Der erfolgreichste Israeli bei Fußballweltmeisterschaften ist ein Schiedsrichter

Pionier mit Pfeife

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Auch im Zwischenrundenspiel zwischen der Bundesrepublik Deut­schland und Österreich (2:3), das hierzulande als »Schmach von Cór­doba« und im Nachbarland als ­»Wunder von Córdoba« in die Annalen eingegangen ist, hieß der Schiedsrichter Abraham Klein. Alles andere als eine einfache Angelegenheit für ihn, wie er gegenüber der Jüdischen Allgemeinen bekannte: »Ich hatte ein Spiel zu pfeifen, in dem gleich zwei Täterländer gegen­einander kickten. Zudem fand es im argentinischen Córdoba statt. Ich bekam dort schnell zu spüren, dass die starke jüdische Gemeinde von Buenos Aires nicht wirklich glücklich damit war, dass gerade ich diese Auseinandersetzung zu leiten hatte, nach dem Motto: ›Wie kannst du nur?‹ Aber ich war vom Fußballweltverband Fifa nominiert worden und musste meinen Job machen.« Er tat es, wie er es neun Jahre zuvor beim ersten Spiel einer deutschen Mannschaft in Israel getan hatte: unbeeindruckt, nervenstark und konsequent. »Auf dem Platz«, stellte Klein lapidar klar, »behandle ich nun einmal alle gleich.«

Es blieb nicht Kleins letzte Partie in diesem Turnier. Als einziger Schiedsrichter bekam er einen dritten Einsatz. Eigentlich war er der Favorit für die Leitung des Finales zwischen Argentinien und den Niederlanden. Doch die Gastgeber übten heftigen Druck auf die Fifa aus, um diese Ansetzung zu verhindern, denn sie hatten sich im verlorenen Gruppenspiel gegen Italien bekanntlich von Klein benachteiligt gefühlt. Hinzu kam, dass die seit 1976 herrschende faschistische Militärjunta, die Juden, um es zurückhaltend zu formulieren, nicht gerade freundlich gesinnt war, Anstoß daran nahm, dass Klein vor dem argentinischen Spiel gegen Italien die jüdische Gemeinschaft des Landes besucht hatte. Ihm wurde von argentinischer Seite aber auch deshalb Voreingenommenheit unterstellt, weil der Endspielgegner Niederlande hieß. Als »Kriegswaise« hatte Klein ein Jahr lang im niederländischen Apeldoorn verbracht. Und mit Ruud Krol trug ein Mann die Kapitänsbinde der Oranjes, dessen Vater in den Jahren der deutschen Besatzung Juden das Leben gerettet hatte.

Die Fifa gab dem argentinischen Druck schließlich nach und übertrug die Leitung des Endspiels dem Italiener Sergio Gonella. Klein blieb ein weiteres Mal das Spiel um den dritten Platz vorbehalten, in dem Brasilien die Italiener mit 2:1 schlug. Wie bereits 1974 waren es politische Gründe, die sich negativ auf einen Einsatz bei einer Weltmeisterschaft ausgewirkt hatten. Vier Jahre später, Klein war inzwischen 48 Jahre alt, kam beim Weltturnier in Spanien seine letzte Chance. Dafür verzichtete er sogar auf viel Geld: Der Leiter der amerikanischen Schiedsrichter wollte ihn mit einem lukrativen Angebot für sein Team gewinnen, aber dann hätte Klein auf die Weltmeisterschaft verzichten müssen. Und das kam für ihn nicht in Frage. »Bei einer WM zu pfeifen – das ist mehr wert als eine Million Dollar«, begründete er seine Absage.

Doch erneut drohte die Politik seinen Einsatz zu behindern, denn Fernsehsender aus den für die WM qualifizierten arabischen Ländern, die Israel als Todfeind betrachteten, kündigten einen Boykott für den Fall an, dass Klein als Schiedsrichter nominiert würde.

Die Fifa blieb jedoch bei der Berufung und die Sender beließen es schließlich dabei, Kleins Namen bei der Übertragung der von ihm geleiteten Spiele nicht einzublenden. Noch belastender für Klein war, dass sein Sohn Amit – auch er amtierte viele Jahre auf internationaler Ebene als Fußballschieds­richter – kurz vor dem Beginn des Turniers in den Libanon-Krieg an die Front berufen worden war. Klein wartete zutiefst besorgt auf ein Lebenszeichen und ersuchte die Fifa, ihn vorerst nicht einzusetzen. Erst als Amit sich brieflich und telefonisch meldete und seinen Vater bat, nicht seinetwegen auf Spiele zu verzichten, begann auch für Abraham Klein die WM. Er pfiff die dramatische und hochklassige Begegnung zwischen Italien und Brasilien (3:2), in der Paolo Rossi alle drei italienischen Treffer erzielte. »Mir wurde nach 20 Minuten bewusst: Das hier ist WM-Geschichte«, sagte er der Zeitschrift 11 Freunde. »Und du bist dabei.«

Als das Endspiel zwischen Ita­lien und der Bundesrepublik Deutschland anstand, zog die Fifa sowohl Klein als auch Arnaldo Coelho als Schiedsrichter in die engere Wahl. Den Zuschlag erhielt schließlich der Brasilianer, Klein amtierte jedoch immerhin als sein Linienrichter und hätte im Falle eines Unentschiedens nach 90 Minuten plus Verlängerung den Auftrag bekommen, das dann fällige Wiederholungsspiel zu leiten. Dazu kam es nicht, denn die Italiener siegten mit 3:1. So ging der Traum des mutigen Mannes, selbst ein WM-Finale zu pfeifen, nicht in Erfüllung. Auf seine Karriere als Unparteiischer im großen Fußball, von dem er sich 1986 mit einem Freundschaftsspiel zwischen Maccabi Haifa und dem 1. FC Köln (2:1) endgültig verabschiedete, blickt Klein gleichwohl mit viel Stolz zurück, und von seinen großartigen Einsätzen erzählt er gerne. Mit Mordechai Spiegler hat er übrigens etwas gemein: Einen israelischen Nachfolger bei einer Weltmeisterschaft haben beide bislang nicht gefunden.