In der katalanischen Unabhängigkeits­bewegung mehren sich die Konflikte

Pro und contra Republik

Die spanische Regierung hat die katalanische Regionalregierung ihres Amtes enthoben und Minister in Untersuchungshaft gesteckt. Im ­separatistischen Lager zeigen sich erste Brüche.
Von

Es geht Schlag auf Schlag. Aktion und Reaktion der für Spaniens Einheit eintretenden »verfassungstreuen« Unionisten und der »rebellischen« Sezessionisten wechseln sich ab. Der Donnerstag vergangener Woche, an dem Untersuchungshaft über die halbe ­ihres Amtes enthobene Regionalregierung verhängt wurde, markierte eine juristische Wende und den Auftakt zur »Woche der Mobilisierungen« der Separatisten.

»Ihr seid nicht alleine«, »Freiheit für politische Gefangene« und »Puigdemont ist unser Präsident« skandierten Abertausende auf der restlos gefüllten Plaça San Jaume in Barcelona, vor dem Sitz der Regionalregierung. Inbrünstig wurde die katalanische Nationalhymne »Els Segadors« (Die Schnitter) angestimmt. Rufe nach »Freiheit«, »Es lebe Katalonien« und »Weg mit der spanischen Flagge«, die über dem Palast der Generalitat noch neben der katalanischen hing, ertönten. Gleichzeitig fanden sich Zehntausende vor dem kata­lanischen Parlament im Parc de la Ciutadella ein, um Freiheit für ihre »legitime Regierung« zu fordern. Um Punkt zehn Uhr nachts war die bislang lauteste und längste cacerolada zu hören, bei der die Beteiligten mit Töpfen Lärm machten. Für Mittwoch wurde ein »Generalstreik« in Katalonien angesetzt.

»Der Wahltag wird zum Referendum, ein vereinbartes, wie wir es seit Jahren einfordern«, sagt Enric Blanes von der ANC.

»Es geht nicht nur um das Infragestellen des spanischen Pakts der Transition von der Franco-Diktatur 1978. Wir stellen sämtliche Werte der EU in Frage, die sozialen, wirtschaftlichen, demokratischen und politischen«, sagte Carles Riera i Albert, der die Jungle World am Parteisitz der antikapitalistischen, linksseparatistischen Candidatura d’Unitat Popular (Kandidatur der Volkseinheit, CUP) empfing. Der 57jährige Soziologe stammt aus der Partei Endavant (Vorwärts – Sozialistische Partei der Nationalen Befreiung) und ist ein katalanischer Abgeordneter der CUP. Er zeigte sich überzeugt, »dass man Ängste vor einem Präzedenzfall schürt«; etwa davor, dass eine solche, separatis­tische Bewegung sich auf andere Regionen ausweiten könne, »morgen könne dies in einem x-beliebigen Staat passieren. Auch aus ganz anderen Gründen, aus wirtschaftlichen oder sozialen etwa«, sagte Riera. Nun gelte es abzuwägen, ob man die von der spanischen Regierung für den 21. Dezember angesetzten Wahlen zu »konstituierenden für die Republik machen kann«.

»Spanien fordert uns auf einem Feld heraus, das wir dominieren, der Mobilisierung der Zivilgesellschaft«, gab sich Montserrat Daban i Marín von der Assamblea Nacional Catalana (Katalanische Nationalversammlung, ANC) beim Treffen mit der Jungle World in einer Hotelcafeteria im gotischen Viertel Barcelonas siegessicher. Sie trug wie viele andere auch eine gelbe Schleife als Zeichen der Solidarität mit den »poli­tischen Gefangenen«. Der ANC-Präsident Jordi Sánchez Picanyol ist seit fast einem Monat in Untersuchungshaft.

