Ultras, Hooligans, Neonazis

Pro­fessionalisierung der Gewalt

Hier die rechten Hooligans, da die linken Ultras? Von wegen! Die Grenzen zwischen den Fußball-Fanszenen verschwimmen.

Seit Ende Juli rollt der Ball wieder im deutschen Profifußball, zunächst in der 2. Bundesliga, seit dem Wochenende auch wieder in Liga eins. Während die einen sich packende Spiele vor dem Fernseher wünschen, wollen andere den Fußball vor Ort in der Kurve genießen.

Und wieder andere verlagern den Schwerpunkt des Spieltagserlebnisses vom Stadion an entfernte Orte, zum Beispiel Rastplätze und abgelegene Wege – oder wie es in der Szenesprache heißt: »Firmen« kämpfen auf dem »Acker«. Dabei galten die Hooligans als eine aussterbende Spezies, ihre Glanzzeiten in den achtziger und frühen neunziger Jahren waren lange vorbei, noch dazu prägen seit Ende der neunziger Jahre die Ultras den sogenannten erlebnisorientierten Fußball und haben sowohl die Hooligans als auch die »Kutten« aus den Kurven verdrängt, also die für die siebziger und achtziger Jahre typischen Fans mit Jeansjacken oder -westen, die mit Aufnähern übersät waren. Den Rest erledigten Videoüberwachung, konsequente Trennung der Fanlager durch die Polizei und staatliche Repression.

Doch wirklich weg waren die Hooligans nie. Die sogenannten Acker-Matches verlagerten sich vom Stadion beziehungsweise aus dessen direkter Umgebung auf wirklich abgelegene Gebiete wie Wälder oder eben Äcker und von den permanent im Fokus von Kameras und Kommerz ­stehenden oberen Ligen hin zu unteren Spielklassen. Auch die Übernahme der Hegemonie in den ­Kurven durch die Ultras war geprägt von vielen Konflikten zwischen Hooligans und Ultras – gerade auch politisch.

Trauer um einen Nazi

Ein bekanntes Beispiel ist der Fall Valentin S. in Bremen (siehe hier und hier). S., ein Antifaschist und Ultra, wurde 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem er bereits während des Prozesses insgesamt zehn Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte. Am Rande des Nordderbys zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV soll er an einer Schlägerei mit extrem rechten Hooligans beteiligt gewesen sein. Solche Konflikte sind keine Seltenheit; während viele Ultras sich entweder als apolitisch oder als dezidiert links verstehen, ist die Nähe vieler Hooligans zur organisierten rechtsextremen Szene bekannt.

Ein typsiches Beispiel dafür stellt der Anfang des Jahres verstorbene Thomas Haller dar, eine Größe der Chemnitzer Hooligan- und Neonaziszene, unter anderem Mitbegründer der rechtsextremen Gruppe »HooNaRa« (Hooligans, Nazis, Rassisten). Eine Trauerfeier für ihn im Chemnitzer Stadion am 9. März sorgte wieder einmal für einen Skandal bei dem für seine große rechtsextreme Fanszene bekannten Chemnitzer FC.

Der damalige Mannschaftskapitän Daniel Frahn war mit einem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck »Support your local Hools« in die Kurve gelaufen – ihm war angeblich »nicht bewusst, dass dieses Shirt so tief in der Neonaziszene verankert ist«, wie er auf seiner Facebook-Seite schrieb. Nachdem der wegen einer Verletzung nicht aufgestellte Frahn Anfang August die Drittligapartie seines Clubs beim Halleschen FC gemeinsam mit Mitgliedern der extrem rechten Gruppen »Kaotic Chemnitz« und »NS-Boys« besucht hatte (letztere ­offiziell seit April aufgelöst), sah der Verein sich gezwungen, den Spieler zu entlassen.

Ideologische Schnittmengen

Die Vorkommnisse in Chemnitz sind nur ein Beispiel für die Überschneidungen von Hooligan- und Neonazimilieus. Die ideologischen Schnittmengenzwischen Neonazismus und Hooliganismus sind groß. Das Selbstbild als zuschlagender, wehrhafter, männlicher Kämpferbund ist elementar für Hooligan- wie auch für Nazigruppen, hinzu kommt die Ästhetisierung der Gewalt samt Körper­kult. Damit geht eine hohe Gewaltbereitschaft einher und die Legitimierung von Gewalt­anwendung als Mittel zum Zweck.

