Monotonie statt Diversität
Eines der großen kontroversen Themen der Agrarpolitik ist der Umgang mit giftigen Substanzen, insbesondere Glyphosat. Dieser chemische Wirkstoff kommt seit den siebziger Jahren weltweit zum Einsatz und wirkt als ein Totalherbizid: Er tötet alle Pflanzen ab, mit denen er in Berührung kommt. Glyphosat wird in den allermeisten Ackerbaubetrieben als sogenannter Unkrautvernichter eingesetzt, in anderen Ländern auch häufig in Kombination mit gentechnisch verändertem und deswegen resistentem Saatgut. Monsanto vertreibt den Wirkstoff unter dem Namen Roundup. Die deutsche Bayer AG hat den Konzern 2018 aufgekauft.
In der Europäischen Union ist Glyphosat noch bis Dezember 2022 zugelassen. Ein Antrag auf Verlängerung ist eingereicht und wird auf der Grundlage neuer Studien geprüft. Diese belegen, dass der Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft schädlich auf Insekten wirkt, indem er die Nahrungsnetze stört, natürliche Lebensräume vernichtet und so der biologischen Vielfalt insgesamt schadet. Eine weitere Genehmigung scheint angesichts dessen unwahrscheinlich.
Einen Naturzustand, zu dem man zurückkehren könnte, gibt es nicht, aber überall sind noch Reste vielfältiger Kulturlandschaft und Artenvielfalt aus früheren Jahrhunderten vorhanden.
Die Bundesregierung lobt sich selbst für ihr geplantes Insektenschutzgesetz, vor allem weil es die schrittweise Beendigung der Glyphosatnutzung in der deutschen Agrarwirtschaft bis 2024 vorsieht. Allerdings hat die Bundesregierung noch 2017 nichts dazu beigetragen, die damals anstehende Erneuerung der Zulassung von Glyphosat in der EU zu verhindern – trotz damals bereits erdrückender Faktenlage, die dagegen sprach: Sämtliche Datenreihen belegten beispielsweise eine teils dramatische Abnahme der Populationsdichte bei Insekten. Für die Landwirte, die nach einer umweltfreundlichen Art des Pflanzenschutzes und der Landbewirtschaftung suchen, könnten die Bedingungen nun etwas besser werden.
Ein weiteres Problem ist die ackerbauliche Monotonie. Auf den großen deutschen Agrarflächen werden vor allem Pflanzen wie Mais und Weizen angebaut, mit denen Insekten nichts anfangen können, da diese Pflanzen vom Wind bestäubt werden – den Insekten fehlt der Nektar, mit dem andere Pflanzen sie anlocken. Diese Flächen sind für Insekten wie grüne Wüsten, da braucht es nicht einmal Pestizide und Insektizide.
Weniger Insekten bedeuten aber Ernteausfälle anderswo, etwa im Obst- und Gemüseanbau und bei Raps, Sonnenblumen oder Ackerbohnen – alles Pflanzen, die Insektenbestäubung zur Fortpflanzung oder zumindest Qualitätsverbesserung benötigen. Viele Vögel sind wiederum auf Insekten als Nahrung angewiesen. Als Indikator für die Artenvielfalt dient in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung der Bestand repräsentativer Vogelarten. Die Situation in Deutschland hat sich seit den siebziger Jahren sehr verschlechtert; die Bestandszahlen stagnieren seit rund 20 Jahren auf niedrigem Niveau.
Diese Zeit gilt unter Ökologen als Beginn eines großen Vogel- und damit auch Artensterbens. Die Modernisierung der Landwirtschaft beschränkte sich nicht mehr darauf, die Ackerflächen im Rahmen der sogenannten Flurbereinigung neu zu sortieren, um agrarische Produktion im industriellen Maßstab zu ermöglichen. Nicht unmittelbar nutzbare Flächen wie Hecken, Moore und Blühwiesen wurden stark dezimiert. Auch viele Randstreifen und Feldwege, die einmal von einem kleinen Acker zum anderen führten, verschwanden innerhalb weniger Jahre. Viele der kleinen, gegenüber den großen Agrarbetrieben nicht mehr konkurrenzfähigen Bauernhöfe, die von ihren Schweinen, Hühnern und Kühen, Gemüsegärten, Streuobstwiesen und Feldfrüchten lebten, gingen ein. Diese hatten für die Vielfalt der Kulturpflanzen, Felder und Wiesen gesorgt und vielen Wildtieren den nötigen Raum für Ernährung und Fortpflanzung geboten.
