Proteste in Indonesien

Widerstand gegen den Autoritarismus

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Ein noch größeres Problem als die erwähnten Proteste ist für den Präsidenten die Lage in der indonesischen Provinz Papua, dem östlichsten Teil des Landes, dessen Bevölkerung seit Jahrzehnten nach Unabhängigkeit von Indonesien strebt. Seit August hat es dort heftige Auseinandersetzungen gegeben. Anlass dafür waren rassistische Bemerkungen mehrerer indonesischer Politker. Sie hatten eine Gruppe papuanischer Studenten als »Affen« bezeichnet, nachdem diese die rot-weiße ­indonesische Staatsflagge von ihrem Studentenwohnheim in Surabaya auf Java unerlaubterweise entfernt hatten. Pünktlich zum indonesischen Unabhängigkeitstag am 17. August kursierte ein Foto mit der Aufschrift: »Wenn wir Affen sind, zwingt uns nicht, die rot-weiße Fahne zu hissen.« Die rassistischen Verunglimpfungen sorgten in mehreren Städten in ­Papua und anderen Teilen Indonesiens für mehr­tägige Demonstrationen, bei denen vielerorts auch die Morgensternflagge zu sehen war, das Symbol der papuanischen Unabhängigkeitsbewegung. Bei Zusammenstößen mit Ordnungskräften im August kamen zehn Menschen ums Leben, Hunderte Studierende wurden festgenommen.

Die Zahl der Polizisten an Ort und Stelle wurde weiter erhöht und die Berichterstattung für ausländische Journalisten erschwert. Bei erneuten Demonstrationen am Montag vergangener Woche kamen nach offiziellen Untersuchungen der Polizei 32 Menschen ums Leben. Bei den Protesten gingen auch zahlreiche Häuser und Geschäfte in Flammen auf, in denen sich noch Menschen aufhielten. Einige indonesische Beobachter beschuldigten papuanische Separatisten, mit den Ausschreitungen Aufmerksamkeit bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen erregen zu wollen, die zur gleichen Zeit in New York City tagte.

Hunderte papuanische Studierende und Unabhängigkeitsbefürworter ­wurden festgenommen. Auch deren Sympathisanten wird das Leben schwergemacht. Surya Anta Ginting, der Pressesprecher der Indonesischen Volksfront für Westpapua (FRI-WP), wurde zusammen mit anderen Studierenden festgenommen; ihnen wird Landesverrat vorgeworfen. Veronica Koman, die als Anwältin das Westpapuanische Nationalkomitee und seine Unabhängigkeitsbestrebungen vertritt, wurde vorgeworfen, Proteste anzu­heizen und Falschmeldungen auf Twitter zu verbreiten. Daraufhin reiste sie nach Australien aus. Dem Filmemacher Dandhy Laksono wird wegen seiner Tweets über die Gewalt in Papua vorgeworfen, Hassreden zu verbreiten. Die vage formulierten Paragraphen 28 und 45 des Gesetzes über die elektronische Verbreitung von Informationen sind bereits wiederholt dazu genutzt worden, Kritiker mundtot zu machen. Nach Einschätzungen von Noory Okthariza vom indonesischen Centre for Strategic and International Studies »befindet sich Indonesien derzeit auf einem Tiefpunkt, was die Presse- und Meinungsfreiheit betrifft«.

Es ist unklar, inwieweit die Regierung auf die Forderungen der Studierenden eingehen wird. Nach wie vor hängt die Macht Widodos von der Unterstützung der alten Führungsschicht ab, darunter eine Reihe ehemaliger Generäle. 1998 hatten Massenproteste ­gegen die Herrschaft des damaligen Diktators Suharto, an denen sich auch zahlreiche Studierende beteiligten, dafür gesorgt, dass dieser abtreten musste. Doch viele ehemalige Weggefährten Suhartos und Unterstützer seines Regimes der »Neuen Ordnung« hielten sich auch über die Reformperiode hinweg an der Macht, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Straflosigkeit und der nicht erfolgten Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen. Die derzeitigen Proteste sind die größten seit dem Sturz Suhartos. Sie könnten eskalieren, wenn Widodo keine Zugeständnisse macht; einige Beobachter befürchten, dass sie von extremistischen muslimischen Gruppen unterwandert werden.