Die ANC, eine für die Unabhängigkeit Kataloniens eintretende Graswurzelbewegung, mobilisiert seit 2012 Massen zum katalanischen Nationalfeiertag am 11. September, der Diada. Daban fordert eine breite Wahlallianz für eine katalanische Republik. Drohende Parteienverbote sprächen nicht dagegen. »Madrid hat seine Fratze gezeigt. Es ist ihnen egal, ob sie eine, drei oder vier Parteien verbieten. Wir müssen klug agieren«, sagt sie. Strategisch überwögen aus dem Wahlrecht resultierende Vorteile für größere Parteien bei der Sitzverteilung. »Der Wahltag wird zum Referendum, ein vereinbartes, wie wir es seit Jahren einfordern«, ist Dabans Kollege aus dem Führungskreis der ANC, Enric Blanes, überzeugt. Er kritisiert, dass »Spanien seine Rechtsstaatlichkeit mit Dynamit sprengt. Sie wurde und wird sukzessive weiter aufgehoben.«

Für Donnerstag wurde Carme Forcadell von der ANC, Kataloniens ehemalige Parlamentspräsidentin, mit fünf Mitgliedern des Parlamentspräsidiums vor die spanische Audiencia Nacional zitiert, den mit Terrorismus, Korruption und anderen überregionalen schweren Delikten befassten Staatsgerichtshof. Die Staatsanwaltschaft fordert Untersuchungshaft für sie, wie sie auch bereits über die führenden Mitglieder der Regionalregierung verhängt wurde. Carmen Lamela, Untersuchungsrich­terin am Staatsgerichtshof, hielt dies beim katalanischen ehemaligen Vizepräsidenten Oriol Junqueras (Junts pel Sí, Esquerra Republicana de Catalunya, ERC) und sieben seiner Minister für angebracht. Es bestehe Fluchtgefahr und die Beschuldigten könnten Beweise vernichten. Lamela hat auch versucht, von Belgien die Auslieferung Puigdemonts und von vier ehemaligen Regionalministern zu erwirken, unter dem Vorwurf der Korruption.

Bei der linken Partei Podemos (Wir können) und ihren katalanischen Bündnispartnern (En Comú, die mit Ada Colau die Bürgermeisterin Barcelonas stellt, und Podem Catalunya) brodelt es indes gewaltig. Pablo Iglesias, der Generalsekretär von Podemos, setzte in einer Basisbefragung die Absetzung ­seines Pendants von Podem Catalunya, Albano Dante-Fachin, durch. »Das war keine Abstimmung. Es war eine Weisung von oben«, kritisierte Dante-Fachin seine Abwahl, die er als eine »Intervention im Stile Rajoys«, des spanischen Ministerpräsidenten, bezeichnete. Er gab seinen Rücktritt bekannt und registrierte kurzerhand eine Liste, um bei den für den 21. Dezember an­gesetzten katalanischen Wahlen anzutreten, oder sich einer eventuellen »­Allianz der demokratischen Kräfte« mit den Separatisten anzuschließen, wie sie von der ERC ins Spiel gebracht wurde.

Kataloniens Sozialisten (PSC), die die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung mit dem rechtskonservativen Partido Popular (PP) und der Mitte-rechts-Partei Ciudadanos (Bürger) mitgetragen haben, werfen sich bereits in den Vorwahlkampf, parallel zum Exodus von Parteimitgliedern. Der ehemalige Bürgermeister von Terrassa, Jordi Ballart, zerriss seinen Mitgliedsausweis aus Protest gegen das vom PSC mitgetragene juristische Vorgehen ­gegen die ehemalige katalanische Regionalregierung. Auch Esperança Esteve, eine ehemalige Abgeordnete in Madrid, trat aus der PSC aus, »wegen unüberbrückbarer Differenzen«. Der PSC schließt eine unionistische Regierungsallianz für Katalonien mit den Konservativen nach der Wahl nicht aus. Für den Ersten Vorsitzenden des PSC, Miquel Iceta Llorens, ist klar: Am Wahltag »endet eine Etappe der Frustration und des Scheiterns für die Katalanen«. Für welche knapp 50 Prozent der Katalanen, für jene pro oder jene contra Unabhängigkeit, ist allerdings die Frage.