23.02.2017
Arthur Koestlers Roman »Diebe in der Nacht«

Heimweh nach Normalität

Arthur Koestlers Roman »Diebe in der Nacht« schildert die Entstehung des Staates Israel.

Die Geschichte des Staates Israel ist die Geschichte eines Überlebens, das durch Hoffnung und schließlich durch Taten möglich wurde. Auf den Schriftsteller Arthur Koestler übte der Zionismus deshalb schon früh eine große Anziehungskraft aus. ­Bereits Mitte der zwanziger Jahre wurde diese Begeisterung entfacht, er versuchte damals – erfolglos –, in einem Kibbuz unterzukommen, und war ein Gefolgsmann von Wladimir Jabotinsky und seines auf ganz ­Palästina abzielenden revisionistischen Zionismus. In seiner Zeit als kommunistischer Parteigänger (1931–1938) verlor er das Interesse am ­Zionismus, das nach seinem Bruch mit dem Kommunismus wiederkehrte.
In den Jahren 1937 und 1945 reiste Koestler als Journalist für britische Zeitungen erneut nach Palästina und fand eine veränderte Lage vor: Die britische Regierung hatte sich von der Balfour-Erklärung und dem Versprechen einer jüdischen Heimstätte in ganz Palästina verabschiedet; ­arabische Nationalisten terrorisierten Juden und Araber, und auf der jüdischen Seite hatten sich die Untergrundorganisationen Irgun und Lechi für den bewaffneten Kampf entschieden. Koestler hatte zu dieser Zeit die revisionistische Idee eines jüdischen Staats westlich und östlich des Jordan verworfen und war von dem Plan der Teilung des Mandatsgebiets überzeugt. Gleichzeitig glaubte er aber, die britische Regierung werde eine solche Teilung nur ermöglichen, wenn die jüdische Seite es vehement und notfalls gewaltsam einfordern würde. Während seines zweiten Aufenthalts traf er Menachem Begin, den Anführer der Irgun und späteren Ministerpräsidenten Israels. Das ­Gespräch ließ ihn ernüchtert zurück. Diese Generation erschien Koestler im Vergleich zu ihrem Mentor Jabotinsky verhärtet, bitter und fanatisch.

Geprägt durch einen romantischen Orientalismus verehrten die Briten die arabische Kultur und glaubten, sich mit den Arabern verständigen zu können, wenn sie ihnen nur weit genug entgegenkommen würden.

