Demonstration von Coronaleugnern und Neonazis in Leipzig

Frieden, Freiheit, Faschismus

Zehntausende Verschwörungsgläubige und Coronaleugner demons­trierten in Leipzig, darunter Hunderte Neonazis. Es kam zu Angriffen auf Polizei und Presse. Umsturzphantasien einten die Teilnehmenden.

Wer eine Vorstellung davon bekommen wollte, was am Samstag bei der Großdemonstration des Bündnisses »Querdenken« in Leipzig zu erwarten war, musste nur früh aufstehen. Bereits Stunden vor Beginn der zentralen Kundgebung auf dem Augustusplatz um 13 Uhr waren alle Zutaten für eine gefährliche Mischung vorhanden.

So sammelten sich gegen zehn Uhr etwas südlich des Zentrums etwa 50 bis 75 Autos für einen Korso durch die Stadt. Statt der 50 angekündigten Traktoren war allerdings nur einer zu sehen. Neben manchen Deutschland-Fahnen dominierten wie Polizeiwagen hergerichtete »Friedensfahrzeuge« und Bekenntnisse zur »Liebe« das Bild. Kurz nach dem Beginn des Autokorsos blockierten rund 30 Antifaschisten die Strecke. Nach mehreren Aufforderungen der Polizei räumten sie jedoch freiwillig die Straße, so dass der Korso losfahren konnte.

Ein ganz anderes Bild bot sich etwa gleichzeitig im Hauptbahnhof, wo sich mehr als 50 Neonazis an einem Gleis sammelten. Einige trugen Schilder der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme. Die Bundespolizei kümmerte sich derweil um die anwesenden Journalisten, indem sie deren Personaldaten aufnahm. Den Beamten war offenbar unklar, ob das Fotografieren im Gebäude der Deutschen Bahn erlaubt ist. Später teilte die Bundespolizei auf Twitter mit, dass das Fotografieren »aufgrund der Versammlungslage« erlaubt gewesen sei. In den Kommentaren spekulierten Twitter-Nutzer anschließend, bei welchen Nazikameradschaften die gesammelten Daten der Journalisten wohl auftauchen würden.

Auf dem Weg zum Augustusplatz fanden organisierte Neonazis und Menschen mit Fahnen, auf denen »Love wins« stand, zueinander. Seite an Seite – die einen fröhlich fahnenschwenkend, die anderen grimmig vermummt – bewegten sie sich zur Auftaktkundgebung. Die Gruppe der Neonazis wurde von Mitgliedern der NPD-Jugendor­ganisation »Junge Nationalisten« angeführt. Es war nur eine von vielen rechtsextremen Gruppen, die an diesem Tag zu sehen waren. Der Forschungsgruppe »Durchgezählt« zufolge waren es mindestens 45 000 Demonstrierende, andere Schätzungen sprachen zumindest von deutlich mehr als 20 000; angemeldet waren lediglich 16 000. Die anwesenden Neonazis waren zwar klar in der Minderheit. Mindestens mehrere Hundert waren aber deutlich zu erkennen.

Protest gegen die Anwesenheit der Neonazis seitens der übrigen Demonstrierenden war kaum zu vernehmen. Eine Person kritisierte lautstark eine kleine Gruppe von Reichsflaggenträgern. An anderer Stelle äußerte jemand, dass er Neonazis zwar nicht gut finde, diese aber immerhin zu jenen zählten, die aktiv seien.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) behauptete, es sei »überwiegend friedlich« geblieben.


Offiziell hatte sich »Querdenken« von »Extremisten« und Menschen mit Reichsflaggen abgegrenzt. Bei einer kleinen Demonstration der »Bewegung Leipzig« vor einigen Wochen hatte sich Letzteres auch in der Praxis gezeigt: Eine Person mit Reichsflagge musste die Demonstration verlassen. Den Organisatoren ging es dabei jedoch weniger um inhaltliche Differenzen, sondern mehr um die öffentliche Wirkung, wie sie in ihrem Telegram-Kanal erklärten. Aber auch ohne Reichsflaggen hatten die immer wieder stattfindenden Demonstrationen in Leipzig eine klare Botschaft, die neben Esoterik und »Friedensliebe« auch von Antisemitismus, NS-Relativierung, Bezügen zu Reichsbürgern und sonstigen Verschwörungserzählungen geprägt war. In Leipzig, wie auch anderswo, gilt Deutschland bei »Querdenkern« schon lange als »Coronadiktatur«.

