Duterte klebt an der Macht
Am 4. Juli feiern die Philippiner ein wichtiges Jubiläum: 75 Jahre ist es her, seit der Inselstaat in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Zwar war diese schon 1898 für sechs Monate in Reichweite gewesen. Dann aber lösten die USA für ein weiteres halbes Jahrhundert die Spanier, die zuvor fast 350 Jahre tonangebend waren, als neue Kolonialmacht ab. Zudem verleibte Japan die Philippinen im Zweiten Weltkrieg kurzzeitig seinem Imperium ein. Am 4. Juli 1946 schließlich endeten knapp vier Jahrhunderten Kolonialherrschaft. Doch blieb das junge Staatswesen eng an die USA gebunden – sowie in den Händen einer kleinen Führungsschicht, die bis heute das politische Leben bestimmt. In kaum einem anderen Land sind familiäre Verflechtungen in höchsten Ämtern so ausgeprägt.
Der blutige Antidrogenkrieg, den Duterte direkt nach seinem Amtsantritt lostrat, hat Tausende Menschen das Leben gekostet.
Der heutige Präsident Rodrigo Duterte, der gerade das letzte seiner sechs Amtsjahre absolviert, bildet dabei keine Ausnahme. Als er 2016 zu einiger Überraschung die Wahl gewann, war er eigentlich angetreten, um das »Establishment« herauszufordern. Sein hemdsärmeliger und schnoddriger Stil kam bei einem großen Teil der Wählerschaft gut an. Ein politischer Neuling war er freilich nicht, und als politischer Außenseiter hätte er höchstens gelten können, weil er nicht zum traditionellen Klüngel in der Hauptstadtregion Manila gehörte. Auf seiner Heimatinsel Mindanao hingegen hatte er längst eigene Seilschaften installiert. In der dort größten Stadt Davao herrschte er vor seinen präsidialen Ambitionen bereits von 1988 bis 1998, 2001 bis 2010 und 2013 bis 2016 fast königsgleich als Bürgermeister – und gab mit dem Einzug ins Präsidentenamt die Hausmacht an seine Kinder weiter. Auch dies ist in den politischen Familiendynastien der Philippinen gängige Praxis.
Anfang Juni verdichteten sich nun die Spekulationen, seine 43jährige Tochter Sara Duterte-Carpio, die seither Bürgermeisterin von Davao ist, könnte von Dutertes Partei PDP-Laban bei den Wahlen 2022 als Präsidentschaftskandidatin nominiert werden. Ihr Vater darf gemäß der Verfassung kein zweites Mal kandidieren, denkt aber diversen Berichten zufolge darüber nach, sich dann eben im Tandem mit seiner Tochter als Vizepräsident zu bewerben.
Eine Besonderheit des philippinischen Wahlsystems ist, dass diese beiden Ämter separat vergeben werden. Das kann – wie derzeit – zu der absurd anmutenden Situation führen, dass die beiden höchsten politischen Ämter im Land mit Personen besetzt sind, die politisch über Kreuz liegen und gegeneinander agieren. Duterte war es seit Anbeginn ein Dorn im Auge, dass Leni Robredo, eine Liberale, bei den Wahlen 2016 im Rennen um die Vizepräsidentschaft äußerst knapp über den Sohn des früheren Diktators Ferdinand Marcos siegte – und Duterte tat alles, um sie politisch weitgehend kaltzustellen.
Neben seiner Tochter Sara Duterte-Carpio 2022 als Kandidat für die Vizepräsidentschaft anzutreten, entspräche zwar kaum dem Geiste der Verfassung, rein juristisch wäre es aber nicht anfechtbar. Duterte böte es die verlässlichste Option, sich weitere sechs Jahre bestimmenden Einfluss zu sichern. Sara Duterte-Carpio wäre als Präsidentin wohl kaum mehr als eine Marionette ihres Vaters.
Allerdings gab sie dieser Tage vor Journalisten bekannt, sie habe keine Ambitionen, einer nationalen Partei wie PDP-Laban beizutreten, deren Vorsitz ihr Vater innehat. Auch eine Präsidentschaftskandidatur lehnt sie ab. Das letzte Wort muss das nicht sein. Zumal führende Kreise der Regierungspartei es Duterte gänzlich freistellen, einen Präsidentschaftsanwärter nach seinem Gusto zu präsentieren, sofern er als Vizepräsident antritt.
