vorgelegt wurde, lag sie bereits in den Wehen und wusste nicht, was sie unterschrieb.

Erst später wurde Gorolová klar, dass ähnliche Eingriffe auch bei anderen Frauen erfolgt waren. Im Jahr 2004 schloss sie sich einer Gruppe von Betroffenen an, um gegen illegale Sterilisation zu kämpfen. »Ich wollte verhindern, dass so etwas Frauen wie uns weiterhin angetan wird«, sagt Gorolová im Gespräch mit der Jungle World. Schätzungen zufolge wurden in der Tschechoslowakei und später in den Nachfolgestaaten Tschechische Republik und Slowakische Republik zwischen 1966 und 2007 Hunderte, wenn nicht gar Tausende illegaler Eingriffe vorgenommen. Während das Ausmaß der Ver­brechen unbekannt bleibt, ist ihr rassistischer Charakter klar erkennbar: Bei den Betroffenen handelt es sich um Romnija, in einzelnen Fällen auch um männliche Roma.

»Ich wollte verhindern, dass so etwas Frauen wie uns weiterhin angetan wird.« Elena Gorolová

Für Gorolová und ihre Mitstreiterinnen ist es ein großer Erfolg, dass der tschechische Präsident Miloš Zeman vergangene Woche ein Entschädigungsgesetz unterzeichnet hat, das zuvor beide Kammern des tschechischen Parlaments mit breiten Mehrheiten verabschiedet hatten. Betroffene sollen demnach eine einmalige Zahlung von 300 000 Tschechischen Kronen (etwa 11 800 Euro) erhalten. »Das ist ein historischer und freudiger Tag«, sagte Kumar Vishwana­than, der Vorsitzende der Roma-Organisation Vzájemné sou­žití (Zusammen leben) dem Nachrichtenportal Romea.cz. »Die betroffenen Frauen haben sich seit 18 Jahren getroffen und erfahren nun endlich Gerechtigkeit und Genugtuung.«

Die Regierung geht davon aus, dass rund 400 Personen eine Entschädigung erhalten werden. Viele der Betroffenen sind bereits verstorben oder haben ein hohes Alter erreicht. Bekannt sind die Taten allerdings schon seit Jahrzehnten. Bereits in der Tschechoslowakei hatte sich vereinzelt Protest gegen die romafeindliche Politik des Staates geregt. Neben einer aggressiven Assimilierungspolitik, die traditionelle Formen des Zusammenlebens zerstörte, hatten sich die Behörden bemüht, die Geburtenrate unter den Roma zu senken. Dabei wurde nicht nur Druck auf die Betroffenen ausgeübt, sondern auch ein Anreizsystem geschaffen.

Frauen, die sich zu einem entsprechenden Eingriff bereit erklärten, erhielten Gutscheine oder Sonderzahlungen. Schon 1978 wiesen Dissidenten aus dem Kreis der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in einem öffentlichen Bericht auf den genozidalen Charakter der Sterilisationsprogramme hin: Letztlich ziele die Regierung darauf ab, die Minderheit der Roma aus der Gesellschaft zu entfernen.

Mit dem Ende des Realsozialismus in der Tschechoslowakei 1990 fand zwar das systematische Vorgehen der Behörden ein Ende, trotzdem wurden weiterhin Frauen gegen ihren Willen sterilisiert. Vzájemné soužití datiert den letzten bekannten Fall auf das Jahr 2007: Eine Sozialarbeiterin hatte eine 40jährige Romni dazu gedrängt, sich sterilisieren zu lassen. Andernfalls – so die Drohung – werde ihr das Sorgerecht für zwei ihrer Kinder entzogen.

Zu diesem Zeitpunkt war das Thema bereits in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Nach Protesten des European Roma Rights Centre hatte die tschechische Bürgerbeauftragte 2005 in einem Bericht über 80 Fälle von illegaler Ste­rilisation dokumentiert. Trotzdem blieb das zähe Engagement der Betroffenen über viele Jahre erfolglos. »Die verschiedenen Regierungen haben lange nicht auf uns hören wollen und unsere Vorschläge immer wieder abgelehnt«, so Gorolová. Erst 2012 wurde die entscheidende Revision des Sterilisationsgesetzes beschlossen. Zwischen der Zustimmung einer Patientin und dem Eingriff muss nun eine Bedenkzeit liegen, die eine Überrumpelung der Betroffenen verhindern soll.

Mit dem kürzlich verabschiedeten Entschädigungsgesetz wird eine weitere zentrale Forderung der Betroffenen erfüllt. Die Ausgestaltung des Gesetzes sei grundsätzlich positiv zu bewerten, meint Gorolová, aber es müsse sich erst zeigen, ob die Umsetzung funktioniere. Tatsächlich bleibt es fraglich, ob alle Geschädigten die versprochene Summe erhalten werden, da jede Person ihren Anspruch auf Entschädigung individuell belegen muss. Während in einigen Fällen Dokumente über den Erhalt von besonderen Leistungen zur Zeit des Realsozialismus vorliegen, verfügen andere Betroffene über keine ­direkten Beweise. Sie müssen den Sachverhalt, so gut es geht, vor einer Sonderkommission des Gesundheitsministeriums vortragen.

Vishwanathan weist außerdem da­rauf hin, dass das Gesetz nur für Personen gilt, die in der Tschechischen ­Republik leben. In der Slowakei hätten zwar einzelne Personen Entschädigungszahlungen vor Gericht erstritten, ein all­gemeines Gesetz stehe dort jedoch noch aus.