Illegale Polizeigewalt in Deutschland

Gewaltaffin in Uniform

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Die Mehrheit der Befragten erstat­tete nach eigenen Angaben keine Anzeige. Die Annahme, dass diese für die ­Polizisten keine Folgen habe, war einer der Gründe dafür. Zahlreiche Demonstranten und Fußballfans gaben zudem an, sie hätten den oder die Beamten nicht identifizieren können.

In 439 Fällen führte eine Anzeige zur Einleitung eines Strafverfahrens. Ausschlaggebend waren dafür bei 74 Prozent der Fälle Zeugenaussagen, bei 63 Prozent ärztliche Befunde und bei 48 Prozent Videomaterial, auf dem die Polizeigewalt dokumentiert worden war. Die Befragten hatten sich für eine Anzeige vor allem entschieden, um solche Attacken künftig zu vermeiden und eine Bestrafung des oder der Beamten zu erreichen. Der Wunsch nach Schmerzensgeld spielt für die Anzeigenstellung hingegen eine untergeordnete Rolle. Von den 439 eingeleiteten Verfahren waren 326 zum Zeitpunkt der Befragung abgeschlossen. Lediglich in sieben Prozent der Fälle war eine Anklage erhoben, in 93 Prozent waren die Ermittlungen eingestellt worden. Die Begründung für eine Einstellung lautete in 66 Prozent der Fälle, dass sich der Tatverdacht nicht hinreichend bestätigt habe.

Bei ungefähr der Hälfte der zur Anzeige gebrachten Fälle konnten die verdächtigen Beamtinnen und Beamten nicht identifiziert werden. »Die in den vergangenen Jahren diskutierten Maßnahmen wie die Kennzeichnungspflicht von Polizisten und unabhängige Untersuchungsstellen sind erste konkrete Schritte im Umgang mit dem Problem«, sagt Singelnstein. Darüber hinaus sei bei diesem Thema auch eine veränderte Herangehensweise bei der Polizei notwendig. »Bislang wird das Problem in der Polizei, aber auch in Teilen der Politik, noch stark negiert beziehungsweise als Verhalten einzelner schwarzer Schafe angesehen. Die Poli­zei sollte ein Einsichtsvermögen in Fehler und einen professionellen Umgang mit diesem Problem entwickeln, anstatt in reflexhafter Abwehr zu verharren«, so der Wissenschaftler.

Erst kürzlich hat der sächsische CDU-Politiker Marko Wanderwitz, der parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium ist, diese reflexhafte Abwehr in einem Interview mit der Taz vorgeführt. Auf die Frage, warum sich die CDU-Fraktion im sächsischen Landtag den Forderungen der Grünen nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten widersetze, sagte er: »Das ist für uns im Grunde nicht verhandelbar. Zweifellos gibt es immer wieder Vorfälle. Aber Polizeibeamte sind auch Menschen mit einer Familie. Wer Kriminellen und Extremisten gegenüber an der Front steht, darf doch nicht mit Namen und Wohnanschrift ausgerufen werden.« Selbst bei einer Nummer auf der Polizeiuniform sei ein Missbrauch möglich, weshalb er die Kennzeichnung von Polizisten »insgesamt äußerst kritisch« sehe, sagte Wanderwitz.

Und nicht nur unter Konservativen ist ein Bewusstsein für das Problem der Polizeigewalt wenig verbreitet. Deshalb weist der Kriminologe Singelnstein auf die Rechtslage hin: »Das grundsätzliche Gewaltverbot in unserer Gesellschaft gilt im Prinzip auch für die Polizei. Zwar dürfen Polizeibeamte im Einzelfall Gewalt anwenden, wenn eine polizeiliche Maßnahme auf anderem Wege nicht durchzusetzen ist. Bei den gesetzlichen Regelungen, die diesen Gewalteinsatz gestatten, handelt es sich jedoch um Ausnahmebefugnisse.«