Im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt fragt die Umweltjournalistin Tanja Busse in ihrem Buch »Das Sterben der anderen«: »In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wollen wir Homogenisierung und Vereinheitlichung?« Diversität sei »das Modewort der Soziologen und Wirtschaftssoziologen« geworden. Und doch schafften »wir durch unseren täglichen Konsum täglich mehr Monotonie. In den Städten wie auf den Feldern.«
Die biologische Vielfalt ist eine existentielle Lebensgrundlage. Sie hält die Ökosysteme stabil und sorgt für sauberes Wasser, frische Luft und fruchtbare Böden. Der genetische und funktionelle Reichtum der Biodiversität ist die Grundlage für sehr viele Produkte: Sie ermöglicht es, neue Medikamente zu entwickeln, durch sie entstehen Rohstoffe, sie unterstützt die Nahrungsmittelerzeugung.
Für die Industrialisierung der Landwirtschaft gab es natürlich gute Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten viele Menschen einen großen Bedarf an hochwertigen Nahrungsmitteln. Diese bereitzustellen, wurde zum politischen Ziel. Der technische Fortschritt mit neuen Maschinen, Herbiziden und Mineraldüngern ließ die Erträge rapide steigen. Allein die Erträge bei Weizen konnten im Vergleich zum 19. ahrhundert vervierfacht werden und die Nahrungsmittelpreise fielen.
Doch seit der frühere Nahrungsmittelmangel in Europa einem Überangebot gewichen ist, häufen sich nicht nur bei Biologen und Agrarwissenschaftlerinnen die Zweifel an der Landwirtschaftspolitik. Einen Naturzustand, zu dem man zurückkehren könnte, gibt es nicht, aber überall sind noch Reste vielfältiger Kulturlandschaft und Artenvielfalt aus früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten vorhanden. Sie können und sollen geschützt und weiterentwickelt werden. Dafür wird deutlich mehr Raum benötigt.
Das neue Insektenschutzgesetz sieht zwar einige Naturschutzmaßnahmen verbindlich vor, um mehr Schutz- und Rückzugsflächen für die Tiere in den Agrarlandschaften anzulegen. Viele Bundesländer bieten spezielle Beratungen und Fördermittel für Landwirte an, die freiwillig mehr für die Biodiversität auf ihren Flächen tun wollen. Finanziell einfach ist das für viele Betriebe nicht, da die Preise für Agrarrohstoffe am Markt oft kaum noch die Produktionskosten decken.
Ein Problem der Agrarpolitik in der EU ist, dass die Höhe der öffentlichen Subventionen, die rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Einkommen ausmachen, sich allein an der Größe der bearbeiteten Fläche orientiert. So fließen die meisten Subventionen – EU-weit jährlich rund 55 Milliarden Euro – an die Betriebe mit den größten Bewirtschaftungsflächen. Ab 2023 soll die Verteilung der Gelder neu geregelt werden, das sind für Deutschland sechs Milliarden.
Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat dafür Anfang des Monats einen Vorschlag vorgelegt, der im Bundesumweltministerium und bei den acht Landesagrarministerien, die von Grünen geführt werden, viel Kritik erntete. Klöckner will nur 20 Prozent der Direkthilfen, die jeder Landwirt abhängig von der Fläche bekommt, für vorab definierte Umweltleistungen wie Blühstreifen vorsehen, das Umweltministerium will 30 Prozent. In einen Topf für Umweltschutz und den ländlichen Raum sollen Klöckner zufolge acht Prozent aller Mittel fließen, Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) will zehn Prozent. Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, forderte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass die Hälfte der Agrargelder an ökologische Kriterien gebunden werden müsse. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) bezeichnete die Vorlage des Landwirtschaftsministeriums am Freitag als »absolut unzureichend«.