Im Paragraphendschungel, Teil 17

Von Eigenbedarf und Härtefällen

Kolumne Von

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist rauer geworden in den vergangenen zehn Jahren, insbesondere in den Großstädten. Das führt dazu, dass rechtliche Mietstreitigkeiten mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren und auch stärker diskutiert werden, so auch angesichts der jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Eigenbedarfskündigungen. Eine Demenzkranke darf aus ihrer Wohnung geworfen werden – so in etwa wurde ein Urteil in linken Kreisen zusammengefasst. Allerdings gab der Bundesgerichtshof an jenem Tag zwei Entscheidungen zu diesem Thema bekannt und die Zusammenfassung ist so nicht richtig.

Im einen Fall hob der Bundesgerichtshof eine Entscheidung des Landgerichts Berlin auf, in der dieses einer über 80jährigen Miete­rin einen sogenannten Härtefall wegen ihres Alters und einer fortschreitenden Demenzerkrankung zugebilligt und die Fortdauer des Mietverhältnisses angeordnet hatte. Der Vermieter hatte die Wohnung 2015 zur Eigennutzung erworben und das Mietverhältnis gekündigt. Im zweiten Fall wurde dagegen ein Urteil aus Sachsen-Anhalt aufgehoben, das einer Eigenbedarfskündigung stattgegeben hatte – für die Mieter in diesem Fall also eine erfreuliche Sache. Auch sie hatten sich auf einen Härtefall berufen, die Pflegebedürftigkeit der Bewohner.

Der Bundesgerichtshof hat beide Urteile mit der gleichen Überlegung aufgehoben. Nach Ansicht des Gerichts bestehen bei der Prüfung eines Härtefalls hohe Anforderungen, pauschale Annahmen, die beispielsweise lediglich an das Alter anknüpfen, erfüllen diese nicht. Im Zweifel sei es daher notwendig, etwa ein Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Im Zivilrecht geschieht das nicht einfach auf Anordnung des Gerichts. Die Partei im Rechtsstreit, die sich auf den zu prüfenden Umstand beruft, muss einen solchen Schritt beantragen. Mieter, die einen Härtefall anführen, um die Eigenbedarfskündigung auszuhebeln, müssen also ein entsprechendes Gutachten beantragen.

Mit den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind die Verfahren auch nicht beendet, wie so manche Schlagzeile irreführend nahelegte. Der Bundesgerichtshof hat Revisionsverfahren geführt. Die Revision ist ein Rechtsmittel, das man gegen ein Urteil einlegen kann, davor steht im Regelfall das Rechtsmittel der Berufung. Die­se Formen unterscheiden sich unter anderem dadurch, dass in einem Berufungsverfahren die dem Fall zugrundeliegenden Tatsachen noch einmal geprüft werden können, in der Revision dagegen nur noch das vorangegangene Urteil auf Rechtsfehler geprüft wird. Ein weiterer Unterschied ist, dass am Ende eines erfolgreichen Revisionsverfahrens in aller Regel keine Entscheidung in der Sache selbst steht.

So ist es auch in den aktuellen Fällen: Die angegriffenen Urteile wurden lediglich vom Bundesgerichtshof aufgehoben und an die zuständigen Gerichte mit Hinweis auf die festgestellten Rechtsfehler zurücküberwiesen, diese müssen dann in dem Verfahren noch einmal ein Urteil fällen. Die beiden Gerichte werden sich noch einmal damit auseinandersetzen müssen, ob den Mietern insbesondere wegen ihres schlechten Gesundheitszustands ein Um­zug überhaupt zumutbar ist, also ob ein Härtefall vorliegt. Zugegebenermaßen lässt sich das allerdings schlecht in einer knackigen politischen Schlagzeile zusammenfassen.