Über die Größe der Hooliganszene in Deutschland wird gerade nach Vorkommnissen wie in Chemnitz oft spekuliert. Robert Claus, Fanforscher und Mitarbeiter der »Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit« (KoFaS) in Hannover, schätzt, dass es derzeit in Deutschland ungefähr 1.000 aktive Hooligans gibt – aktiv heißt, an typischen »Acker-Matches« beteiligt. Dazu kämen noch sogenannte Althools im niedrigen fünfstelligen Bereich, die wenig bis gar nicht mehr an Kämpfen beteiligt sind und sich in erster Linie über die Vergangenheit innerhalb der Hooligan-Szene und deren Glanzzeiten in den achtziger und frühen neunziger Jahren definieren.

Claus spricht von einer »Pro­fessionalisierung der Gewalt« als wichtigstem Unterschied zwischen früheren und der heutigen Hooligan-Generation. »Die Entwicklung führte von einer Randaleszene in den achtziger Jahren zu einem professionalisierten, internationalen Kampfsportnetzwerk heutzutage.« Die Zusammensetzung der Szene – sowohl ethnisch als auch politisch – sei heterogener, als viele Leute meinen. »Schon immer gab es auch Migranten und nichtweiße Hooligans in der Szene sowie Hools, die sich links verorten«, sagte Claus der Jungle World. »Das ist bis heute so, auch wenn Hooligans oftmals dann medial erscheinen, wenn es zu extrem rechten Gewalttaten kommt.«

»Hooligans gegen Salafisten«

Größere Aufmerksamkeit in den Medien erlangte die Überschneidung von Hooliganismus und Neonazismus im Rahmen der gewalttätigen Demonstrationen von »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa) ab dem Jahr 2014 und der darauf folgenden Rekrutierung von Ordnern aus dem Hooligan-Milieu für rechtsextreme Demonstrationen. Nachdem Hooligans mittlerweile bei neonazistischen Kampfsportveranstaltungen wie dem »Kampf der Nibelungen« fest dazugehören (siehe hier und hier), ist die Nähe der Hooligan- zur Kampfsportszene mittlerweile auch in die Wahrnehmung der allgemeinen Öffentlichkeit vorgedrungen.

Ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit ist die Verschmelzung ­einiger Hooligan- und Ultra-Szenen zu »Hooltras« – ein Begriff, den der Fanforscher Gunter Pilz bereits Ende der nuller Jahre verwendete, der sich aber später erst verbreitete. Bekanntester Vertreter dieses neuen Typus war die mittlerweile aufgelöste Dortmunder Gruppe »0231 Riot«. Die Gruppe, die zur Saison 2015/2016 zum ersten Mal in Erscheinung trat, sorgte in den zwei Jahren ihres Bestehens mehrfach für Schlagzeilen – insbesondere mit Gewalt auf der Südtribüne gegen andere Anhänger des BVB. Dabei geriet »0231 Riot« allerdings auch mit den als rechtsextrem bekannten Hooligans der »Borussenfront« an­einander, gab sich ansonsten aber betont unpolitisch, wenn auch in der Praxis mindestens rechts­offen.

Mittlerweile lässt sich beobachten, dass sich eine eigene Fanszene für den Hooliganismus entwickelt hat. Auf Facebook und Instagram teilen Seiten mit Zehntausenden Fans nach jedem Spieltag alle Ereignisse – auf und neben dem Platz. Robert Claus zufolge hat sich die Hooligan-Szene damit selbst ausdifferenziert, der Hooliganismus habe »mittlerweile eine eigene Interessierten- beziehungsweise sogar Fankultur«.

Ob die Hooligan-Szene sich deswegen in Zukunft gegen eine Vereinnahmung durch Neonazis wehrt, ist jedoch fraglich. Zu befürchten ist wohl eher, dass die Affinität zu extrem rechter Ideologie über Mischszenen von Hooligans und Ultras verstärkt auch die Ultra-Bewegung ­prägen dürfte.