Kein Gott, kein Staat, kein Terror
Nicht nur bei den Herrschenden in Teheran herrscht tiefe Besorgnis über die derzeitigen Proteste im Iran, sondern auch bei ihren Kooperationspartnern und medialen Begleitern in Deutschland und im Westen. Adnan Tabatabai zum Beispiel berät eigenen Angaben zufolge Bundestagsabgeordnete und das Auswärtige Amt zum Iran. In hastig zusammengestellten Texten und Interviews behauptet er seit Tagen, es gehe bei den Protesten ausschließlich um »sozioökonomische Missstände«, nicht um politische Opposition gegen das iranische Regime. Eine auch von anderen Advokaten der Islamischen Republik vertretene Ansicht, die die zunächst spärlich berichtenden westlichen Medien aber nicht mehr halten können.
Erstaunt hat Freund und Feind die Schnelligkeit, mit der sich die Rebellion auf das ganze Land ausgebreitet und radikalisiert hat. Als sich 2009 Massenproteste an dem vom Regime verkündeten Wahlsieg Mahmoud Ahmadinejads entzündeten, verfügte die Islamische Republik mit dem Gegenkandidaten Mir Hussein Mousavi über einen loyalen Opponenten, der bis zu seiner Verhaftung 2011 die Regeln des Regimes nicht missachtete und so wesentlich zur Niederlage der Bewegung beitrug. Eine solche Vermittlungsinstanz fehlt dem iranischen Regime zurzeit.
Präsident Hassan Rohani hat zwar seine Aufgabe erfüllt, dem Regime mit dem Atomabkommen schmerzliche Wirtschaftssanktionen vom Hals zu schaffen, für die iranische Bevölkerung aber keinerlei Verbesserungen erreicht. So richteten sich die Proteste gegen Preissteigerungen und Korruption zunächst gegen den vermeintlichen Reformpräsidenten persönlich; kurz darauf riefen die Demonstrierenden bereits Parolen gegen den eigentlichen Machthaber, den religiösen Führer Ayatollah Khamenei. Ausgerechnet im Zentrum des schiitischen Klerus, in der Stadt Qom, äußerten die Demonstrantinnen und Demonstranten ihre Abscheu vor der »Partei Gottes«, der Hizbollah, und dass sie nicht mehr in einer Islamischen Republik leben wollten.
Es folgten Sprechchöre gegen die kriegerische Intervention des Regimes in den Ländern des Nahen Ostens.
Die Protestierenden machen damit klar, dass sie ihre persönliche Misere mit dem Terrorismus des Regimes in Zusammenhang bringen – ein worst-case-Szenario für die Herrschenden und ihre Apologeten im Westen.
Hinzu kommt die völlig veränderte Lage außerhalb des Iran. Die Hoffnung der EU und der ehemaligen US-Regierung unter Barack Obama, eine durch Kompromisse besänftigte Theokratie könnte zum Partner des Westens werden, hat sich als Illusion erwiesen. Im Gegenteil ermutigte das Atomabkommen das iranische Regime zur Verschärfung seiner Expansion in Syrien, im Jemen, im Irak und der Konfrontation mit Israel. Doch könnten sich die außenpolitischen Erfolge des Regimes als Pyrrhussiege entpuppen: Angst vor der Islamischen Republik ließ noch vor kurzem undenkbare Bündnisse zwischen Israel und vielen der sunnitisch-arabischen Staaten in der Region entstehen. Auch die USA sind aus dem westlichen Appeasement-Bündnis bereits ausgeschert. Dass diese Konstellation die iranische Bevölkerung nicht auf die Seite ihrer Herrscher bringt, sondern deren Unmut noch verschärft, ist eine Katastrophe für das Regime, selbst wenn es den Aufstand noch einmal kurzfristig eindämmen sollte.
»Reformisten, Hardliner, euer Spiel ist aus«, lautet ein populärer Slogan der Demonstranten im Iran. Vor allem die Bundesregierung als wichtigster westlicher Partner der Islamischen Republik wird dieser Tage erklären müssen, ob sie die Unterstützung einer imaginären Reform des nach innen und außen terroristisch agierenden Regimes fortsetzen will – oder ob selbst Deutschland vor der Perspektive zurückschreckt, neben Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und Kim Jong-un als einer der letzten Partner der iranischen Despotie zu gelten (siehe auch Seite 20). Ein Ende der islamistischen Diktatur stellt indes nicht nur für den Iran, sondern regional und weltweit für alle an Freiheit und Emanzipation Interessierten eine unbedingt unterstützenswerte Perspektive dar.