Die Debatte um den nächsten Bundespräsidenten

Warten auf die Ménage-à-trois

Eine Bundesregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei? Die Schwierigkeiten des möglichen Bündnisses »R2G« zeigen sich bereits in der derzeitigen Diskussion um den nächsten Bundespräsidenten.

Joachim Gauck mag nicht mehr. Der 76jährige Bundespräsident hat angekündigt, nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Er könne nicht weitere fünf Jahre lang das Maß an Energie und Vitalität garantieren, wie es für das Amt erforderlich sei. Mit seinem angekündigten Ausscheiden sorgt das 2012 gewählte Staatsoberhaupt für eine Debatte um seine Nachfolge, die politisch höchst aufgeladen ist. Zwar geht es nur um den Grüßaugust, doch die politischen Parteien sind gezwungen, ihr Verhältnis zueinander zu klären. Die im Februar zusammentretende Bundesversammlung, die den nächsten Bundespräsidenten wählen soll, hat daher vor allem symbolische Bedeutung, zumal kurz darauf der Bundestagswahlkampf beginnt.
Während Gaucks Amtszeit haben sich die politischen Verhältnisse verändert. In einigen Landtagen sitzen die AfD und Reste der Piratenpartei. Die möglichen Mehrheiten für die Wahl des Bundespräsidenten sind denkbar knapp, neben der Großen Koalition hätte nur Schwarz-Grün schon im ersten Wahlgang eine, mit Unterstützung der Vertreter der Piratenpartei könnte sich auch ein rot-rot-grüner Kandidat durchsetzen – zumindest im dritten Wahlgang. Nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und der Abgeordnetenhauswahl in Berlin könnten sich die Mehrheitsverhältnisse auch noch ändern.
Die Linkspartei hat signalisiert, mit der SPD und den Grünen einen gemeinsamen Kandidat zu unterstützen. Die beiden anderen Parteien sind jedoch keineswegs festgelegt. Den Grünen könnte dabei eine Schlüsselrolle zukommen: Die Partei regiert in verschiedenen Konstellationen mit, mal Schwarz-Grün, mal Rot-Grün, mal Rot-Rot-Grün und mal mit SPD und FDP. In Baden-Württemberg ist sie der große Koalitionspartner. Entscheidend könnte sein, wer den Grünen das bessere Angebot macht. Der Koordinator des Realo-Flügels, Dieter Janecek, sagte: »SPD, Grüne und Linke sollten sondieren, ob sie eine gemeinsame überparteiliche Kandidatin präsentieren wollen. Ich wünsche mir eine progressive Frau als Bundespräsidentin im Schloss Bellevue.« Solche Aussagen könnten ernstgemeint sein, aber auch schlicht den Preis für die CDU in die Höhe treiben. Die SPD hat kein erkennbares Interesse an einem CDU-Kandidaten. Aus dem linken Flügel der Partei hört man, ein gemeinsamer Kandidat der Großen Koalition sei »nicht zielführend«.
Bereits 2010 hätte es einen Bundespräsidenten, der von SPD, Grünen und Linkspartei präsentiert worden wäre, geben können. Allerdings nominierten SPD und Grüne damals gemeinsam Gauck, ohne mit der Linkspartei zu reden. Diese wählte den notorischen Antikommunisten selbstverständlich nicht. Da Christian Wulff nicht die vollständige schwarz-gelbe Mehrheit der Bundesversammlung erhielt, hätte ein gemeinsamer rot-rot-grüner Kandidat erfolgreich sein können. Wulff schaffte es letztlich erst im dritten Wahlgang mit einer hauchdünnen Mehrheit und bei Enthaltung der »Linken«. SPD und Grüne waren auf die Linkspartei sauer, da diese den symbolischen Sieg über Merkel vereitelt hatte, diese war verärgert, dass Rot-Grün verlangt hatte, Gauck zu unterstützen. Nur einige Kilometer weiter fand damals fast zur selben Zeit wie die Bundespräsidentenwahl ein rot-rot-grünes Sommerfest statt. Die Stimmung war gedrückt. Dennoch wurde ein Manifest vorgestellt. »Andere Mehrheiten sind möglich«, hieß es darin. Zwei Jahre später wurde Gauck dann von CDU, SPD, FDP und Grünen gemeinsam gewählt, die Linkspartei blieb bei ihrer Ablehnung.
Noch könnten sich SPD, Grüne und Linkspartei dieses Mal auf eine Person einigen. Doch selbst wenn das klappen sollte und der gemeinsame Kandidat die Wahl auch noch gewänne, bliebe fraglich, ob das Signal deutlich genug wäre, um Rot-Rot-Grün als mögliche Regierungskoalition für die Bundestagswahl 2017 vorzubereiten. Während rot-grüne Mehrheiten ohnehin in unerreichbarer Ferne zu liegen scheinen, werden auch rot-rot-grüne immer ­unwahrscheinlicher. Zwar gibt es derzeit eine rechnerische Mehrheit der drei Parteien im Bundestag. Doch angesichts des Erfolgs der AfD und einem möglichen Comeback der FDP könnte diese Mehrheit schwinden.