Auf der großen Bühne auf dem Augustusplatz spielten all diese Themen während der Kundgebung am Samstag ebenfalls eine Rolle. Als Überraschungsgast trat der als Erich Honecker verkleidete Kabarettist Uwe Steimle auf, der bereits vor drei Jahren angekündigt hatte, der Tag werde kommen, an dem man auf »Berlin marschieren« und »den Reichstag umstellen« werde – »ganz friedlich« selbstverständlich.
Einen Großteil der Demonstrierenden schien der Wunsch nach einer Revolution zu verbinden. Davon zeugten auch die offiziellen Aufrufe, in denen sich »Querdenken« in eine Linie mit der »friedlichen Revolution« von 1989 stellte. Leipzig spielte bei den Ereignisse vor drei Jahrzehnten eine bedeutende Rolle, weil hier die Demonstrationen gegen das SED-Regime begannen. Das große Ziel der »Querdenker« war es deshalb, ähnlich wie die Demonstrierenden im Herbst 1989 über den Innenstadtring zu laufen.

Die sächsische Coronaschutzverordnung vereitelte dieses Ansinnen jedoch zunächst, weil sie nur stationäre Kundgebungen erlaubt. Selbst der Augustusplatz war als Versammlungsort lange umstritten. Das Ordnungsamt wollte die Kundgebung an den Stadtrand verlegen, weil auf dem Augustusplatz zu wenig Platz sei, um den Mindestabstand zwischen den Teilnehmenden einzuhalten. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen entschied jedoch gegen die Stadt.

Die Kundgebung stand bereits wenige Minuten nach dem Beginn vor dem Abbruch. Immer wieder sagten Veranstalter und Polizei durch, dass mehr Abstand gehalten werden müsse. Teilnehmende reagierten darauf immer wütender. Die eigentlich vorgeschriebenen Alltagsmasken waren kaum zu ­sehen. Nach zweieinhalb Stunden gaben die Veranstalter schließlich bekannt, dass die Polizei die Versammlung beendet habe und die Teilnehmer sich nach Norden zum Hauptbahnhof entfernen sollen. Spätestens in diesem Moment begann das Chaos.

Einige Hundert Meter weiter südlich befanden sich mehrere Hundert Antifaschisten, die die Abreise in diese Richtung blockierten. Einzelne »Querdenker« bahnten sich einen Weg hindurch, wobei sie wütend an die Maskenpflicht erinnert wurden; die Polizei ging immer wieder dazwischen. Während in der ­Innenstadt der islamfeindliche Politiker Michael Stürzenberger eine Rede hielt und etwas östlich des Augustusplatzes der HNO-Arzt Bodo Schiffmann mit seiner »Corona-Bustour« das Geschehen erreichte, brachten sich zwischen Augustusplatz und Hauptbahnhof zahlreiche Neonazis und Hooligans in Stellung, darunter auch einige aus Italien. Sie griffen die Polizisten teils heftig an; es flogen Böller und Steine. Auch mehrere Journalisten wurden verletzt.

Nach einiger Zeit waren die Polizeiabsperrungen vor dem Hauptbahnhof durchbrochen, der Innenstadtring war frei. Mindestens ein Drittel der Kundgebungsteilnehmer lief die Route von 1989. In zahlreichen Telegram-Gruppen hatte man sich trotz des zunächst von der Stadt verhängten Verbots der Demonstration tagelang auf genau dieses Ziel verständigt. »Besorgte Bürger«, die mit den Coronamaßnahmen »unzufrieden« sind, liefen neben Nazigruppen, die ihnen den Weg freigeprügelt hatten, durch Leipzig und riefen »Frieden, Freiheit, Demokratie«. »Hatten Neonazis die Demonstrationen bislang eher als Bühne für die eigene Sache genutzt, waren sie diesmal der Stoßtrupp, der den Querdenkern einen Weg durch die Polizeiketten bahnte«, resümierte Henrik Merker auf dem Blog »Störungsmelder« der Zeit. Die Organisatoren des Gegenprotests verschickten Warnmeldungen, sich zurückzuziehen, da die Lage zu gefährlich geworden sei.

Noch am Abend kursierte das Wort »Staatsversagen« in den sozialen Medien. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) behauptete am Sonntag, dass es »überwiegend friedlich« geblieben sei. Der Innenpolitiker und Parlamentarische Geschäftsführer der sächsischen Landtagsfraktion der Grünen, Valentin Lippmann sagte, Wöllers Statement mache ihn fassungslos: »Das ist keine Aufarbeitung, das ist absurd.« Die Landtagsfraktion der Linkspartei forderte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf, seinen Innenminister zu entlassen.