Familienplanung in Israel

Ein Kind macht noch keine Familie

Israels Geburtenrate ist so hoch wie die keines anderen Landes der OECD. Der Druck, Kinder zu bekommen, ist enorm – der Staat hilft nach.

»Und wie viele Kinder hast du?« Die Frage kommt unverhofft und begegnet Frauen überall. Vom Taxifahrer am Flughafen, von der Verkäuferin in der Boutique, der Zufallsbekanntschaft in der hippen Tel Aviver Bar. Die Frage, wie viele Kinder Frauen in Israel haben, beschäftigt nicht nur Konservative und Religiöse.

Daphna Birenbaum-Carmeli ist Soziologin an der Universität von Haifa. Sie forscht zu Mutterschaft und Reproduktion. »Selbst bei weltlichen Juden sind drei Kinder die Regel. Familien mit einem oder sogar zwei Kindern werden oft mitleidig betrachtet. Ein Kind ist hier keine Familie. Das ist ein sozialer ­Standard«, sagt sie der Jungle World.

Das Konzept der Leihmutterschaft erschüttert die moralische Annahme, dass Fortpflanzung eine natürliche Tatsache sei.

3,1 Kinder bekommt eine Frau in Israel durchschnittlich. In Deutschland sind es gerade mal 1,5. Israel hat damit die höchste Geburtenrate in der OECD (Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit) und liegt durchschnittlich fast ein Kind pro Frau über den Werten von Ländern wie Mexiko oder der Türkei. Und es sind nicht allein die Ultraorthodoxen oder die Muslime, die den statistischen Wert nach oben treiben. Zwar kommen immer noch mehr Kinder in den traditionellen, religiösen Milieus des Landes zur Welt als in den säkularen. Trotzdem bekommen auch die weltlich orien­tierten Frauen deutlich mehr Kinder als früher. In den fünfziger und sechziger Jahren hatten orthodoxe Juden durchschnittlich 2,6 Kinder pro Familie, ungefähr so viele wie die säkularen. Ab 1977 begann die Regierung, große Familien zu subventionieren, und die Geburtenraten stiegen insbesondere bei den Orthodoxen. Das demographische Wachstum wurde zu einem nationalen Ziel. Im Jahr 2013 kürzte der damalige Finanzminister Benjamin Netanyahu das Kindergeld um die Hälfte. Die Kinderzahl der Orthodoxen sank daraufhin von durchschnittlich 7,5 auf derzeit noch 6,5.

Die Trends in der arabisch-israe­lischen Bevölkerung folgen hingegen ähnlichen Mustern wie in der übrigen Welt. Die Geburtenraten sind seit den sechziger Jahren deutlich zurückgegangen, verbunden mit einem höheren Bildungsniveau und einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen.

In fast jedem anderen Land haben Frauen mit höherer Bildung weniger Kinder als Frauen mit niedrigerer Bildung. Israelische Frauen mit Hochschulabschluss haben im Alter von 40 Jahren allerdings die gleiche Anzahl von Kindern wie diejenigen, deren höchster Bildungsstand ein Oberschulabschluss ist. So ist die Geburtenrate ­Israels in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen, obwohl die der Orthodoxen relativ stabil blieb und die der arabischen Israelis zurückging.