Über warme Winter sollte man sich nicht freuen

Die gute kalte Zeit

Seite 2 – Wetter ist nicht gleich Klima

 

Bei vielen Tieren entscheidet weniger die Temperatur als die Dauer des ­Tageslichts darüber, wann sie sich zur Ruhe begeben; bei anderen determiniert eine innere Uhr das Verhalten, die irgendwann die Schlafengehzeit anzeigt, unabhängig vom Wetter.

Zugvögel nehmen die Dinge, wie sie kommen. Bleibt es im Winter länger warm, ziehen sie erst später in den Süden. Wie groß die Flexibilität mancher Arten ist, haben Amseln eindrucksvoll bewiesen. Einst waren auch sie ausschließlich als Zugvögel unterwegs, bis sie während der Industrialisierung ­herausgefunden haben, dass sie im Umfeld des Menschen auch im Winter des Nordens ganz gut über die Runden kommen, zumal es in den Städten sowieso wärmer ist. Seither verzichten viele Amseln auf die mühsame Reise und schlagen sich lieber hier durch.

Lange Zeit umstritten war, wie sich warme Winter auf die Mückenpopulation des Folgejahrs auswirken. Die Antwort lautet: mal so, mal so. Denn Mücke ist nicht gleich Mücke. Die meisten in Deutschland heimischen Stechmücken überwintern als Imago, also als fertiges Insekt. Von feuchtwarmen Wintern profitieren aber auch Pilze, die wiederum auf Mücken gut gedeihen und diese dann töten. Andere Arten wie die ein­geschleppte Tigermücke überwintern dagegen nicht als Imago, sondern nur als Eier. Und die haben in warmen Wintern weitaus bessere Überlebenschancen. Im Folgejahr kommt es also zu ordentlichen Mückenplagen.
Unterm Strich also gilt: Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Die hiesige Natur wird durch den einen oder anderen warmen Winter nicht aus dem Gleichgewicht geworfen. Mal profitiert der eine, mal der andere.

Insgesamt pendelt sich alles ein. Eine ganz andere Frage aber ist die immer stärker spürbare Klimaerwärmung.

Wetter ist nicht gleich Klima: Der einzelne warme Winter hat für Individuen durchaus Auswirkungen, das große Ganze beeinflusst er aber nicht. Viele aufeinanderfolgende und durchschnittlich immer wärmer werdende Winter führen jedoch zu gravierenden Verschiebungen. Das Vordringen mediterraner Arten von der Ödlandschrecke über die Wespenspinne bis zum Bienenfresser gehört noch zu den charmant wirkenden Folgen. Welche Auswirkungen sie langfristig auf hiesige Ökosysteme haben, bleibt abzuwarten. Es kommen außerdem nicht nur hübsche Arten hinzu, sondern auch unerfreuliche. Die Asiatische Tigermücke etwa, die auch für Menschen lebensbedrohliche Erkrankungen wie das in Mitteleuropa eigentlich nicht heimische Denguefieber überträgt, scheint sich unaufhaltsam weiter nördlich anzusiedeln.

Die Verschiebungen machen sich auch bei den schon lange hier heimischen Arten bemerkbar. Erdkröten und Springfrösche etwa beginnen ihre Wanderungen im Frühjahr in manchen Gebieten inzwischen durchschnittlich zwei bis drei Wochen früher als noch vor 30 Jahren, Mehlschwalben kehren im Schnitt etwa zehn Tage früher aus Afrika zurück. Und einigen Arten wird es schlicht zu warm. So scheint der Grasfrosch wenig begeistert von den Wärmerekorden. In südlicheren Biotopen zieht er sich bereits immer höher ins Gebirge zurück. Das mag eine Weile lang gut funktionieren, auf Dauer aber gibt es vertikale Grenzen. Wie ohnehin schon an höhere Lagen angepasste und vergleichsweise immobile Arten, etwa der Alpensalamander, langfristig reagieren, ist noch ungewiss. Die Gefahr, dass ­solche Spezialisten nach und nach aussterben, ist groß. Das ist, anders als ein gelegentlicher warmer Winter, in diesem Tempo eben kein natürlicher Vorgang mehr. Wie sehr der Ausfall solcher Arten die Ökosysteme belastet, bleibt unklar. Klar aber ist, wie der Komiker Loriot einst sagte: »Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.« Das gilt auch für den Alpensalamander.