Linke und Rechte freuen sich über die Gamestop-Affäre

Robin Hood gegen Wall Street

Wie der Kauf von Aktien der Einzelhandelskette Gamestop massenwirksam zu einem heroischen Akt der Rebellion erklärt wurde, mit dem sich Rechte und Linke identifizieren konnten.

Das Interessanteste an der Causa Gamestop, einer US-amerikanischen Einzelhandelskette für Unterhaltungssoftware, ist nicht, dass Mitte voriger Woche eine unbekannte Zahl von Menschen plötzlich das dringende Bedürfnis verspürte, an einer neuen Revolutionsbewegung oder wenigstens »Occupy Wall Street 2.0« teilzunehmen. Weit interessanter ist, dass mit derlei Verheißungen Menschen dazu gebracht wurden, die zu diesem Zeitpunkt bereits absurd überbewerteten Aktien der seit 2016 in chronischen Schwierigkeiten steckenden Gamestop-Kette zu kaufen.

Die meisten hätten vermutlich nicht mitbekommen, dass der Wert der Gamestop-Aktie innerhalb von rund 14 Tagen von 20 auf über 200 US-Dollar gestiegen war, wenn der entsprechende Hashtag nicht von Twitter-Usern aggressiv gepusht worden wäre – inklusive blumiger Schilderungen des eigentlich recht simplen Ziels, dem auf einen sinkenden Kurs der Aktie spekulierenden Hedgefonds Melvin Capital die Tour zu vermasseln. Der Fonds hoffte im Fall Gamestop auf Gewinne durch einen sogenannten Leerverkauf. Bei einem solchen leihen sich Fonds Aktien eines Unternehmens und verkaufen die geliehenen Aktien weiter. Zum Fälligkeitsdatum müssen sie die Aktien ans Unternehmen zurückgeben, hoffen aber darauf, sie zuvor zu einem niedrigeren Kurs zurückkaufen zu können. Die Differenz zwischen Verkaufskurs und Ankaufkurs ist der Gewinn der Fonds, wenn der Plan aufgeht.

Die Idee der User des Reddit-Subforums »r/wallstreetbets« bestand nun darin, die Kurse termingerecht in die Höhe zu treiben, so dass Melvin Capital sich beim Ankauf der Anteile womöglich ruinieren würde.

So begann Anfang vergangener Woche die Kampagne zum Kauf von Gamestop-Aktien, die als Kampf gegen gewissenlose Finanzhaie angepriesen wurde. Die Sprache in diesen Botschaften schwankte zwischen martialischen Kriegsanalogien und blumigen Beschwörungen einer wunderbaren Zukunft. »Entweder wir kämpfen oder wir sterben. Alles steht auf dem Spiel«, hieß es etwa in einem Posting bei »r/wallstreetbets« unter der Überschrift »In acht Stunden beginnt der D-Day«. »Hold the line« lautete dann der Hashtag, als der Aktienkurs von 20 auf knapp 300 US-Dollar gestiegen war. Nutzer weltweit bekundeten in vielen Sprachen ihre Bereitschaft, durchzuhalten, also die frisch erworbenen Anteile nicht gleich wieder zu verkaufen.

Man wähnte sich offenbar in einer Schlacht gegen das übermächtige Böse wie eine Schar Hobbits im Angesicht einer Ork-Armee. Als »r/wallstreetbets« am Mittwoch voriger Woche plötzlich für rund eine Stunde verschwand, stand fest: Das war ein Akt der Zensur sein, hinter dem je nach politischer Ausrichtung jeweiligen Twitter-Users nur die internationale Finanzoligarchie, die neue oder die alte US-Regierung, Hedgefonds oder gleich die gesamte Wall Street stecken konnten. Dass die Moderatoren das Subforum selbst offline genommen hatten, weil sie es nicht mehr schafften, den Ansturm von neuen Usern und Bots zu regeln, ging in der allgemeinen Aufregung unter. 1,1 Millionen neue Community-Mitglieder konnte »r/wallstreetbets« am Ende des vorigen Mittwochs der Washington Post zufolge verzeichnen, mittlerweile gibt es 7,7 Millionen degenerates, wie das Subforum seine User nennt.

Dann wurde es noch unübersichtlicher. Es gibt Indizien, wonach die Gamestop-Kampagne von Trump- oder Qanon-Anhängern initiiert worden sein könnte, um Misstrauen gegen US-Institutionen zu schüren. Dazu gehören das Logo von »r/wallstreetbets«, ein blonder Mann mit roter Krawatte, das als Trump-Darstellung gedeutet werden kann, und der kurzfristig eingesetzte Zweitslogan »Stop the Steal« – unter dieser Parole protestierten US-Rechte gegen angeblichen Betrug bei der US-Präsidentschaftswahl. Schließlich aber waren alle plötzlich vereint gegen Hedgefonds: So drangen unter anderem die linken Demokratinnen Alexandria Ocasio-Cortez und Elizabeth Warren, die rechten Republikaner Ted Cruz und Donald Trump Jr. sowie Elon Musk, der reichste Mann der Welt, der sein Aktienvermögen durch Hedgefonds gefährdet sieht, auf eine strengere staatliche Regulierung des Aktienmarkts.

Rasch konzentrierte sich der allgemeine Ärger auf Robinhood, ein Unternehmen, dessen App Kleinanlegern den provisionsfreien Kauf von Aktien ermöglicht. Wie andere Broker auch hatte Robinhood zeitweilig den Kauf von Gamestop-Aktien blockiert, was gemäß den eigenen AGB auch zulässig ist. Einer 110 Millionen US-Dollar für Robinhood generierenden Finanzierungsrunde im Jahr 2017 unter Führung der Investmentgruppe DST Global gehörte unter anderem die von Josh Kushner, dem Bruder des Schwiegersohns und ehemaligen Beraters Donald Trumps, gegründete Firma Thrive Capital an. DST Global wiederum war 2009 von Jurij Borissowitsch Milner gegründet worden, einem sowohl in Moskau als auch in Kalifornien ansässigen russischen Milliardär, der in den 2016 der Süddeutschen Zeitung zugespielten »Paradise Papers« als Mittelsmann genannt wird, über den Gelder der russischen Regierung unter anderem in Twitter und Facebook investiert wurden; Recherchen der New York Times bestätigten dies im Fall von Twitter. Mittlerweile hat Milner die Anteile an beiden Unternehmen wieder verkauft.

Melvin Capital soll etwas mehr als die Hälfte seines Vermögens verloren haben, wurde jedoch durch Milliardeninvestitionen der Hedgefonds Point 72 und Citadel gestützt, deren Gründer, Steven A. Cohen und Kenneth C. Griffin, Großspender der Republikaner sind.

Dem Ärger enttäuschter Börseneinsteiger werden sich die Leute von »r/wallstreetbets« vermutlich nicht stellen müssen, dazu sind Wall Street, Leerverkäufer, Hedgefonds und andere institutionelle Anleger schon zu eindeutig als Feinde ausgemacht. Doch dürfte manch ein Kleinanleger sein Erspartes verlieren, denn den Kurs der Gamestop-Aktie hoch zu halten, dürfte nicht gelingen, er ist bereits im Fallen begriffen. Und die Euphorie, Teil einer globalen Revolution gegen »die da oben« zu sein, verflüchtigt sich ebenfalls schnell.