Der Abschlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses lässt vieles offen

Finanzpolitischer Patriotismus

Im Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum Fall der Wirecard AG bleiben wichtige Fragen offen und Verantwortlichkeiten ungenannt.

Im Juni legte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Fall der Wirecard AG seinen Abschlussbericht vor. Darin werden viele Vorgänge aufgeklärt, die zum desas­trösen Ende des einst hochgejubelten Unternehmens führten. Wichtige Fragen bleiben jedoch offen.

Das vielleicht größte Rätsel ist, warum der Finanzdienstleister trotz zahlreicher Berichte und Warnungen jahrelang unbehelligt bleiben konnte. Im Zentrum stand dabei die fatale Verbindung zwischen der Münchner Staatsanwaltschaft und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Kurz nachdem im Januar 2019 ein Artikel in der Financial Times detailliert einen Betrugsverdacht gegen Wirecard belegt hatte, wurde die Staatsanwaltschaft aktiv – aber nicht gegen das Unternehmen, sondern gegen die Journalisten.

Die Wirecard AG galt bis zu ihrem unrühmlichen Ende als nationale Hoffnungsträgerin. Endlich gab es in Deutschland ein IT-Unternehmen, das es mit großen US-Konzernen aufnehmen könnte.

Der damalige Wirecard-Anwalt Franz Enderle sagte der Staatsanwaltschaft, Spekulanten wollten von einem Kurssturz des Unternehmens profitieren, die Financial Times stehe mit Shortsellern in Verbindung und veröffentliche diese Berichte nur, um Wirecard zu schaden. Wenig später behauptete der Anwalt auch noch, die Nachrichtenagentur Bloomberg erpresse Wirecard ebenfalls.

Für die Vorwürfe gab es zwar keine glaubwürdigen Belege, trotzdem leitete die Münchner Staatsanwaltschaft sie direkt an die Bafin weiter, die daraufhin im April 2019 ein Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien verhängte. Es bestehe der »Verdacht der Marktmanipulation in Form einer Short-Attacke in Aktien der Wirecard AG«, teilte die Bafin damals mit.

Wochenlang durften Aktionäre nicht mehr auf fallende Kurse des Unternehmens spekulieren. Diese Entscheidung kam einem Gütesiegel für Wirecard gleich, denn nie zuvor hatte es in der deutschen Börsengeschichte einen derartigen Eingriff zugunsten einer einzelnen Aktie gegeben. Der Konzern konnte danach fast eineinhalb Jahre unbehelligt weiter agieren und mehrere Milliarden Euro von Investoren einsammeln.

Bereits 2016 hatte Zatarra Research einen Bericht veröffentlicht, in dem von illegalem Glücksspiel, Betrug und Geldwäsche bei Wirecard die Rede war. Auch damals ging die Bafin nicht den Vorwürfen nach, sondern ermittelte gegen die Autoren des Berichts. »Nach meiner Meinung hat die Bafin Wirecard eindeutig geschützt und die Kritiker wie ein persönlicher Kampfhund des Konzerns verfolgt«, sagte Fraser Perring, Mitautor der Studie, Shortseller und Betreiber von Zatarra, der Zeitschrift Capital.

Dem Untersuchungsausschuss gelang es zwar, diese Vorgänge durch die Befragung zahlreicher Zeugen nahezu lückenlos aufzuklären. Als Konsequenz mussten der Präsident der Bafin, Felix Hufeld, und ihre Vizepräsidentin Elisabeth Roegele zurücktreten. Warum sich Staatsanwaltschaft und Finanzaufsicht so einfach täuschen ließen, bleibt jedoch unklar. Möglicherweise ließen sich Beamte von dem Konzern bestechen, aber dafür gibt es keine Belege. Der Ausschuss wies immerhin nach, dass Bafin-Angestellte privat Wirecard-Aktien erworben hatten. Dies ist zwar moralisch mehr als fragwürdig, jedoch nicht illegal.

Ein weiterer Erklärungsansatz ist finanzpolitischer Patriotismus der mit dem Fall befassten Behörden: Die Wirecard AG galt bis zu ihrem unrühmlichen Ende als nationale Hoffnungsträgerin. Endlich, so schien es, gab es in Deutschland ein IT-Unternehmen, das es mit großen US-Konzernen wie Pay­pal aufnehmen könnte. Die Vorwürfe von Journalisten der Financial Times oder von Hedgefonds-Managern aus New York wurden deswegen schnell als Versuche britischer und US-amerikanischer Spekulanten interpretiert, der deutschen Konkurrenz und damit dem Standort Deutschland zu schaden.

Auch politisch Verantwortliche sehnten sich nach einem deutschen Schwergewicht unter den globalen Hightech- und Finanzdienstunternehmen. Wirecard bemühte sich erfolgreich um bekannte Fürsprecher wie den ehemaligen Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU), Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) oder den ehemaligen Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU). Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel warb 2019 in China für das Unternehmen. Sie musste sich allerdings fragen lassen, ob ihr Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller beim Thema Wirecard Amtsgeschäfte mit privaten Interessen vermischt hatte. Im Untersuchungsausschuss war herausgekommen, dass Röllers Ehefrau den Kontakt zwischen der chinesischen Firma und Wirecard vermittelt hatte.

Olaf Scholz, der Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD, äußerte sich in der Bundestagsdebatte zum Bericht nicht. Bei seiner Anhörung im Ausschuss Ende April hatte er die gegen ihn gerichteten Vorwürfe und Forderungen, dass er die Verantwortung für die Vorgänge übernehmen solle, bereits zurückgewiesen.

Unklar bleibt auch, welche Verbindungen der Konzern zu Geheimdiensten unterhielt. Hierzu konnte der Ausschuss nur wenig Neues erfahren. So soll das frühere Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek über gute Kontakte zum österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) verfügt haben. Bei seiner spektakulären Flucht im Juni 2020 soll ihn ein ehemaliger BVT-Mitarbeiter unterstützt haben.

Nicht zuletzt die Aussagen von Mitarbeitern der Wirtschaftsprüfergesellschaft Ernst & Young, die jahrelang die Bilanzen des Konzerns geprüft und für gut befunden hatte, erwiesen sich im Ausschuss als wenig zielführend. Die Prüfer sahen sich selbst als geschädigte Partei, müssen sich aber auf eine hohe Schadenersatzklage einstellen.

Klagen gibt es im Fall Wirecard mittlerweile mehr als genug. Der Insolvenzverwalter Michael Jaffé hat in einem Sachstandsbericht im Mai ermittelt, dass durch den Verkauf von Firmenbeteiligungen Erlöse in Höhe von 600 Millionen Euro erzielt wurden. Dem stehen deutlich höhere Ausstände gegenüber: Bislang wurden Forderungen von rund 12 700 Gläubigern erfasst, die sich auf 14,3 Milliarden Euro belaufen. Weitere 29 000 Forderungen sind zwar bereits angemeldet, wurden aber noch gar nicht aufgenommen.