Bei der Bundestagswahl 2005 kam Rot-Rot-Grün noch auf 51 Prozent der Zweitstimmen, 2009 waren es 45,6 und 2013 nur noch 42,7. Ändern könnte sich das nur, wenn »R2G«, wie das mögliche Bündnis seit einiger Zeit genannt wird, eine inhaltliche Alternative anböte. Doch die drei Parteien führen keine nennenswerten Gespräche, von der Entwicklung einer gemeinsamen Politik ganz zu schweigen. An rot-rot-grünen Gesprächsrunden nehmen eher Politiker aus der zweiten Reihe teil, diese haben wenig Gewicht, wenn es um tatsächliche und nicht nur theoretische Bündnisse geht.
Stefan Liebich, der für die Linkspartei im Bundestag sitzt und seit 2009 rot-rot-grüne Gespräche führt, beschwerte sich vergangene Woche über den »Frust, dass man nicht vom Fleck kommt«. Unter dem Motto »Die Enkel fechten’s besser aus« hatte der frustrierte Befürworter von R2G die Vorsitzenden der entsprechenden Jugendverbände zur Diskussion über seine Wunschkoalition eingeladen. Das wirkte wie Resignation: R2G wird auf die nächste Generation vertagt, wenn überhaupt. Doch die Veranstaltung selbst war perfekt inszeniert. Liebich zählte zunächst auf, woraus er Hoffnung schöpfe: Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel habe sich öffentlichkeitswirksam mit Oskar Lafontaine getroffen, selbst Sahra Wagenknecht habe sich für einen gemeinsamen Bundespräsidentschaftskandidaten ausgesprochen und Simone Peter, die linkere der beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, habe sich in jüngster Zeit immer wieder positiv über eine rot-rot-grüne Koalition geäußert.
Optimistisch war das junge rot-rot-grüne Podium trotzdem nicht. Zwar waren sich alle mehr oder wenig einig, dass die drei Parteien viele Schnittmengen habe. Aber die Nachwuchsfunktionäre machten sich keine Illusionen, dass diese Übereinstimmungen automatisch zu einer Koalition führen würden. Die Gemeinsamkeiten der drei Parteien lägen vor allem im gesellschaftspolitischen und sozialpolitischen Bereich: Man wolle die »soziale Ungleichheit«, die Öffnung der Ehe, die Gleichstellungspolitik und dergleichen angehen. Immer wieder fielen Begriffe wie »Umverteilung« und »Vermögenssteuer«. Und so sagte die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann: »Wirklich soziale Politik lässt sich nur mit Rot-Rot-Grün machen.«
Inhaltliche Probleme sahen die Diskutanten vor allem in der Außenpolitik. Jamila Schäfer, Bundesprecherin der Grünen Jugend, sagte: »Ich denke, dass es in Teilen der Linkspartei ein Problem mit Antisemitismus gibt.« Über diese Fragen müsse man sprechen, damit sie in der gemeinsamen Regierungszeit nicht zum dauerhaften Streitpunkt würden, etwa wenn es um die Unterstützung Israels gehe. Doch intensiv wollte man auf der Veranstaltung offenbar nicht über die Probleme sprechen. Das sei kontraproduktiv, so Uekermann. Es müsse darum gehen, die Gemeinsamkeiten zu betonen. Sie wollte sich daher erst gar nicht zu strittigen Themen äußern.
Dabei gäbe es mehr als Israel, über das zu reden wäre. »Mit der ›Linken‹ wird es keine Kampfeinsätze der Bundeswehr geben«, sagte Josephine Michalke, die für die Linksjugend am Podium teilnahm und damit die Haltung der Partei wiedergab. Diese fordert gemäß einem Beschluss des letzten Bundesparteitags sogar den Rückzug internationaler Armeen »vom Schlachtfeld Naher und Mittlerer Osten«, also das Ende des ohnehin mickrigen Einsatzes gegen den »Islamischen Staat«. Weiter heißt es in dem Papier, die »Nato als imperialistisches Kriegsbündnis« müsse aufgelöst werden.
Seit 2013 will die SPD ein Bündnis mit der Linkspartei nicht mehr grundsätzlich ausschließen, in einem Beschluss wird allerdings eine »verantwortungsvolle Europa- und Außen­politik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen« als Bedingung genannt. In den Augen der SPD dürfte das außenpolitische Papier der Linkspartei diese Bedingung nicht erfüllen. Diese wiederum verlangt von der SPD sozial- und arbeitsmarktpolitische Reformen, die einer Rücknahme der »Agenda 2010« gleichkämen. Dazu scheint die SPD nicht bereit zu sein.
Angesichts der Schwäche der SPD schlug der langjährige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, vor einigen Wochen vor, Rot-Rot-Grün solle einen gemeinsamen Bundeskanzlerkandidaten nominieren. Doch von SPD und Grünen gab es keine Antwort. Auf welcher Grundlage auch? Die Gräben sind immer noch tief.