Vorstellung des wunderbaren Romans »Jonny Whitehead« von Joshua Whitehead vor

Queer as Cree

Platte Buch Von

»Mit acht wurde mir klar, dass ich schwul bin. Ich blieb spätabends auf, wenn alle anderen schon im Bett ­waren, und sah mir im Fernsehen meiner Kokum ›Queer as folk‹ an.« So beginnt der Debütroman von Joshua Whitehead. Wie der Autor gehört der Erzähler Jonny zu den Oji-Cree, deren Sprache Whitehead als Doktorand an der Universität von Calgary erforscht. Kokum zum Beispiel heißt Großmutter. Jonny lebt mit ihr und seiner Mutter in einem Reservat. Alkohol, Countrymusik und Streitereien in der Community prägen den Alltag. Mutter und Großmütter sorgen dafür, dass alles irgendwie läuft. Jonnys Vater ist längst spurlos verschwunden. Über seinen Verbleib gibt es nur Gerüchte, die der junge Jonny munter weiterspinnt, um sich interessant zu machen. Früh hat er erkannt, dass er schwul ist, und sehr bald stellt er fest, dass ihn das im Reservat zum Ausgestoßenen macht. Der Stiefvater misshandelt ihn brutal, seine Vettern drohen ihm mit dem Tod. Johnny flüchtet in die Großstadt Winnipeg und schlägt sich dort als Sexarbeiter durch. Reich wird er so nicht, aber er hat sein Auskommen. Für seine weißen Kunden besitzt ein NDN, ein gängiges Slangwort für die indigene Bevölkerung Kanadas, einen besonderen Reiz, vor allem für esoterisch Angehauchte, die vom Sexualmythos two spirit gehört ­haben und Jonny für eine Art Naturgeist halten. Als sein Stiefvater an Leberzirrhose stirbt, kehrt er in das Reservat zurück. Der Stiefvater hatte ihn einst als »Apfel« beschimpft: »Du bist außen rot und innen weiß«. Jonny erkennt, dass er selbst herausfinden muss, welche Art zu leben für ihn richtig ist. »Jonny Appleseed« ist ein wunderbarer Roman über die Lebensreise eines jungen Schwulen, ­voller Schmerz und Humor und ganz ohne Selbstmitleid.

Joshua Whitehead: Johnny Appleseed. Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Diesel. Albino-Verlag, Berlin 2020, 256 Seiten, 18 Euro