Weitere Jahre Duterte in einflussreicher Position: Das wäre für die liberalen und progressiven Philippiner bis hinein ins moderat-konservative Lager eine Horrorvorstellung. Für sie ist der Präsident eine ständige Provokation und eine Bedrohung der Demokratie. Erst nach dem Sturz der Diktatur von Ferdinand Marcos 1986 hatte eine große Bewegung der Bevölkerung, unterstützt von der Armeeführung und einflussreichen Familien der traditionellen Führungsschicht, das philippinische Staatswesen zumindest in Teilen demokratisiert – wenngleich auch damals nicht an den zentralen Machtstrukturen gerüttelt wurde.
In einem ungewöhnlichen Schritt hat sich bereits im März, gut ein Jahr vor der kommenden Wahl, ein breites Wahlbündnis der Opposition zusammengeschlossen. Es nennt sich 1Sambayan und lässt sich im weitesten Sinne als liberal einstufen. Nun sucht das Bündnis nach einem aussichtsreichen Gespann, das man 2022 für die beiden höchsten Ämter ins Rennen schicken kann. Vizepräsidentin Leni Robredo ist unter sechs in der Vorauswahl befindlichen Namen, ebenso wie Senatorin Grace Poe, die bei der Präsidentschaftswahl 2016 Hoffnungsträgerin des linksliberalen Lagers war, und der moderat-konservative Isko Moreno, der Bürgermeister der Hauptstadt Manila. Moreno hat sich allerdings bisher nicht explizit als Kritiker Dutertes hervorgetan.
Der Präsident, der in Regierungsstil und verbaler Grobschlächtigkeit wie eine asiatische Version Donald Trumps erscheint, verfügt seit 2016 über durchgehend hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung – und das obwohl er viele Befürchtungen noch übertroffen hatte. Anfangs hatte Duterte sogar gelegentlich scheinbar linke Positionen übernommen. So begann er neue Verhandlungen mit der von der maoistischen Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) angeführten Guerillabewegung NDFP/NPA und berief einige vermeintliche moderate Linke in sein erstes Kabinett, darunter die Bergbaukritikerin Gina Lopez als Umweltministerin.
Doch diese Minister wurden einige Monate später ersetzt. Auch der Dialog mit der CPP geriet schnell ins Stocken; bald erhob die Regierung schärfere Terrorismusvorwürfe als je zuvor und setzte die Armee mit aller Härte ein. Inzwischen läuft eine Hexenjagd auf alles auch nur vermeintlich Linke, zuhauf werden Menschen als Handlanger der Guerilla attackiert.
Der wichtigste Vorwurf gegen Duterte bezieht sich auf den blutigen Antidrogenkrieg, den er direkt nach seinem Amtsantritt losgetreten hat und der Tausende Menschen das Leben kostete. Deswegen hat die scheidende Chefanklägerin Fatou Bensouda am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) begonnen, eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschheit vorzubereiten. Ihr Amtsnachfolger Karim Asad Ahmad Khan kündigte kürzlich an, die nächsten Schritte einzuleiten. Obwohl die Philippinen 2019 aus dem Römischen Statut ausgetreten sind, das die Grundlage des ICC darstellt, bleibt dieser weiter zuständig, da es auch um Vorwürfe vor dem Austritt geht.
Der Statistik von Dutertes Behörden zufolge hat der Antidrogenkrieg bis zum 30. April 6 117 Menschen das Leben gekostet – Menschenrechtsgruppen und der ICC gehen hingegen von 12 000 bis 30 000 Opfern aus. Ob die vielen Opfer der Polizeigewalt tatsächlich über Kontakte ins Drogenmilieu verfügten, ist oft nicht erwiesen. Unter den Getöteten sind auch einige Amtsträger wie Bürgermeister. Der Präsident polterte am 22. Juni vor Journalisten, ein »koloniales« Gericht wie der ICC könne nicht zuständig sein. Er werde sich aber einer Anklage stellen, sollte ein einheimischer Gerichtshof diese gegen ihn erheben.
Risa Hontiveros, die einzige Senatorin der linken Partei Akbayan, hat jüngst eine Untersuchung des Senats, des Oberhauses des philippinischen Parlaments, zum Tod von zwei 16jährigen Jugendlichen initiiert, die vor zwei Wochen bei einer Polizeioperation in Biñan erschossen wurden. »Ist dies ein Krieg gegen unsere Kinder?« will Hontiveros wissen. Sie fordert, alle Einsätze gegen Minderjährige genau untersuchen zu lassen. Dass Minderjährige bei Verdacht auf Drogenbesitz oder -handel in Lebensgefahr schweben und von der Polizei kurzerhand erschossen werden könnten, ist relativ neu – nicht aber, dass auf den Philippinen schon Kinder ins Gefängnis gesteckt werden. Seit Jahren versuchen Menschen- und Kinderrechtsgruppen, das zu ändern. Duterte war freilich auch in dieser Frage noch weniger zu Zugeständnissen bereit als seine Amtsvorgänger.