Der neue Film »On the Rocks« von Sofia Coppola

Keine Girls in NYC

In Sofia Coppolas neuestem Film »On the Rocks« geht es um ein Vater-Tochter-Gespann, das versucht, den Ehemann der Tochter des Fremdgehens zu überführen.

»Daddy, why are you doing this to me?« sind mehr oder weniger die letzten Worte, die die junge Sofia Coppola in ihrer Rolle als Mary Corle­one im dritten Teil der Mafiafilmreihe »The Godfather« (»Der Pate«) zu ­ihrem Vater sagt, bevor sie erschossen wird. Die berüchtigte Szene beendete die Schauspielkarriere der Tochter des Regisseurs Francis Ford Coppola, bevor sie recht begann. 30 Jahre später wundert man sich, dass dieser Satz nicht ganz genauso in Sofia Coppolas neuestem Film gesagt wird – gut ­gepasst hätte er.

In »On the Rocks« versucht sich Coppola (wieder einmal) an einer Milieustudie und geht dafür in die Stadt, in der sie zwar zuvor nie gedreht hat, aber geboren wurde: New York. Wie in einem Film von Woody Allen fühlt man sich, wenn am Anfang dudeliger Jazz einsetzt. Im gentrifizierten Manhattan wohnt Laura (Rashida Jones) mit ihrem Mann Dean (Marlon Wayans) und zwei gemeinsamen Kindern in einem Loft, das aussieht, als könnte man es auch in einem Katalog des dänischen Möbelhauses Hay finden, kurz: alles etwas schicker als bei Ikea. Der Aufkleber mit der Aufschrift »Bernie 2016«, der an der Eingangstür klebt und immer wieder gut ins Bild gesetzt wird, tut dem Chic keinen Abbruch. Dean leitet ein Start-up, Laura ist Autorin. Zum Schreiben kommt sie allerdings nicht: Wenn sie nicht gerade ihre Kinder zur Schule bringt oder abholt und sich dabei von einer anderen Mutter deren Eskapaden haarklein erzählen lässt, leidet sie an einer Schreibblockade. Dazu beschleicht sie das Gefühl, dass mit ihrer Ehe irgendetwas nicht in Ordnung ist. Dean ist dauernd auf Geschäftsreise, immer in Begleitung seiner Mitarbeiterin Fiona (Jessica Henwick). Bald nimmt Laura an, dass die beiden eine Affäre haben.

Dass die Hauptfigur in »On the Rocks« eine, wie man so sagt, mitten im Leben stehende Frau ist, ist angesichts von Sofia Coppolas Filmographie bemerkenswert.

Dass die Hauptfigur dieses Films eine, wie man so sagt, mitten im ­Leben stehende Frau ist, ist bereits bemerkenswert. Denn in Coppolas Filmen geht es eigentlich immer um Girls: um die depressiven Schwestern aus »The Virgin Suicides«, die ratlose Charlotte in »Lost in Trans­lation«, um die zur Geburtsmaschine degradierten Königin »Marie Antoinette«, um die Tochter des Filmstars in »Somewhere«, um die aufmerksamkeitssüchtigen Teenager in »The Bling Ring« und die zu Enthaltsamkeit erzogenen Schulmädchen in »The Beguiled«. Coppolas Filme sind deswegen so gut und so wichtig, weil sie es wie nur wenige Regisseurinnen und Regisseure versteht, sich empathisch mit Heranwachsenden zu ­beschäftigen. Dass es so eine Figur in »On the Rocks« nicht gibt, stellt eine gravierende Veränderung dar.

Statt eines Mädchens gibt es in diesem Film allerdings eine Tochter: Laura ist nämlich das Kind des noto­rischen Playboys Felix (Bill Murray). Dem vertraut sie sich an und versucht zusammen mit ihm, Dean des Fremdgehens zu überführen, inklu­sive Verfolgungsjagd im Auto und Hinterherspionieren bei einer Geschäftsreise. Der Geschlechterkampf spielt sich hier nicht zwischen dem Ehepaar, sondern zwischen der emanzipierten, aber doch etwas unsicheren Tochter und ihrem chauvinistischen Vater ab. Doch so naseweis und draufgängerisch, wie Felix gezeichnet ist – schlecht kommt er am Ende doch nicht weg. Coppola scheint diesen Männern der alten Schule mit Hilfe ihres Lieblingsschauspielers Bill Murray ein Denkmal setzen zu wollen. Eine Zertrümmerung des alten Männerbilds findet nicht statt, beide Figuren bleiben intakt. Wenn Laura ihrem Vater gegen Ende des Films mit seiner kindischen Art konfrontiert, gibt er nur lakonisch zurück: »What happened to you? You used to be more fun.«