Aus diesem Aufenthalt und den Begegnungen entstanden zwei Bücher: zum einen »Promise and Ful­filment«, eine konzise Historie des Zionismus von der Balfour-Erklärung 1917 bis zur Unabhängigkeitser­klärung Israels im Jahr 1948, die nie auf Deutsch erschienen ist. Das ­andere Werk ist der Roman »Diebe in der Nacht«, eine belletristische Hommage an die jüdischen Siedler Palästinas in den dreißiger Jahren, das 1946 zum ersten Mal erschien und jetzt vom Europa-Verlag wiederveröffentlicht wurde.
Das Thema des Buches ist eine »Ethik des Überlebens«, wie Koestler in der Vorbemerkung schreibt. Die Geschichte dreht sich um die fiktive jüdische Siedlung Esras Turm, die 1937 irgendwo in den galiläischen Weiten gegründet wird. In der Nachbarschaft liegt das arabische Dorf Kfar Tabije, dessen Einwohner sich bereits mehrmals der Gründung ­einer jüdischen Siedlung widersetzt haben. In den Bergen verstecken sich die bewaffneten arabischen Nationalisten um Fawzi al-Din, die jüdische Siedler aus dem Hinterhalt angreifen. Im dritten Anlauf gelingt jedoch das Unternehmen. Buchstäblich über Nacht werden auf dem Hügel die Gebäude und Zäune errichtet.
Der Protagonist ist Joseph, ein Brite, der nach einer antisemitischen ­Erfahrung mit einer Frau zu seinem Judentum und schließlich zum Zionismus gefunden hat. Er fühlt sich zu Dina hingezogen, einer der Gründerinnen der Siedlung. Sie wurde in Deutschland von der Gestapo misshandelt, weshalb sie niemanden an sich heranlässt.
Koestler nennt den Holocaust im Roman »das Zu-Vergessende«. Viele der jungen Siedler sind von den ­Erfahrungen des Antisemitismus gezeichnet. Erst durch die gemeinsame Anstrengung werden diese Wunden langsam geheilt. »Hier wurde etwas Gebrochenes wieder ganz gemacht: Menschen gewannen ihre verlorene Vollendung zurück«, fasst Joseph dieses Gefühl zusammen.
Koestler nimmt sich Zeit, um die ­Erzählung und ihre Personen zu entwickeln. Zudem ist das Buch eine großartige Geschichte des Zionismus in seinem entscheidenden Moment. Während Leon Uris’ Roman »Exodus« erst zehn Jahre nach der Gründung Israels erschien, brachte Koestler sein Buch mitten im Kampf um die Unabhängigkeit heraus. Es gelingt ihm dabei, die verschiedenen Strömung der jüdischen Nationalbewegung anhand einzelner Personen literarisch zu verdichten: Da sind die utopistischen und antiimperialistischen Kommunisten Max und Sarah, der versöhnlerische Glickstein, der für die Zionistische Organisation steht, der ehrliche, aber der Parteilinie verpflichtete Arbeiterzionist Ruben und schließlich ist der jüdische Untergrund vertreten durch die Revisionisten Simon und Baumann.
Darüber hinaus zeigt Koestler, dass der Kibbuz kein sozialistisches Idyll war, sondern von Beginn an auch eine totalitäre Struktur besaß. Das zeigt er exemplarisch an Joseph auf, der sich mit den gemeinschaftlichen Normen schwertut. Es kommt zum Eklat und er soll vor dem versammelten Kibbuz an den Pranger gestellt werden. Nur indem er sich den ­Gemeinschaftsregeln fügt, kann er den Ausschluss abwenden. »Das Pech mit dir ist, Joseph, dass du ein so bunter Vogel bist. In einer Kommune machen sich die grauen Vögel am besten – wie ich«, erklärt ihm Ruben.
Scharfe Kritik übt der Roman an der britischen Mandatsverwaltung. Geprägt durch einen romantischen Orientalismus verehrten die Briten die arabische Kultur und glaubten, sich mit den Arabern verständigen zu können, wenn sie ihnen nur weit genug entgegenkommen würden. Für die jüdischen Forderungen hatten sie dagegen nur wenig übrig. Nicht einmal angesichts der sich anbahnenden Katastrophe in Europa zeigten die britischen Verwalter Mitleid. Schließlich sind da die Araber, die manchmal etwas holzschnittartig wirken. Aber es gelingt dem Roman darzustellen, warum an eine Verständigung zwischen Juden und Arabern bereits damals nicht mehr wirklich zu denken war.
Und es kommt zur Eskalation: Dina wird von arabischen Nationalisten und Dorfbewohnern brutal ermordet. Daraufhin wendet sich Joseph an ­Simon und kurze Zeit später wird der Muchtar, das Oberhaupt des ara­bischen Dorfes, von jüdischen Freischärlern getötet. Es beginnt eine neue Phase. Die Juden Palästinas sind nicht mehr bereit, den Verrat Großbritanniens und die Mordlust der arabischen Nationalisten einfach hinzunehmen. Demonstrationen und Anschläge gegen Briten und Araber werden häufiger. Joseph nähert sich den Terroristen um Baumann an. Am Ende tritt er der Gruppe nicht bei, seine Verbindung zu Esras Turm bleibt stärker. Aber Koestler zeigt auch auf, dass die Besiedlung allein einen unabhängigen jüdischen Staat nicht ­ermöglichen würde. Der Aufstand gegen die Briten und der Kampf gegen die arabischen Nationalisten waren demnach unvermeidbar und notwendig.
Der Roman endet in der Zeit vor der Ausrufung des Staates Israel, mit der Gründung einer neuen Siedlung. Denn die Hoffnung auf ein besseres Morgen, das zeigt Koestler in seinem großartigen Roman, war und ist der Kern des Zionismus. »Unser Nationalismus ist Heimweh nach Normalität«, sagt Joseph an einer Stelle des ­Romans. Auch 70 Jahre nach Erscheinen des Buches bleibt das Überleben eine tägliche Herausforderungen und an Normalität ist nicht zu denken. Doch auch die Hoffnung darauf bleibt lebendig.

Arthur Koestler: Diebe in der Nacht. Aus dem Englischen von Lilly Speiser. Europa-Verlag, München 2016, 368 Seiten, 18,99 Euro