Mehr Islamismuskritik wagen

Es geht um alles

Kevin Kühnert und Sascha Lobo fordern eine nichtrassistische linke Islamkritik. Aber ohne eine klare Positionierung gegen Antisemitismus in jeder Form und ein klares Bekenntnis zu Universalismus und Aufklärung ist eine solche Kritik nicht zu haben.

Es war richtig, dass der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert das Schweigen der Linken nach der Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty anprangerte. Kühnert schrieb in ­einem Beitrag auf Spiegel Online: »Insbesondere die politische Linke sollte ihr unangenehm auffälliges Schweigen beenden.« Er stellte fest: »Wir, die wir uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit der aus Krieg und Terror gegen jede Wahrscheinlichkeit gewachsenen französisch-deutschen Freundschaft versichern, finden keine Worte für unsere Nachbarn.«

Natürlich gibt es linke Strömungen, die sich gegen den Islamismus stellen. Sie zu unterschlagen, zeugt weniger von intellektueller Ignoranz als von einem gewissen Unwillen, den Gründen für das Beschweigen islamistischer Gewalttaten nachzugehen.

Der Blogger Sascha Lobo brach kurze Zeit später sein Schweigen und führte in seiner Kolumne auf Spiegel Online aus: »Auf einen rechtsextremen Mord folgt linke Empörung, auf einen islamistischen Mord folgt eine stille, linke Zerknirschtheit, wie man sie Erdbebenopfern entgegenbringt. Manchmal sogar ergänzt durch Relativierungen. Zum Mord in Paris schrieb jemand ernsthaft: ›Ist nicht der Kapitalismus und sein Umgang mit armen Menschen und Ländern am islamistischen Extremismus schuld?‹«

Natürlich gibt es linke Strömungen, die sich gegen den Islamismus stellen. Sie zu unterschlagen, zeugt weniger von intellektueller Ignoranz als von einem gewissen Unwillen, den Gründen für das Beschweigen islamistischer Gewalttaten – wie kürzlich der Ermordung des schwulen Touristen Thomas L. in Dresden – nachzugehen. Trotzdem waren die Beiträge von Kevin Kühnert und Sascha Lobo ein wichtiges Signal. Nicht nur, weil sie viele Menschen erreichen und damit eine Debatte auslösen könnten, sondern auch, weil sie auf politische Milieus zielen, die sich einer aufgeklärten Islamkritik hartnäckig verschließen.

Dass Teile der Linkspartei und der Grünen in Berlin das Neutralitäts­gesetz kippen wollen, Claudia Roth den iranischen Botschafter mit high five begrüßt und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem iranischen Mullahregime zum Revolutionsjubiläum gratuliert, zeigt, wie unbefangen politisch Verantwortliche mit dem politischen Islam umgehen. Ein Rassismus der niedrigen Erwartungen sorgt dafür, dass ­islamistische Protagonisten verniedlicht und nicht als das benannt werden, was sie sind: Vertreter einer autoritären, patriarchalen, antisemitischen und repressiven Ideologie.

Doch die Einwürfe von Kühnert und Lobo gehen nicht weit genug. Sie können nicht mehr als der Auftakt zu einer Debatte sein, die über die Kritik am Islamismus hinaus gehen muss. Der Islamismus ist, darin den verschiedenen Spielarten des Rechtsradikalismus ähnlich, auf das Engste verknüpft mit dem Anti­semitismus und der Negation von Aufklärung und Universalismus.

Manche Linke schrecken davor zurück, den Islamismus zu kritisieren, weil sie fürchten, als Rassisten stigmatisiert zu werden. Andere sehen ­Islamisten als Bündnispartner im antiimperialistischen Kampf, solange das arabische Proletariat noch kein revolutionäres Bewusstsein herausgebildet hat oder »der Westen« noch nicht besiegt ist. Andere halten es für gut, solidarisch mit dem organisierten Islam zu sein, und sehen in ihm einen Dialogpartner. Und nicht nur Linke sehen das so.. Auch Konservative sind für Verhandlungen mit Organisationen wie der Ditib und dem Zentralrat des Muslime. Ex-Muslime oder moderate Muslime, die sich in Gewerkschaften, Sport­vereinen oder Bürgerinitiativen engagieren, werden sehr viel seltener als Gesprächspartner der Politik betrachtet als berufsmuslimische Funktionäre.

Dabei werden aus falschem Respekt schnell eigene Überzeugungen auf­gegeben. Westliche Gesellschaften zeigen Verständnis dafür, dass ­Mohammed-Karikaturen tabu sind oder Mädchen und Jungen im Sport getrennt werden. Viele Traditionen, auf die man heutzutage Rücksicht nimmt, waren auch im christlichen Europa üblich, als es noch religiös geprägt und die Macht der Kirche nicht durch die Aufklärung gebrochen war. Doch zu den Werten der Aufklärung, zum Universalismus und der Auffassung, dass alle Menschen dieselben unveräußerlichen Rechte haben, zu denen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück ­gehören, mag man nicht mehr vorbehaltlos stehen.

Es wird auch akzeptiert, dass viele der islamistischen Organisationen mehr oder weniger offen antisemitisch sind. Antisemitismus gilt nicht unbedingt als Grund, Organisationen von Bündnissen wie Unteilbar auszuschließen, vor allem dann nicht, wenn sich das Ressentiment als Israelkritik ausgibt. Theorien des Postkolonialismus teilen diese Spielart der Judenfeindschaft ohnehin oft. In ihnen wird Israel als rassistischer, kolonialer Staat angeprangert, die liberale Gesellschaftspolitik zu »Pinkwashing« umgedeutet und offen ­darüber diskutiert, ob die Beschäftigung mit der Shoah nicht auch nur ein Beleg für den Rassismus des Westens ist, da ihr die ermordeten Juden wichtiger seien als die schwarzen Opfer des Kolonialismus. Antisemitische Terroristen werden zu Freiheitskämpfern verklärt. Judith Butler forderte, »Hamas und Hiz­bollah als soziale, progressive Bewegungen zu verstehen, die zur Linken gehören, die Teil der globalen Linken sind«. Die Debatte über die Thesen des Historikers und Philosophen Achille Mbembe gibt einen Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Jahren immer offener diskutiert werden könnte und oftmals nichts anderes ist als eine Relativierung der Shoah.

Den häufig geäußerten Einwand, Islamkritik spiele nur den Rechten in die Hände, kann man übrigens leicht entkräften. Natürlich hat ein Mädchen in Afghanistan das Recht, zur Schule zu gehen und Ingenieurin, Ärztin oder Schreinerin zu werden, und kein Bärtiger hat sich ihr in den Weg zu stellen. Darin unterscheidet sich emanzipatorische von rassistischer Islamkritik. Rechte sehen in jeder Dönerbude einen Vorboten der Islamisierung des Abendlands. Die Lage der Menschen in islamisch bestimmten Staaten ist ihnen aber nicht nur gleichgültig, sie sehen sie gar als Eigentümlichkeit, die dem identitätspolitischen Ethnopluralismus zufolge zu respektieren ist – nur nicht im eigenen Land.

Die Debatte muss also weitergehen. Es geht um Aufklärung und Uni­versalismus und warum die Ideen, die dort ihren Ursprung haben, ­religiösen Vorstellungen aus der Spät­antike überlegen sind. Es geht um die Solidarität mit Israel und darum, jedem Antisemitismus entgegen­zutreten. Nur dann wird sich die Debatte als sinnvoll erweisen.