Marlon Wayans im Film On the Rocks

Dean (Marlon Wayans) bricht immer wieder zu Geschäftsreisen auf

Bild:
Apple

Das ist der Knackpunkt des Films: Mit dem Spaß ist es vorbei. Ganz egal, ob Dean nun eine Affäre hat oder nicht, die Ehe zwischen ihm und Laura ist ohnehin zerrüttet, weil beide zu viel arbeiten. Dieses Motiv wird einerseits paradoxerweise dadurch verstärkt, dass der Film es tunlichst vermeidet, das Thema von Lauras Buch oder die Tätigkeit Deans in seiner Firma auch nur ­irgendwie genauer zu erklären; andererseits wird es aber leider durch die Geschichte mit dem Vater in den Hintergrund gedrängt. Auch der Pop, für den Coppola so berühmt ist, ist tot. Die coole Musik hat sich hier in die Klamotten verzogen: In einer Szene trägt Laura ein T-Shirt der ­Beastie Boys, in einer anderen eines von Run DMC, die entsprechende Musik ist aber nie zu hören. Im Hintergrund sieht man dafür immer wieder dieselben Dinge, den Alltag ihrer Protagonistin zeigt die Regisseurin in immer denselben Einstellungen – ein gelungenes Manöver, das einem erst beim Nachdenken über den Film richtig auffällt.

Es ist nicht die erste Vater-Tochter-Beziehung, die Coppola zeigt. In »Somewhere« von 2010 spielte Stephen Dorff einen Schauspieler mit Allüren, der Besuch von seiner Tochter bekommt, die von Elle Fanning gespielt wurde. Der Film funktionierte deswegen so gut, weil er nicht mit einer großen Geschichte überfrachtet war, sondern eigentlich nur dem Vater-Tochter-Gespann folgte: zum Eiskunstlaufen, Videospiele Spielen oder Sonnenbaden. Es war ein Film voller schöner Bilder, die nicht mehr wollten, als eben schöne Bilder zu sein. Anders bei »On the Rocks«, der zuweilen wie eine weniger zündende Adaption des auch in den USA sehr beliebten Films »Toni Erdmann« von Maren Ade daherkommt, sich dabei aber anders als dieser hoffnungslos in seinem Plot verliert.

Die Schreibblockade, die Coppolas Hauptfigur hat, scheint auch bei ihr selbst das Problem gewesen zu sein, das dazu geführt hat, dass sie Laura dazu verdammte, erwachsen zu sein, und damit mit einem Topos brach, der sie berühmt gemacht hatte. »On the Rocks« hätte entweder eine kluge Milieustudie sein können, in deren Mitte ein Paar steht, das trotz eines Haufens Arbeit versucht, ein gemeinsames Leben zu führen. Oder die enthaltenen Screwball-Elemente hätten weiter ausgearbeitet werden müssen. Beides zusammen geht nicht auf.

Davon abgesehen funktionieren Coppolas historische Filme besser, da sie für diese ihre Gegenwartsanalyse in die Vergangenheit projizieren muss, was eine Abstraktion notwendig macht, die sich dem immer leicht unangenehmen Charme des Jetzigen entzieht. In »On the Rocks« tippt Laura auf ihrem Macbook, wenn sie nicht gerade Schreibprobleme hat, und ihr I-Phone klingelt unentwegt. In einer der letzten Szenen schenkt Dean ihr eine Uhr, die sie gegen die Uhr eintauscht, die ihr ­Vater ihr zuvor schenkte. Es wäre nur konsequent gewesen, hätte sich eine Apple Watch in der Geschenkbox befunden.

Der dritte Teil von »The Godfather« soll übrigens im Dezember zum 30. Jubiläum des Filmstarts in neuer Schnittfassung wieder ins Kino kommen. Sofia Coppola dagegen bereitet ein neues Projekt vor, und zwar eine Miniserie, die auf dem Roman »The Custom of the Country« von Edith Wharton basiert. Der Roman erschien 1913, in ihm geht es um ein junges Mädchen, dass nach New York City kommt und versucht, sich in der High Society durchzusetzen. Klingt nach einem perfektem Stoff für Sofia Coppola? In der Tat.

On the Rocks. Buch und Regie: Sofia Coppola. Darsteller: Bill Murray, Rashida Jones, Marlon Wayans. Der Film kann bei Apple TV+ gestreamt werden.