Terrorabwehr und Faschisierung

Die Gefahr der Faschisierung

Die Terrorismusbekämpfung dem Militär, der Polizei und den Geheimdiensten zu überlassen, ist ein Fehler, der gravierende Folgen für die Demokratie haben könnte.

Frankreich hat wesentlich mehr Anlass zu Notstandsmaßnahmen als die Bundesrepublik. Angesichts der Serie von Gräueltaten, die der »Islamische Staat« (IS) dort verübt hat, kann man nachvollziehen, dass Soldaten auf Bahnhöfen und Plätzen, vor Rathäusern, Kirchen, Synagogen und Museen patrouillieren. Die Art von Widerspruch, den Premierminister Manuel Valls erntete, als er zum ersten Mal ­davon sprach, Frankreich befinde sich im »Krieg« gegen den IS, ist inzwischen kaum mehr zu vernehmen. Nur sind die Anstrengungen leider von geringen Erfolgen gekrönt. Nach der militärischen Logik müssen daher zusätzliche Polizisten, Soldaten und bald wohl auch Freiwillige aufgeboten werden. Wenn das immer noch keinen Erfolg bringt, dann eben noch mehr. Dieser Krieg folgt aber nicht einer militärischen, sondern einer politischen Logik. Den Terroristen geht es um eine politische Erpressung: Die französische Bevölkerung soll so lange leiden, bis ihre Regierung die Kampfhandlungen ­gegen den IS in Syrien und Irak sowie gegen andere islamistische Organisationen in Libyen und Mali einstellt. Der Erpressung geben François Hollande und Manuel Valls nicht nach – so lange sie in ihren Ämtern sind. Für diejenigen, die ihnen möglicherweise bald nachfolgen werden, ist das nicht so klar. Mitunter sind die lautesten Schreihälse des »War on Terror« unter der Hand zu weitreichenden Deals bereit.
Der IS glaubt unbeirrt an einen Erfolg seiner Strategie. So stellt sich die Frage, ob er sich vielleicht durch andere Länder oder Regierungen in diesem Glauben bestärkt fühlt. Belgien gab bis vor ­kurzem ein solches Beispiel ab. Seine Dienste schauten nicht so genau auf Molenbeek und der IS dankte es ihnen, indem er keine Anschläge in Belgien beauftragte. Die friedliche Koexistenz nahm ein abruptes Ende, als die belgische Polizei am 18. März Salah ­Abdeslam als mutmaßlichen Akteur der Pariser Anschläge von November 2015 festnahm. Vier Tage später antwortete der IS mit den Bomben am Brüsseler Flughafen und in der Metro. Pflegten oder pflegen eventuell weitere Länder eine ähnliche Zurückhaltung gegenüber der Szene?
Man kann sich auch den Landweg vorstellen, den ein Sturmgewehr aus irgendeinem Nachfolgestaat Jugoslawiens – wo sich anscheinend das größte Reservoir illegal und leicht zu erwerbender Kalaschnikows befindet – nach Brüssel nimmt, von wo es dann in Paris zum Einsatz gebracht wird. Da fährt man über Österreich und Bayern. In welchen deutschen Orten fanden also Übergaben statt, und warum konnten sie nicht verhindert werden? Es ist bemerkenswert, wie wenig sich die CSU für die Schließung dieser Balkan-­Route interessiert, die freilich nicht den sogenannten Flüchtlingsströmen dient, sondern dem Schwarzhandel mit Waffen.
Die Vermutung liegt nahe, dass das europäische Engagement zur Unterstützung Frankreichs bei der Terrorismusabwehr nicht einhellig ist. Auch wenn sie geschlossen wäre, ändert das noch nichts an der politischen Schwachstelle, die eine halbwegs demokratisch verfasste Gesellschaft gegenüber dem Terrorismus aufweist. Mit jedem neuen Attentat wächst unweigerlich die Zustimmung für ­populistische, rechtsextreme, faschistische Parteien und deren autoritäre »Lösungen«. In den vergangenen anderthalb Jahren hat der Front National mindestens fünf Prozentpunkte hinzugewonnen. Marine Le Pen weiß, wem sie das verdankt, und aus den Reihen ­ihres Front National vernimmt man sogar ein offenes Frohlocken darüber. Der IS läuft Amok – der FN triumphiert. Der »Kalif« spielt seine letzte Karte: Frankreich soll blau-weiß-braun werden. Es soll Flüchtlinge abschieben, den Islam verdammen und Muslime ­schikanieren. Das liefert dem IS die Gründe, die er für seine Sympathisanten braucht.
Lässt es sich die französische Gesellschaft gefallen, dass ihre Geschicke auf diese absurde Weise ferngesteuert werden? Darüber müsste das demokratische Lager debattieren, streiten und einen Konsens suchen. Dies ist kein Plädoyer für einen Burgfrieden oder für einen Abschied vom Klassenkampf. Es ist aber sehr wohl ein dringender Appell, sich des Themas anzunehmen, dem Präsidenten und der Regierung gelegentlich auch mal beizustehen und nicht den Fehler zu begehen, die Terrorismusbekämpfung ausschließlich dem Militär, der Polizei und den Geheimdiensten zu überlassen. Denn gerade da gibt es nicht wenige, denen das Erstarken des FN sehr gelegen kommt.